01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 10

Yvonne MagwasCDU/CSU - Stärkung der Kultur im ländlichen Raum

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der demografische Wandel verändert seit Jahr und Tag schleichend unsere Gesellschaft. Die Politik befasst sich damit ebenfalls seit Jahren, wie nicht zuletzt die Demografiegipfel der Bundesregierung zeigen. Bei dem heute zu debattierenden Antrag ging es uns Koalitionsfraktionen darum, die Demografiepolitik um die Facette der Kulturförderung zu erweitern; denn Kultur ist der Kitt, der gesellschaftliche Veränderungen positiv vorantreibt.

(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Was heißt es, wenn eine Stadt wie Dessau ein Theater mit 1 000 Sitzplätzen, aber nur noch 84 000 Einwohner hat? Wie wandelt sich das Kulturpublikum? Wie lässt sich bei schrumpfenden kommunalen Etats das kulturelle Angebot vor Ort noch finanzieren? Man gerät bei solchen Fragen leicht in die Versuchung, über Kulturpolitik als Ganzes zu debattieren. Allein die Vielfalt an existierenden Projekten, aber auch an Förderinstrumenten und Kulturpreisen ist eindrucksvoll; aber es droht auch die Gefahr, sich zu verzetteln. Daher kamen wir – in diesem Zusammenhang danke ich recht herzlich meinen Mitberichterstattern Ute Bertram, Michael Kretschmer und dem Kollegen Blienert – während der Erarbeitung unseres Antrages zu dem Schluss, uns auf das kulturelle Leben im ländlichen Raum zu konzentrieren.

Ja, es stimmt: Der ländliche Raum ist nicht automatisch mit Bevölkerungsabwanderung und -alterung gleichzusetzen. In manchen Gegenden Süddeutschlands sind die Immobilienpreise so hoch, dass es manchem Städter die Tränen in die Augen treibt. Die Bodensee-Region oder auch das bayerische Voralpenland brauchen das kulturpolitische Engagement des Bundes eher weniger. Es wird hingegen dort benötigt, wo durch Bevölkerungsschwund und eine alternde Bevölkerung die vorhandene kulturelle Infrastruktur nicht mehr eins zu eins mit den dort lebenden Menschen harmoniert.

Eines ist mir ganz besonders wichtig: Keiner Kommune ist mit der Mentalität geholfen, dass der Letzte das Licht ausmacht. Eine Verliererdiskussion, wie wir sie in den letzten Jahren gelegentlich geführt haben, ist nicht angemessen. Alle Kommunen sollten stärker ihre vielfältigen Erfolge herausstellen und würdigen. Voraussetzung dafür ist aber, den immateriellen Wert der Kultur anzuerkennen. In Kindergärten, Schulen, Kirchen oder der freiwilligen Feuerwehr wird exzellente Arbeit geleistet. Mehr Selbstbewusstsein, positives Denken und der Wille zum praktischen Handeln tun gut. – Dies war eines der vielen wichtigen Ergebnisse eines Fachgespräches zu lebendigen Kulturräumen im demografischen Wandel, das meine Fraktion mit Experten geführt hat.

Als Folge des demografischen Wandels brauchen wir ein neues Denken auch im Kulturbereich. Teilweise sind neue Strukturen erforderlich, um die anstehenden Aufgaben viel zielgerichteter erfüllen zu können. Die Akteure aus dem Kulturbereich regen selbst an, Kooperationen generell auszuweiten und zu stärken. Wir brauchen nicht das eine große nationale Gesamtkonzept. Vielmehr hilft es, die vor Ort jeweils vorhandenen Akteure – die Kommunalverwaltung, die Vereine, die Ehrenämtler, aber auch die ansässigen Unternehmen – zusammenzubringen und die Kräfte dort zu bündeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden. Von gelingenden Lösungen in einer Region kann anderswo gelernt und profitiert werden. Modellhafte Projekte in Sachsen können zum Beispiel auch in Mecklenburg-Vorpommern oder Rheinland-Pfalz funktionieren. Deshalb setzen wir uns für die Schaffung einer Plattform für Praxisbeispiele ein. Auch streben wir eine Bündelung bereits vorhandener Förderdatenbanken und eine Vereinfachung der Antragsverfahren für Fördergelder an.

Mir ist es wichtig, dass wir die jungen Leute ausbilden und begeistern, mit Ideen und auch mit Schaffenskraft für ihre Region Verantwortung zu übernehmen und ihre Heimat mitzugestalten. Mir ist wichtig, unsere ländlichen Regionen zu beleben und zu zeigen, dass man auch jenseits der urbanen Zentren mit hoher Lebensqualität leben kann. Bürgerschaftliches Engagement im Kulturbereich trägt in besonderem Maße zu einer gesteigerten Identifizierung mit der Heimat bei – bei denjenigen, die sich engagieren, genauso wie bei denjenigen, die als Zuhörer oder Zuschauer von einem kulturellen Angebot profitieren.

