01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 9

Dirk WieseSPD - Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung ist eines der wichtigsten Reformvorhaben im Rechtsbereich, die noch vor uns liegen. Es gilt, Regelungslücken im Strafrecht zu schließen und durch eine klare Normsetzung die Anzahl der Fehlurteile zu senken. Deshalb muss hier sauber und ganz genau gearbeitet werden. Ich erinnere mich hier an die 33. Strafrechtsreform im Jahr 1997, bei der das leider nicht so gewesen ist; denn sie hat zu einigen Regelungslücken geführt, die wir heute zu beheben versuchen.

Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich im Folgenden auf den Gesetzentwurf der Grünen eingehen. Im Detail ist er aus meiner Sicht an der einen oder anderen Stelle handwerklich nicht gelungen. Sie schaffen es aus meiner Sicht in Ihrem Gesetzentwurf, nicht nur Regelungslücken nicht zu schließen, sondern durch unbestimmte Rechtsbegriffe neue Regelungslücken zu etablieren. So ist in § 177 Absatz 2 Ihres Gesetzentwurfes eine Tatbegehungsvariante, dass der Täter die Arg‑  oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. Ihr erklärtes Ziel ist es, die überraschende Tatbegehung zu bestrafen, wie es von Frau Keul geschildert wurde und wie es in der Gesetzesbegründung als Beispielfall steht, in dem das Opfer sich mit gespreizten Beinen mit dem Rücken zum Täter stellt, um sich zeichnen zu lassen, der Täter sich anschleicht und überraschend den Geschlechtsverkehr ausführt. Hier soll sich nach Ihrem Gesetzentwurf der Täter strafbar machen, weil er die Arglosigkeit des Opfers ausnutzt.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Wenn Sie aber die Rechtsprechung zur Arg‑ oder Wehrlosigkeit vergleichen, möchte ich bezweifeln, ob diese Fallkonstellation von Ihrem Gesetzentwurf abgedeckt ist.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung geredet, Herr Wiese!)

Zumindest bietet sie aber den Raum für breite Auslegungsdebatten. Das ist das, was Sie angeblich mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen.

Ferner finde ich es höchst fraglich, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf den Schutz für widerstandsunfähige Personen auflockern, indem sie den § 179 StGB streichen und mögliche Opfergruppen unter dem Tatbestandsmerkmal „wehrlos“ subsumieren. Gerade Menschen mit geistiger Erkrankung oder Behinderung sind oftmals nicht körperlich wehrlos und fallen deshalb nach Ihrer Definition möglicherweise aus dem Raster. Hier müssen wir sehr genau hinschauen. Der Kollege Hoffmann hat schon darauf hingewiesen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung geredet! Das ist nicht erfunden!)

Es gibt noch weitere Kritikpunkte, auf die ich aus Zeitgründen leider nicht komplett eingehen kann. Nur so viel: Gerade bei schwerwiegenden Taten, die Opfer mitunter für ein ganzes Leben traumatisieren, muss der Gesetzgeber den höchstmöglichen Schutz gewähren und darf keinen breiten Raum für Rechtsinterpretationen lassen, wie es in Ihrem Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle noch der Fall ist. Es bedarf aus meiner Sicht einer Reform mit Augenmaß. Es bedarf eines Entwurfs, wie ihn Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegt hat, der in solider Vorarbeit und auch ordentlich bis ins Detail gut vorbereitet wurde. So hat Bundesminister Maas die Länder im September 2014 aufgefordert,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE  GRÜNEN]: Der ist ja kassiert!)

dem Ministerium mitzuteilen, ob Fallkonstellationen aus der Praxis bei Anwendung von § 177 StGB bekannt seien, die Rechtslücken nahelegen, um verlässliche Fallzahlen zu bekommen. Die Rückmeldung aus der Praxis offenbarte vor allem vier problematische Konstellationen.

Erstens – das habe ich bereits beschrieben – den Umstand, dass Fälle, in denen der Täter den Überraschungsmoment ausnutzt, wegen des Erfordernisses der Nötigung überhaupt nicht nach § 177 StGB strafrechtlich erfasst sind.

