Alexander HoffmannCDU/CSU - Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Ich gebe zu, dass es bisweilen für Sie als Besucher schwierig ist, rechtspolitischen Debatten hier zu folgen. Sie gelten bisweilen als langweilig. Aber wir haben heute ein Thema, das aus dem Leben gegriffen ist, glaube ich, im wahrsten Sinne des Wortes griffig, an mancher Stelle sicher schwere Kost.
Ich will Sie ein bisschen durch das Thema führen. Um was geht es? In Deutschland sind sexuelle Handlungen nur gegen den Willen des Opfers per se nicht strafbar. Das Problem verorten wir in § 177 StGB. – Liebe Kollegin Keul, ich bin sehr dankbar, dass Sie unmissverständlich klargemacht haben, dass wir alle Handlungsbedarf dort sehen. – Das führt in der Praxis bisweilen zu komisch anmutenden Fällen; Sie hatten einige geschildert.
Meine Damen, meine Herren, stellen Sie sich vor: Eine Frau ist mit einem Trinker verheiratet. Der kommt eines Abends sturzbetrunken aus der Kneipe nach Hause, will den Beischlaf mit ihr vollziehen. Sie will das nicht, weist mehrmals darauf hin. Es kommt am Schluss doch dazu, weil sie sich fügt, weinend und verkrampft, weil sie Angst hat, dass die Kinder im Nachbarzimmer etwas mitbekommen, dass die Nachbarn etwas mitbekommen oder dass er wieder übergriffig wird, wie das schon einmal der Fall gewesen ist. – Dieser Fall – das muss man sich einmal vorstellen – ist nicht strafbar, selbst wenn der Mann am nächsten Tag in die Kneipe geht und sich mit dieser Tat brüstet.
Ein anderer Fall ist der von dem Model, den Sie vorhin angesprochen haben, wo das paralysierte Mädchen so überrumpelt ist, dass es zu keiner Gegenwehr kommt.
Das Problem ist die Formulierung von § 177 StGB, der im Moment drei Alternativen vorsieht: Die sexuelle Handlung muss entweder mit Gewalt vorgenommen worden sein oder durch eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Dabei hat der Gesetzgeber 1997 diese dritte Alternative ins StGB aufgenommen, weil er gerade Fälle erfassen wollte, in denen das Opfer keine Schutz- und keine Verteidigungsmöglichkeiten hat.
Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Alternative aber immer in einem Kontext gesehen, nämlich dass es eine enge Verbindung zur Nötigung geben muss, und hat sehr hohe, restriktive Anforderungen gestellt, weil auch das Strafmaß verhältnismäßig hoch ist. Deswegen fordert der BGH wie bei § 240 StGB – Nötigung – nicht nur die bloße Willensmissachtung; es muss vor dem Nötigungserfolg noch eine Nötigungskomponente, und zwar eine objektive Nötigungskomponente, eine objektive Zwangslage vorliegen.
§ 177 Absatz 1 Nummer 3 ist also dahin gehend streng auszulegen, dass objektiv gesehen keine Schutz-, Flucht- oder Hilfsmöglichkeiten für das Opfer vorhanden sein dürfen. Bei dieser objektiven Betrachtung ist die Sicht des Opfers nicht entscheidend. Es genügt auch das bloße Alleinsein nicht, und ebenso reicht es nicht aus, wenn nur das Opfer das Gefühl hat: Ich befinde mich in einer hilflosen Lage. – Deswegen sind die geschilderten Fälle aktuell straflos.
Hinzu kommt – Sie haben es gesagt –, dass wir auf europäischer Ebene dringenden Handlungsbedarf angezeigt bekommen haben. Deutschland hat die Istanbul-Konvention unterzeichnet. Das ist ein europäisches Regelwerk. Darin ist in Artikel 36 Absatz 1 vereinbart, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass jedwede sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers in ihrem Hoheitsgebiet unter Strafe gestellt wird. Es gibt Frauenverbände, die uns auf den Handlungsbedarf hingewiesen haben; auch der Deutsche Juristinnenbund hat das getan.