Menschen, die sich mit ihrer Heimat identifizieren, können dies weitergeben und auch besser vermitteln. Daher liegt mir besonders die Breitenkultur am Herzen. Ich bin fest davon überzeugt: Kultur stiftet Identität, Breitenkultur stiftet Pluralität. Gerade in einer Zeit, die von Schnelligkeit geprägt ist, wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Bindung. Die Breitenkultur ist der fruchtbare Boden, wo die Menschen Wurzeln schlagen, persönliche Werte entfalten und soziale Beziehungen aufbauen können.

Dieser Punkt beleuchtet aber noch ein anderes Spektrum: Kultur dient auch der Integration. Uns allen ist bewusst, dass wir vor neuen sozialen Herausforderungen stehen. Kultur kann gerade im ländlichen Raum zur Integration von Flüchtlingen genutzt werden. Musik, Tanz oder auch der Sportverein dienen als eine Brücke zur Kontaktaufnahme mit Flüchtlingen, ohne dass man gleich über die Sprachbarriere stolpert.

Meine Damen und Herren, ein Kulturbegriff, der nur die Staatsoper oder die Nationalgalerie in den Blick nimmt, ist längst nicht mehr zeitgemäß, so wichtig diese Leuchttürme auch sind, und das aus zwei Gründen. Erstens erreicht die Breitenkultur viel mehr Menschen als die Hochkultur, und sie wird von den Menschen gelebt. Die Menschen konsumieren Kultur nicht, sie erschaffen sie selbst. Breitenkultur bedeutet Teilhabe der Bürger. Zweitens ist sie besonders für den ländlichen Raum unverzichtbar. Wir brauchen also beides: die kulturellen Spitzenleistungen, zum Beispiel von Gerhard Richter, und die Musikschulen und die Heimatvereine im ländlichen Raum.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Engagement des Bundes für die Kulturlandschaft in Deutschland ist schon jetzt stark und nimmt immer mehr zu, obwohl Kulturförderung, wie wir alle wissen, zunächst Aufgabe der Länder und Kommunen ist. Beleg dafür sind die abermals gestiegenen Mittel im BKM-Haushalt. Ich danke ausdrücklich Staatsministerin ­Monika Grütters für ihren besonderen Einsatz für das kulturelle Leben abseits der Metropolen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

In den Medien lesen wir viel über neue Museen oder Schlösser in Berlin. Aber die bisherige Amtszeit der Beauftragten für Kultur und Medien ist genauso durch dezentrales Engagement für die Kultur geprägt. Beispielhaft zu nennen sind hier der erfolgreich gestartete Deutsche Buchhandlungspreis und der geplante Theaterpreis für mittlere und kleinere Häuser. Sie wirken vor allem in den Mittelzentren und in der Fläche. Auch das in der letzten Legislaturperiode begonnene Förderprogramm von Bund und Ländern zur Kinodigitalisierung, das Invest-Ost-Programm und die Fortführung der Denkmalschutzsonderprogramme gehören in diese eindrucksvolle Reihe.

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag regen wir nun ein Pilotprojekt der BKM zu den Herausforderungen des demografischen Wandels für die kulturelle Bildung an. Die Bedeutung der kulturellen Bildung darf ja in keiner Sonntagsrede fehlen. Sie ist aber vom demografischen Wandel besonders betroffen. Das Publikum von Kultur verändert sich, und in einer schrumpfenden Bevölkerung muss es uns daran gelegen sein, alle Kinder und Jugendlichen mit Kultur in Berührung zu bringen. Kulturelle Bildung ist das entscheidende Fundament für die Kultur der Zukunft.

Last but not least freue ich mich, dass es uns gelungen ist, den Deutschen Musikinstrumentenpreis weiter zu verstetigen. Mit dieser Auszeichnung führen wir der Welt die große Bandbreite deutscher Musikinstrumentenbaukunst vor Augen. Hier jedenfalls gilt die Marke „made in Germany“ noch etwas. In meiner Heimat liegt der vogtländische Musikwinkel, wo sich eine weltweit einmalige Konzentration des Musikinstrumentenbaus befindet. Diese 350 Jahre alte Tradition ist unter anderem für meine Heimat identitätsstiftend und somit ein weiteres Beispiel für die sinnstiftende Wirkung von Kultur.

Ich komme zum Schluss. Der demografische Wandel wirkt sich regional jeweils verschieden aus. Zwar tragen wir mit dieser Debatte beileibe noch nicht zur kulturellen Vielfalt bei; aber wir beschreiben die reiche kulturelle Vielfalt, die wir in Deutschland haben und um die uns die ganze Welt beneidet. Das kann man gar nicht oft genug tun; denn die kulturelle Vielfalt gilt es überall, vor allem auch im ländlichen Raum, zu bewahren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891944
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Stärkung der Kultur im ländlichen Raum
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta