01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 13

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung

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Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen die Arbeitslosenversicherung gerechter machen, schreiben Sie. Ich nehme Ihnen dieses Ziel auch ab. Das Problem ist aber, dass Sie mit Ihren Vorschlägen die Beitragszahler, also die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, belasten. Und das wollen wir nicht, und das wollen wir gerade jetzt nicht, wo wir am Arbeitsmarkt doch vor großen Herausforderungen stehen.

Sie selbst wissen doch gut – Sie waren ja auch einmal in Regierungsverantwortung –, dass bei Sozialversicherungen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden des Einzelnen zählt, sondern die Stabilität des Systems insgesamt mindestens genauso wichtig ist.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn  [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)

Nicht umsonst haben Sie selbst damals die Rahmenfrist auf zwei Jahre gesenkt und die Anwartschaftszeit bei zwölf Monaten belassen. Das hat Früchte getragen. Seit mittlerweile fast fünf Jahren ist der Beitragssatz stabil niedrig. So können Millionen deutscher Arbeitnehmer trotz niedriger Beiträge auf die Arbeitslosenversicherung setzen, falls sie ihre Arbeitsstelle verlieren.

Sie haben gesagt, dass Übertreibung nicht Ihre Art ist, aber ein bisschen dick aufgetragen haben Sie schon. Es ist ja nicht so, dass sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen zehn Jahren so radikal verändert hätte, wie Sie es dargestellt haben.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Doch! Die prekäre Beschäftigung hat gravierend zugenommen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Massenweise sachgrundlose Befristungen!)

Und von einer Delegitimierung der Arbeitslosenversicherung kann nicht die Rede sein. Das beweisen im Übrigen auch die Zahlen. Der Anteil der Empfänger von Arbeitslosengeld I an der Gesamtzahl der Arbeitslosen ist seit 2011 sogar gestiegen. Die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die es zweifelsohne gibt, verhindert nicht, dass man innerhalb von 24 Monaten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann. Das ist auch möglich, wenn man in Teilzeit arbeitet oder wenn man befristet beschäftigt ist.

Es gibt also schlichtweg keinen zwingenden Grund, die Anwartschaftszeit auf vier Monate zu senken. Es gibt im Gegenteil einige gute Gründe, die dagegen sprechen. Zwei will ich Ihnen nennen.

Erstens. Ihre Pläne würden allein für das Arbeitslosengeld pro Jahr mehr als 1 Milliarde Euro verschlingen. Das würde vor allem die Beitragszahler belasten. Arbeitnehmer hätten weniger Netto vom Brutto. Die Lohnnebenkosten würden steigen und damit würde vermutlich die Nachfrage nach Arbeitskräften abnehmen. Das wäre ein fataler Effekt.

Zweitens. Die Senkung der Anwartschaftszeit auf vier Monate würde die Möglichkeit eines ständigen Wechsels von Kurzzeitbeschäftigung und ALG‑I‑Bezug eröffnen. Es ist natürlich verlockend, wenn der Durchschnittsverdiener nach vier Monaten Arbeit und insgesamt rund 300 Euro Beitrag in den folgenden zwei Monaten zusammen mehr als 3 500 Euro ALG I bekommt. So, meine Damen und Herren, kann eine Sozialversicherung sicher nicht funktionieren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Schauen Sie doch nach Frankreich! Dort gibt es die niedrige Anwartschaftszeit von vier Monaten, und zwar nur dort in der EU. Die Arbeitslosenversicherung häuft dort Jahr für Jahr Milliardendefizite an und hat einen doppelt so hohen Beitragssatz wie bei uns.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben alle möglichen Leute in Hartz IV gedrängt!)

Da wundert es uns nicht, dass die französischen Politiker die deutschen Reformen durchaus als Vorbild für ihre Arbeitslosenversicherung sehen. Warum sollten wir also einen Schritt zurückgehen?

Die momentane Regelung liefert Anreize, um dauerhafte Beschäftigung zu erhöhen und den Missbrauch auf Kosten der Beitragszahler so niedrig wie möglich zu halten. Die bestehenden Sonderreglungen, die Sie nur ganz kurz erwähnen, machen durchaus dort Ausnahmen, wo wir sie brauchen, etwa im Kulturbereich.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,6 Prozent der Fälle, die Sie selbst definieren!)

Eine Sonderregelung für überwiegend kurzzeitig Beschäftigte soll dort speziellen Erwerbsbiografien Rechnung tragen, etwa bei Schauspielern, die immer wieder nur kurze Engagements haben. Sie haben einen Anspruch auf ALG I nach sechs statt der üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit. Wir bleiben also dabei: Wir wollen Ausnahmen dort, wo es strukturelle Nachteile auszugleichen gilt, wollen aber nicht die arbeitsmarktpolitischen Reformen, an denen Sie selbst mitgewirkt haben, generell zurückdrehen. Unser Arbeitsmarkt und unsere Sozialversicherungen stehen derzeit gut da. Das wollen wir nicht aufs Spiel setzen.

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ralf Kapschack, SPD‑Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5892659
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung
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