01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 9

Sylvia PantelCDU/CSU - Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre für mich als Nichtjuristin jetzt etwas schwierig, auf diese fachlichen Dispute einzugehen. Ich werde es gar nicht erst versuchen.

Die Regeln des Strafgesetzbuches sind nicht bloße Strafandrohungen, sondern sie versprechen Schutz: das Gefühl für jeden von uns, dass uns schon niemand das, was verboten ist, antun wird, Schutz vor Gewalt, Schutz vor Übergriffen, Schutz, den uns der Staat dadurch gewährt, dass er diejenigen bestraft, die unsere Rechte verletzen. Die Strafandrohung des Gesetzes dient also der Abschreckung. Der 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches, um den es hier heute im Wesentlichen geht, trägt die Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Ich glaube, hier ist niemand im Raum, der nicht auch die Meinung vertritt, dass ein Nein ein Nein ist; da sind wir alle uns völlig einig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

2014 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik in Deutschland 12 537 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses erfasst. Das Sexualstrafrecht wurde in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicherweise immer mehr in Richtung Selbstbestimmung der Frau geändert. „ Mein Körper gehört mir!“ – schon vor fast zwanzig Jahren engagierte ich mich in Düsseldorf für ein gleichnamiges Projekt an Schulen, für die Frauenhäuser und für Angebote, die Frauen vor Gewalt schützen. Daher kenne ich zu viele Schilderungen von Gewalterfahrungen aus direkter Erzählung.

Die Normen zur Bestrafung von sexueller Nötigung und Vergewaltigung setzen bei ebenjener Selbstbestimmung über den eigenen Körper an. Der Grundgedanke hinter § 177 ff. StGB, auf die sich dieser Antrag hier heute bezieht, war Schutz – Schutz davor, gegen den eigenen Willen mit einem anderen Menschen Sex haben zu müssen oder sexuell genötigt zu werden. In der Wirklichkeit ist das aber oft schwer nachzuweisen. Damit ein Vergewaltiger auch als solcher bestraft wird, muss sich das Opfer deutlich sichtbar und körperlich gegen die Vergewaltigung gewehrt haben. Lässt das Opfer die Tat über sich ergehen, weil Schlimmeres befürchtet wird, kann es durchaus sein, dass keine Vergewaltigung im tatbestandlichen Sinne vorliegt. Das Gesetz sorgt also auf den ersten Blick dafür, dass nicht all das bestraft wird, was wir unter Strafe stellen wollen. Dabei ist eben genau das die Aufgabe des Rechts.

Das Recht muss jedem von uns genau und eindeutig aufzeigen, wo die Grenze zwischen legal und illegal verläuft. Ein Gesetz muss eindeutig sein, sagen, was erlaubt und was verboten ist. Mit Artikel 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, genannt Istanbul-Konvention, haben wir uns als Vertragsstaat dazu verpflichtet, jede Form des nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs unter Strafe zu stellen.

Aber was genau ist denn nun einvernehmlicher Geschlechtsverkehr? Das klingt zunächst einfach und offensichtlich. Wir alle haben auf die eine oder andere Weise ein Bild von zwei aufgeklärten Menschen im Kopf, die sich einig sind, dass sie miteinander schlafen wollen. Wir gehen also bisher grundsätzlich davon aus, dass zwei Menschen, die miteinander Sex haben, dies einvernehmlich tun.

Die bisherige Regelung nahm an, dass einer der beiden deutlich und eindeutig gezeigt haben musste, keinen Sex haben zu wollen, damit es strafrechtlich betrachtet eine Vergewaltigung war. In der extremsten Ausprägung der Veränderung könnte dieses Prinzip nun umgedreht werden: Geschlechtsverkehr wäre so lange ein Verbrechen, wie nicht beide Seiten offensichtlich und eindeutig bekundet haben, dass sie Sex haben wollen. Wie also sollte diese Bekundung aussehen?

An amerikanischen Universitäten betreibt das „Affirmative Consent Project“ eine Kampagne, bei der Studenten neben einem Kondom und wichtigen Aufklärungshinweisen auch einen Vertragsvordruck bekommen, auf dem sie beide schriftlich bestätigen, im Anschluss an die Unterschrift miteinander Geschlechtsverkehr haben zu wollen. Was aber würden wir machen, wenn einer Frau nach der Unterschrift unter die Einwilligung Gewalt angetan würde? Das heißt: Wenn man unterschrieben hat, könnte danach gemacht werden, was man wollte, auch wenn die Frau Nein sagt? – Hätten wir da nicht ein noch größeres Beweisproblem? Die Beweislage ist extrem schwierig. Deshalb lassen wir uns mit dem Gesetz noch ein bisschen Zeit, bevor wir irgendetwas machen, was hinterher nicht klar und eindeutig ist.

Es wird für die Juristen eine große Herausforderung sein, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die die sexuelle Selbstbestimmung der Menschen schützen und gleichzeitig auch noch lebensnah sind. Immer einen schriftlichen Sexvertrag auszufüllen, mit dieser Idee würden wir nicht einmal bei meinem Berichterstatterthema, dem Prostituiertenschutzgesetz, ernst genommen werden.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon redet ja auch keiner! Quatsch!)

In der Praxis ist an solche Maßnahmen kaum zu denken. Als Gesetzgeber wollen wir ja auch vermeiden, dass die Anzeige wegen sexueller Nötigung leichtfertig und unbegründet als Mittel genommen wird, um eventuell einem ehemaligen Partner zu schaden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen anderen Punkt anbringen. Das Strafbedürfnis des Staates und die Genugtuung des Opfers, wenn der Täter hinter Gittern landet, sind nur die eine Seite der Medaille. Es muss auch mehr für die Opfer selbst getan werden. Häusliche Gewalt ist oft ein erster Schritt auf dem Weg zur Vergewaltigung in den eigenen vier Wänden. Wenn wir als Gesellschaft besser hinhören und hinschauen, wenn wir aufpassen, wo Gewalt gegen Frauen passiert, und einschreiten, dann können wir eventuell Vergewaltigungen verhindern. Das Hilfetelefon bietet von Gewalt betroffenen Frauen eine niederschwellige Anlaufstelle. Frauenhäuser, Beratungsstellen und psychologische Betreuung sind neben Polizei und Staatsanwaltschaft wichtige Aspekte beim Opferschutz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit einer gesetzlichen Neuregelung des Sexualstrafrechts müssen wir zeigen, dass Vergewaltiger hart bestraft werden. Umgekehrt darf das Gesetz keine Anreize für Missbrauch und falsche Verdächtigungen setzen. Die Koalitionsfraktionen legen daher Wert darauf, eine gute, ausgewogene und lebensnahe Reform der Strafverfolgung von sexueller Nötigung vorzulegen.

Im Ziel sind wir uns alle einig: Bei dieser Reform muss Lebensnähe vor Wortklauberei stehen, es muss Qualität vor Geschwindigkeit stehen. Wir sind der Ansicht, der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist noch nicht ausgereift genug. Ich hoffe, dass wir alle miteinander am Ende der Beratungen einen wirklich guten Gesetzentwurf verabschieden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Schutz von Frauen muss ganz vorne stehen!)

Herzlichen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt spricht jetzt Christina Jantz, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5892170
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung
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