Ich bin sehr froh, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Frühsommer des letzten Jahres sehr früh ganz klar Position bezogen und Handlungsbedarf signalisiert hat. Wir waren damals schon der Meinung: Ein Nein ist ein Nein, und wenn der Täter dieses Nein positiv kennt oder es auch nur billigend in Kauf nimmt, ist es eine strafwürdige Handlung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Ministerium – ich denke, das darf man an dieser Stelle sagen – war zunächst etwas zögerlich. In einem Referentenentwurf vom 7. April des letzten Jahres wurde noch kein Handlungsbedarf gesehen. Es kam aber dann sehr schnell – auch durch die fruchtbare öffentliche Debatte – Bewegung rein. Zunächst wurde bekundet: Wir wollen das prüfen. – Am Schluss wurde nach einer Länderabfrage sehr deutlich gemacht: Wir müssen dort etwas verändern. – Das Ergebnis ist jetzt ein Entwurf, der noch nicht im offiziellen Verfahren ist. Er befindet sich in der Ressortabstimmung. Da sage ich: Meine Damen, meine Herren, das ist doch eine Entwicklung, mit der wir gerechnet haben. Wir haben doch gewusst, wir kommen irgendwann an einen Punkt, an dem es um einzelne Formulierungen geht, an dem es um Fragen geht wie: Wie werden wir einzelne Dinge nachweisen können? Wie praxistauglich ist eine Formulierung? Der Entwurf hat nämlich meines Erachtens die positive Seite: Er versucht sehr umfassend, Schutzlücken zu schließen. Aber er lotet damit natürlich auch Grenzen aus, weil er die Grenze ziehen muss zwischen dem, was strafbar ist, und dem, was vielleicht nur moralisch zu missbilligen ist. Ich will Ihnen dazu zwei Fälle nennen.
Es muss zweifelsohne strafbar sein, wenn ein Chef oder eine Chefin sexuelle Handlungen einfordert und nur bei dieser Gegenleistung eine Beförderung anbietet. Aber es ist vielleicht nur moralisch zu missbilligen, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit dem oder der Vorgesetzten eine sexuelle Beziehung aufbaut in der Hoffnung, dass sich das vielleicht später einmal positiv auf die Karriere auswirkt. Der Unterschied ist, dass im zweiten Fall kalkuliert und frei ein Wille gebildet werden konnte.
Deswegen ist es, denke ich, ganz wichtig, dass jetzt gerade in der Ressortabstimmung noch einmal ganz trennscharf geschaut wird: Wie ist das im Einzelfall zu diskutieren und zu formulieren? Denn wir alle sind uns doch darüber im Klaren: Strafrecht ist Ultima Ratio. Es ist niemandem gedient, wenn am Schluss ein Entwurf auf dem Tisch liegt, der unter Umständen sozial adäquates Verhalten unter Strafe stellt. Es ist ein Ringen um Formulierungen. Das braucht Zeit. Da gebe ich zu, dass Ihr Formulierungsvorschlag in diesem Prozess durchaus einen sinnvollen Beitrag leistet. Sie haben eine Formulierung aufgegriffen, die auch schon in der Anhörung zur Sprache kam, nämlich eine Strafbarkeit dann zu etablieren, wenn der Täter das Opfer durch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel zu sexuellen Handlungen nötigt, wenn der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, wodurch auch die Fälle des schlafenden Opfers erfasst wären, oder wenn der entgegenstehende Wille des Opfers eindeutig zum Ausdruck kommt.
Aber der Teufel liegt natürlich im Detail. Auch dieser Entwurf begegnet am Ende denselben Schwierigkeiten wie im Moment der Referentenentwurf. Denn die Kunst wird natürlich dann in der Praxis sein, diesen entgegenstehenden Willen auch tatsächlich nachweisen zu können. Ich persönlich würde ohnehin empfehlen, nicht § 177 zu ändern, sondern eher § 179 zu reformieren, weil § 177 historisch immer an der Nötigung orientiert war und wir natürlich auch dem Umstand vorbeugen müssen, dass uns später wieder eine obergerichtliche Rechtsprechung einholt.
Ein weiterer Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist, dass ich schon glaube, dass es einen Unterschied machen muss, ob der Täter eine vorgefundene Situation ausnutzt oder ob er mit eigenen Maßnahmen eine Situation erzeugt, um den entgegenstehenden Willen zu beugen. Das ist ein Unterschied im Unrechtsgehalt, und das muss sich am Schluss auch in unterschiedlichem Strafrahmen auswirken.
Ein letzter Punkt, der mir noch wichtig ist: Wenn wir darangehen und sagen: „Wir wollen umfassend Lücken schließen“, dann sollten wir uns auch Artikel 46 der Istanbul-Konvention vornehmen. Dieser sieht nämlich vor, dass sich die Mitgliedstaaten Gedanken darüber machen müssen, ob es sich nicht sogar strafschärfend auswirken muss, wenn die Tat an einer Person begangen wird, die aus besonderen Gründen schutzbedürftig geworden ist. Da denke ich vor allem an Menschen mit Behinderung. Im Moment haben wir die Situation, dass in § 179 die Mindeststrafe sogar niedriger ist, wir also eher über eine Diskriminierung nachdenken müssen. Wir sollten das zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob sich die sexuelle Misshandlung oder die Vergewaltigung von einem Menschen mit Behinderung nicht sogar strafschärfend auswirken muss.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich freue mich auf die weitere Beratung. Wir werden noch viel über dieses Thema diskutieren, aber ich denke, sehr sachorientiert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5892142 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung |