Katharina LandgrafCDU/CSU - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2015
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Zahlenspiele zum Stand der deutschen Einheit sind nicht mein Ding. Die überlasse ich gerne den Wirtschaftspolitikern.
Es gibt zu unserem heutigen Thema viele kräftige schwarze Zahlen, die mein Kollege Hauptmann schon in die Debatte eingebracht hat. Die roten Zahlen überlasse ich gerne der Opposition; denn ich will Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Show stehlen. Die goldenen Zahlen, die den Gesamterfolg des Unternehmens deutsche Einheit untermauern, entnehmen Sie bitte dem Jahresbericht der Bundesregierung.
Daneben gibt es auch noch die grünen Zahlen. Die überlasse ich nicht der Grünenfraktion; die lasse ich mir nicht streitig machen. Grüne Zahlen sind für mich beispielsweise die Milliardensummen für die Bergbausanierung seit 1991.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Freese [SPD])
Mein Wahlkreis Leipzig‑Land profitiert von diesem wohl stärksten Programm für den Osten.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber schauen Sie einmal nach Bayern!)
Kommen Sie einmal nach Ostdeutschland und nach Mitteldeutschland. Das müssen Sie sehen! Hier ist eine völlig neue Landschaft entstanden. Die Wunden der DDR-Wirtschaft sind hier geschlossen.
(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Sicherlich schon vergessen ist, dass hier über 40 000 Bergleute über Nacht ihren Job verloren haben. Nicht vergessen werden darf, dass der deutsche Sozialstaat mit seinen Sozialsystemen und die vielen engagierten Gewerkschafter und Betriebsräte den Prozess des Wandels mit viel Weitsicht getragen haben. Ganz persönlich sage ich hier meinem SPD-Kollegen Ulrich Freese ein herzliches Dankeschön. Er ist ein Gewerkschaftsmann der ersten Stunde, der mit all seinen Erfahrungen und seinem Engagement zu uns in den Osten gekommen ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das war und ist gelebte Solidarität unter Deutschen, die aus zwei völlig verschiedenen Welten zueinander gefunden haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Landwirtschaftspolitikerin greife ich hier ein besonderes Thema der deutschen Einheit auf: die Landwirtschaft. An diesem Wochenende feiern wir in allen Regionen Deutschlands das Erntedankfest. Der Geburtstag der deutschen Einheit passt dazu. Wir alle sagen den unzähligen Menschen Dank, die sich Tag für Tag um landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel kümmern – bei jedem Wetter und zu allen Zeiten. Ihnen gebühren dafür Achtung und Anerkennung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wer jedoch meint, man könnte die Landwirtschaft in Deutschland wie andere Wirtschaftszweige zurückbauen, der ist auf dem berühmten Holzweg; denn zu den wichtigsten Lebensthemen gehört die Ernährung der Menschen. Das ist für uns in der Union ein fundamentaler Wert. Die Landwirtschaft darf kein Spielball von Ideologen sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die Landwirtschaft in den jungen Bundesländern war der Eintritt in das geeinte Deutschland eine unglaubliche Herausforderung. Es war am Ende eine ganz spezielle Reifeprüfung. Kurz und knapp: Der Systemwandel ist gelungen. Er hat vor allem in den 90er-Jahren viel Kraft gekostet. Die Landwirtschaft im Osten ist heute modern und leistungsstark. Sie ist und bleibt der entscheidende Faktor für lebendige ländliche Räume. Heute können wir sagen: Die gesamte deutsche Landwirtschaft ist gelebte Einheit in Vielfalt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Augenblick hier und jetzt empfinde ich persönlich als Gnade. Die gibt es in der grauen und ungeliebten Politik auch.
Am Abend des 2. Oktober 1990 stand ich auf den Stufen des Reichstages und blickte in Richtung Westen. Ich sah auf eine riesige, fröhliche Menschenmenge, die zu uns herauf Richtung Osten blickte. Wir Volkskammerabgeordnete waren an diesem historischen Abend mit unserer Arbeit fertig. Um Mitternacht war mein Arbeitsplatz in Berlin weg, das Mandat der Volkskammer war erloschen. Wir haben uns selbst abgeschafft.
Auf diesen Augenblick haben wir ein gutes halbes Jahr hingearbeitet. So kann eine Diktatur auch enden: ohne einen Schuss, aber mit riesigem Feuerwerk, friedvoll und mit vielen Tränen der Freude.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben damals in Ost und West als Gesellschaft und als Politik die Reifeprüfung bestanden. Und dafür gebe ich noch heute allen Beteiligten die Bestnote. Das Verhalten der Akteure und der gesamte Prozess waren lobenswert: Anders kann ich die Vereinigung in Frieden, Recht und Freiheit nicht bezeichnen. Es ist damals etwas geschehen, was es in der Geschichte so noch nie gegeben hat. Ohne Gewalt vereinte sich eine geteilte Nation mit einer eigenen, einer souveränen Entscheidung.
Meine Anmerkungen hier sind persönliche Reflexionen auf das Gestern und auf unser Heute. Ich möchte aus dem damaligen Geschehen Schlüsse ziehen für unsere heutige Zeit. Die Kreativität der Volkskammer von 1990, mit Problemen des Landes umzugehen, ist ein bleibender Wert. Ich wünschte mir eine solche Arbeitsweise auch für unsere Tage in der gesamten Politik.
Deutschland ist nicht mehr eine Insel der Glückseligkeit. Die Nöte und das Elend in anderen Regionen der Welt sind plötzlich durch unzählige Hilfesuchende in unserem gut bestellten Hause präsent. Für diese neue Situation haben wir genau genommen keine Rezepte. Die hatte die Volkskammer damals auch nicht. Wir sahen zwar das Ziel, aber nicht den Weg dorthin. Also haben wir einfach losgelegt. Da gab es keine Konjunktur für Bedenkenträger. Die eigentliche Arbeit zur Gestaltung der Einheit wurde ein gemeinsamer Lern‑ und Lebensprozess.
Details erspare ich mir; auch die Diskussion über Gelungenes oder über Webfehler der Einheit. Viel wichtiger ist die staatliche und private Solidarität zwischen den Ländern und den Menschen in West und Ost. Immerhin sollte der Wandel für alle verträglich, erträglich und am Ende auch einträglich sein. Und das war er zumeist, trotz zahlreicher Schicksale von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Wir haben in den zurückliegenden 25 Jahren im geeinten Deutschland ein Gemeinwesen geformt, das von den Grundwerten des christlichen Abendlandes geprägt ist. Der Fleiß der arbeitenden Menschen hier in Deutschland, die engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherten und sichern dem Land und seinem Staatswesen eine starke, tragfähige Basis. Die politische staatliche Einheit ist gegeben.
Wie können wir aber die vorhandenen Entwicklungsdefizite zwischen alten und neuen Bundesländern in den kommenden Jahren überwinden? Können wir das überhaupt mit neuen und mit einem Mehr an Gesetzen leisten? Ich glaube: kaum.
Jetzt zum 25. Geburtstag der Einheit habe ich einen besonderen Wunsch: Es sollte künftig jährlich einen Bericht zur Lage der deutschen Nation geben, der die Entwicklung des gesamten Landes und seine Stellung in Europa und der Welt in den Fokus nimmt. Mit einem scharfen Blick auf die innere Situation des gesamten Landes – und nicht nur des Ostens – wären wir dann ganz bestimmt zu einer besseren und gerechteren Bundespolitik in der Lage. Einen Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation hat es schon einmal gegeben – allerdings für das geteilte Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss und am Vorabend unseres gemeinsamen 25. Geburtstages noch ein Wunsch: Gehen wir auf die Besucherplattform des Reichstages. Von diesem „Dach der Republik“ haben wir einen freien Blick in alle Himmelsrichtungen. Wir schauen nicht mehr nur nach Westen oder Osten. Diesen Weitblick brauchen wir für den Umgang mit der neuen, komplizierten Situation unserer Tage.
Wir stehen wieder einmal vor einer Reifeprüfung, ähnlich wie 1990. Das erfolgreiche geeinte Deutschland ist in der jüngsten Geschichte zu einem starken Magneten geworden. Jetzt steht die Frage im Raum: Halten wir dank unserer gelebten Werte diesem Druck stand, oder stehen wir vor einer noch nie gekannten Spaltung der Gesellschaft? Gibt es eine Spaltung in Offenheit und Ablehnung, in Angst und Gleichgültigkeit, in Akzeptanz und Ignoranz, in Freunde und in Feinde?
Wir müssen antworten – bei all unserer Freude über diesen Tag der Deutschen Einheit erst recht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Poschmann für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5894976 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 128 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2015 |