Zweitens das Erfordernis des § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB an einer schutzlosen Lage. Hier reicht nach aktueller Rechtsprechung nicht das Ausnutzen einer lediglich subjektiven schutzlosen Lage durch den Täter. Das Opfer muss sich objektiv in einer schutzlosen Lage befinden. In der Praxis führte dies in vielen Fällen zu einem Tatbestandausschluss, in dem das Opfer sich nur subjektiv in schutzloser Lage wähnte.

Drittens die Furcht vor Beeinträchtigung, die keine Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte darstellen, also in Fällen, in denen der Täter zwar weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer lediglich wegen des Vorliegens besonderer Umstände keine Gegenwehr leistet, etwa wenn der Sporttrainer droht, eine Spielerin beim Endspiel nicht aufzustellen.

Viertens die mangelnde Finalität zwischen Gewalt oder Drohung und der sexuellen Handlung. Als Beispiel sei hier der Fall genannt, in dem der Täter Gewalt ausübt, indem er das Opfer in einem umschlossenen Raum einschließt, das Abschließen jedoch nicht der Ermöglichung der sexuellen Handlung, sondern nur dem Zwecke dient, ungestört zu sein.

Dieser und anderer Fallkonstellationen hat sich das BMJV angenommen, und es hat aus meiner Sicht einen guten und fundierten Gesetzentwurf vorgelegt, der bestehende Regelungslücken in Kürze schließen wird.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn? Sie geben hier an wie ein Sack Flöhe, aber wo ist er denn? Der Minister ist nicht da, der Gesetzentwurf ist nicht da!)

– Frau Künast,

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Der Tonfall geht mir echt auf den Senkel!)

Sie müssen uns nachsehen, dass wir an der Stelle versuchen, einen vernünftigen Gesetzentwurf vorzulegen. Unser Ziel ist es nicht, vor Beginn einer Sitzungswoche am Samstag in den Spiegel zu kommen und zitiert zu werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie mir mal die Pressearbeit Ihres Ministers erklären, der jedes Wochenende abwechselnd die zwei gleichen Themen verkauft, und zwar seit zwei Jahren! Und er hat trotzdem nichts durchgesetzt!)

– Wir freuen uns, dass Sie verspätet zur Debatte gekommen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die SPD schreibt aus meiner Sicht Opferschutz groß. Um es mit den Worten von Bundesjustizminister Heiko Maas zu sagen:

Vorfahrt für Opferschutz: Keine Vergewaltigung darf straflos bleiben.

Zuletzt möchte ich aber doch noch ein paar Worte an unseren Koalitionspartner richten. Ich freue mich sehr, dass die CDU/CSU-Fraktion – das ist gerade deutlich geworden – den Gesetzentwurf unterstützt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welchen denn? Der liegt doch gar nicht vor! Der ist doch einkassiert vom Kanzleramt!)

Ich hoffe allerdings auch – Frau Winkelmeier-Becker, ich nehme Sie da beim Wort –, dass Sie zügig dafür sorgen werden, dass das Bundeskanzleramt die Blockade aufgibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Hoffmann hat gerade gesagt, dass er an der einen oder anderen Stelle im Detail ein paar Bedenken hat. Ich hoffe, das können Sie beide aber intern klären. Denn Sie haben gesagt, dass der Entwurf schon beratungsfähig ist. Insofern hoffe ich, dass wir ihn schnellstmöglich auf den Weg bringen, dass das Bundeskanzleramt die Blockade aufgibt und wir dann hier über einen guten und gelungenen Gesetzentwurf des BMJV diskutieren können.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie sich aber gerade widersprochen!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt darauf an, den Gesetzentwurf auch durchzukriegen und nicht nur in der Zeitung zu sein!)

Vielen Dank. – Frau Kollegin Künast, können wir uns jetzt darauf einigen, dass jetzt vor allen Dingen die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort hat?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sowieso! Das entscheiden ja Sie!)

Bitte schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5892169
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung
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