01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 5

Michael BrandCDU/CSU - Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil die Lage außergewöhnlich ist, möchte ich heute keine gewöhnliche Rede halten. Ich hoffe, die hier Anwesenden vertragen sowohl grundlegenden Optimismus als auch scharfe Kritik, auch an uns selber.

Selten hat eine Diskussion zum Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe vor einem solchen Hintergrund von Dynamik und Dramatik in unserem Land stattgefunden. All denjenigen, die sich Sorgen machen, ob wir in Deutschland mit dieser Lage zurechtkommen, sei gesagt: Ja, wir werden das schaffen, weil wir das können, und auch, weil wir das wollen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Von meinen Reisen vor Ort – ob in den Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon, in Ostafrika, in Dadaab oder anderswo – habe ich erschütternde Eindrücke mitgebracht, und das seit vielen Jahren, wie viele andere Kollegen auch.

Aber von dieser Stelle aus möchte ich denjenigen mit den vielen Sorgen und auch manchen Kommentatoren, die ernste Probleme viel zu rasch zur absoluten Katastrophe erklären, zurufen: Ja, wir haben das ein oder andere auch sehr ernste Problem. Und ja, viele Menschen hier bei uns machen sich angesichts der Größe dieser Dimension auch Sorgen. Aber wahr ist auch: Diese Sorgen möchten die Menschen in Syrien, im Irak oder in den Flüchtlingslagern einmal haben!

Wir leben – ich sage das bewusst – in dem Teil der Welt, den man auch das christliche Abendland nennt. Und man ist nicht weltfremd, wenn man dazu feststellt: Gerade in Situationen mit Problemen gilt der christliche Kompass. Gerade dann kommt es auf die helfende Hand an.

Zu manchen überzogenen Beiträgen muss allerdings auch klargestellt werden in Richtung Bürger wie auch in Richtung Medien und natürlich auch in Richtung sozialer Medien: Ein dreijähriger Junge, der im Mittelmeer ertrinkt, stellte keine islamistische Gefahr dar. Ein junger Mann, der mit 14 von den Eltern weggeschickt wird, weil es für ihn kaum eine Chance auf Überleben oder auf ein menschenwürdiges Leben gibt, der will nicht die Islamisierung Europas, der will schlicht ein Leben in Menschenwürde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist uns doch allen völlig klar – und es ist wichtig, das auch anzusprechen –: Nicht alle, die kommen, haben Anspruch auf Asyl, und nicht alle werden bleiben können. Es gibt auch die berechtigten Ansprüche von Eltern auf Unterricht ihrer Kinder, auf Turnhallen, auf Schwimmbäder und auf vieles, was Kommunen für ihre Bürger bereitstellen. Aber jeder, der sich ernsthaft fragt, wird doch zur selben Antwort kommen: Wer aus solch verzweifelter Lage zu uns kommt, wer an Leib und Leben bedroht ist, hat zunächst einmal Anspruch auf eine menschlich ordentliche Behandlung,

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe – um es klar und zweifelsfrei zu formulieren –, so wie dies in den Grundsätzen unserer Verfassung niedergelegt ist.

Dabei zeigt die Erfahrung der letzten großen Flüchtlingsbewegung nach Deutschland: Die allerwenigsten von denen, die kommen, bleiben. Hunderttausende sind in den 90er-Jahren auf den Balkan zurückgegangen.

Es bleibt eine schwierige – auch das will ich sagen –, aber dennoch richtige Entscheidung, dass im aktuellen Asylkompromiss drei sichere Länder ohne politische Verfolgung auch von uns als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Es ist nichts anderes, als den Status quo so zu beschreiben. Und es wäre zudem für diese Länder und ihre Gesellschaften ein unverantwortliches Stigma, wenn Deutschland sich weigerte, diesen Ländern zu attestieren, dass es dort eben keine politische Verfolgung mehr gibt.

Wenn heute wieder Zehntausende vom Balkan hierherkommen, dann liegt das auch an einem: Deutschland und auch die Europäische Union haben die Menschen dort in den 90er-Jahren – jedenfalls zum Teil – vor Genozid und Gewalt gerettet, und wir haben sie dann offenen Auges und wider besseres Wissen mit dem Abkommen von Dayton im Stich gelassen – mit organisierter Kriminalität, mit Korruption, die nicht entstanden ist, bevor die internationale Gemeinschaft kam, sondern unter den Augen der internationalen Gemeinschaft, mit der größten Mission, die die UN und die EU je auf den Weg gebracht haben, und das in einem der kleinsten Länder mit so wenigen tatsächlichen Ergebnissen. Dass dann Leute sagen: „Wir haben hier keine Zukunftsperspektive, weil die internationale Gemeinschaft mit den Falschen auch gemeinsame Sache macht“, muss uns Anlass geben, eine Analyse über eigene Fehler vorzunehmen.

(Beifall der Abg. Gabriela Heinrich [SPD])

Hier bei uns in Deutschland gilt: Wir sind ein Rechtsstaat. Der Rechtsstaat muss sein Recht anwenden, wenn er sich selbst ernst nehmen will. Das gilt sowohl für die Anwendung des Asylrechts als auch für die anderen Rechtsnormen. Wer Straftaten begeht als eingesessener Bürger oder als Neuankömmling, muss es selbstverständlich mit dem deutschen Recht zu tun bekommen. Das Recht gilt für alles und für alle – für Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, bei Gewaltanwendung, für Vergewaltigungen in Flüchtlingsunterkünften und auch für Volksverhetzung.

Wir alle wissen: Wenn wir die Ursache nicht bekämpfen, werden wir das Thema „Migration und Flüchtlinge“ nicht in den Griff bekommen. Wir wissen auch: Wenn wir die Bekämpfung der Ursachen in dem Maße intensivieren würden, wie es schon länger erforderlich ist, würden wir dazu beitragen, dass Hunderttausende Flüchtlinge sich eben nicht auf den Weg machen und dass wir die Folgen dessen nicht hier mit Milliarden abfedern müssten.

Entwicklungsminister Gerd Müller hat ja recht, wenn er sagt: Wir können mit dem gleichen Geld im Libanon, in Jordanien, in der Türkei oder in Griechenland das 10- bis 20-Fache von dem ausrichten, was wir hier erreichen können.

Wir diskutieren heute über den Bericht zur Lage der Menschenrechte. Wenn wir über das Regime Assad reden, dann reden wir über einen der größten Menschenrechtsverbrecher auf diesem Globus. Dass wir neuerdings einen Kompromiss mit Assad suchen wollen und dass wir das gemeinsam mit dem lupenreinen Menschenrechtsverletzer Putin tun, ist eine teilweise Bankrotterklärung unserer Menschenrechtspolitik. Es bleibt ein teuflisches Unterfangen: Wir paktieren mit dem einen Teufel, um den anderen Teufel in Schach zu halten. Ich hoffe und bete, dass wir nicht alle miteinander am Ende ein faustisches Erwachen erleben. Die aktuelle Entwicklung, der Alleingang Russlands, zeigt das ja sehr deutlich. Die Logik dieses taktischen Paktes mit dem Bösen ist, die noch Böseren hoffentlich stoppen zu können.

Wir werden am Ende nicht nur hier in Deutschland, sondern auch andernorts mehr Bereitschaft zum Handeln zeigen müssen, wenn wir noch mehr Opfer und den Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates bis nach Europa verhindern wollen. Menschen und ihre fundamentalen Rechte schützt man nicht allein mit Resolutionen, auch nicht mit einem taktischen Pakt mit dem Bösen. Und Deutschland und Europa schützt man nicht vor ungebremster Zuwanderung, indem man Grenzen verdichtet, eine harte Rhetorik auflegt und die Probleme konsequent ignoriert.

(Beifall des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])

Diese Flüchtlingsfrage ist eine der größten Fragen der europäischen und deutschen Politik der nächsten Jahre. Das Problem ist an unserer Grenze gelandet und hat sie bereits überschritten. Zur Wahrheit gehört, dass das ein Dauerthema bleiben wird. Wenn wir nicht begreifen, dass dies nicht allein mit Geld zu regeln ist, dass das nicht allein durch Ressortabstimmungen zu regeln ist, dass das nicht allein durch Kompromisse zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu regeln ist, dann werden wir auf Jahre hinaus teils hohe Preise bezahlen, und das sowohl politisch wie auch finanziell, im Dialog der Religionen und der Regionen Europas, im Nahen Osten, in Afrika und darüber hinaus. Deutschland und Europa werden so lange ein Magnet sein, wie die Lage in den Herkunftsländern nicht besser wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte viele einzelne Themen ansprechen können, von der Menschenrechtslage in China und Tibet über die Religionsfreiheit bis hin zu zahlreichen anderen wichtigen Themenfeldern dieses Berichtes. Ich hätte auf die Gespräche mit Bundesaußenminister Steinmeier im Ausschuss hinweisen können, auf den langen und intensiven Austausch mit Entwicklungsminister Gerd Müller in der letzten Sitzungswoche oder die Runden mit der Bundeskanzlerin, natürlich auch auf die Gespräche mit unserem Kollegen Christoph Strässer, dem ich an dieser Stelle in besonderer Weise danken möchte, für seinen Einsatz und für seine Überzeugung bei diesem Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Beendigung des Dramas am Budapester Bahnhof war richtig. Sie war eine starke Geste, die im Übrigen mitnichten eine Flüchtlingswelle ausgelöst hat: Die war doch längst unterwegs!

(Inge Höger [DIE LINKE]: Genau!)

Und selbst wenn die Bundeskanzlerin nicht so reagiert hätte, würde das Thema uns heute beschäftigen. Ich glaube, im Gegenteil, mit der Geste wurde etwas getan, was andere hoffentlich zur Einsicht bringt und zum Mitanpacken einlädt, und zwar in ganz Europa, aber auch in den arabischen Ländern und in Afrika; daran arbeiten wir ja gerade intensiv.

Und es ist gut, dass auf europäischer Ebene in der vergangenen Woche endlich die ersten Trippelschritte in die richtige Richtung beschlossen wurden. Auch unser Gesetzespaket, über das wir heute Morgen hier im Parlament beraten haben, ist gut.

In diesen Zeiten über Symptome zu reden, ist falsch. Wichtiger sind die einzelnen Themen. Wir brauchen auch als Deutscher Bundestag jenseits des Krisenmechanismus eine neue Sicht auf diese sich dynamisch verändernde Welt. Wer jetzt behauptet, er habe schon alle Antworten, der hat entweder null Ahnung oder null Respekt vor der Wahrheit. Ich gestehe, dass ich viele Fragen habe zu diesen sich abzeichnenden, großen Veränderungen, in Deutschland und um uns herum. Und auf viele Fragen keine Antwort. Eines aber weiß ich: Wir werden uns anders um Antworten bemühen müssen, als wir dies bisher tun. Vielleicht fangen wir hier im Deutschen Bundestag damit an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Angelika Glöckner von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891445
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta