02.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 128 / Tagesordnungspunkt 19

Jana SchimkeCDU/CSU - Renten in Ostdeutschland

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen eine sehr interessante, sehr aufschlussreiche Debatte geführt, weil wir morgen unseren Nationalfeiertag begehen und 25 Jahre deutsche Einheit feiern. Diese Debatte hat vor allem eines deutlich gemacht: Sie hat nicht das gezeigt, was Kollege Bartsch gerade dargestellt hat – wo Unterschiede bestehen –, sondern sie hat gezeigt, wo wir einig geworden sind, wie weit wir letztendlich vorangekommen sind.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es gibt auch noch Unterschiede!)

Das Projekt „Deutsche Einheit“ zielt darauf ab, Einheit zu schaffen. Wenn man zwei unterschiedliche Staaten zusammenführt, dann ist es schlichtweg nicht möglich, dafür zu sorgen, dass sich wirklich jeder Einzelne bis ins letzte Detail mit all seinen Interessen wiederfindet.

(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Genau!)

Es geht darum, eine gesamte Gesellschaft zusammenzuführen. Wir erleben das bei unserer Arbeit täglich, wenn wir mit Bürgerinitiativen oder mit größeren Gruppen von Menschen sprechen: Es ist nie möglich, für alle immer das Bestmögliche zu erreichen. Letztendlich kommt es in einer Demokratie aber darauf an, dass sich die Mehrheit wiederfindet und dieses System akzeptiert. Ich glaube, da sind wir nach 25 Jahren sehr weit gekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe es schon einmal gesagt: Die Wiedervereinigung war ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt – das muss man so deutlich sagen –, auf den ganz Deutschland, auf den wir alle sehr stolz sein können. Wir können insbesondere auf die politische und die soziale Einheit stolz sein, die von den Kollegen der Linken immer wieder in Zweifel gezogen und abgelehnt wird.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Rede für die Debatte heute Morgen! Wir sind jetzt bei einem anderen Thema! Sagen Sie doch mal was zu den Unterschieden!)

Gerade im Bereich der sozialen Einheit sind wir sehr weit vorangekommen; das gilt es auch anzuerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten sozialpolitischen Entscheidungen der deutschen Einheit war das Renten-Überleitungsgesetz. Es steht für eine großartige Leistung aller Versicherten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Letztendlich kam es ja darauf an, zwei unterschiedlich aufgebaute und finanzierte Sozialsysteme miteinander in Einklang zu bringen, und das vor dem Hintergrund einer heruntergewirtschafteten DDr. Wer glaubt denn ernsthaft, dass solch ein Prozess ohne Nachteile für den einen oder anderen vonstattengeht? Es war und ist schlichtweg nicht möglich, alle Härte- und Einzelfälle sowie die damals entstandenen Ansprüche des einen Systems abzubilden. Ganz ehrlich: Bei der Frage, wie wir unser Rentenrecht ausgestalten, kam es eben nicht darauf an, ob jemand „staatsnah“ war. Das sehen wir gerade auch bei der Vielzahl an Gruppen, die heute mitunter noch ihr Recht einklagen. Es ging um die gesamte Gesellschaft und nicht darum, was jemand geleistet oder auch nicht geleistet hat.

Dennoch ist es nachvollziehbar, dass sich Betroffene durch entsprechende Regelungen benachteiligt fühlen; das gebe ich durchaus zu. So nehmen wir zum Beispiel das Anliegen der DDR-Flüchtlinge sehr ernst.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! Nicht nur ernst nehmen!)

Wir alle wissen, dass diese Menschen sehr viel gewagt und auch aufgegeben haben. Aber das Fremdrentengesetz galt als Ausnahmetatbestand und war ausweislich der Gesetzesbegründung von Beginn an nur als Übergangslösung vorgesehen. Auch das gehört zur Wahrheit, und auch das muss gesagt werden. Sie werden dadurch nicht zu Bürgern der DDR gemacht, wie es oftmals von der Linken behauptet wird.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

Was geschieht, ist lediglich, dass man bei der Rentenberechnung an Sachverhalte aus DDR-Zeiten anknüpft. Aber sie werden nicht zu Bürgern der DDR gemacht, meine Damen und Herren.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sind wir alle nicht mehr!)

Auch bei den in der DDR Geschiedenen ist die Lage eindeutig. Man muss wissen, dass das Recht in der DDR im Scheidungsfall keinen Versorgungsausgleich kannte. Deshalb wurde er auch mit dem Renten-Überleitungsgesetz nicht nachträglich eingeführt.

Kollegin Schimke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Matthias W. Birkwald?

Gerne. – Herr Birkwald.

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt, die soziale Einheit sei sehr weit gediehen und wir Linken würden das nicht anerkennen. Dazu möchte ich zunächst einmal sagen, dass wir gerade, was die Rentnerinnen und Rentner angeht, sehr wohl anerkennen, was mit der Überleitung geleistet worden ist, dass es für viele Rentnerinnen und Rentner deutliche Verbesserungen gegeben hat. Das erkennen wir ausdrücklich an. Aber wir kritisieren die Lücken und die Ungerechtigkeiten, die es in diesem Prozess in der Vergangenheit gegeben hat und die es heute noch gibt, und das machen wir ebenso deutlich.

Eben haben Sie von denen gesprochen, die aus der DDR – in der Regel aus guten Gründen – geflohen sind und heute, wie Kollege Bartsch vorhin ausgeführt hat, zum Teil 500 Euro Rente im Monat weniger bekommen. Nur für alle Menschen, die bis 1936 geboren wurden, gab es einen entsprechenden Schutz. Wer nach 1936 geboren wurde und aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen ist, dem wurde zugesichert: Du bekommst dieselbe Rente, als wenn du hier immer als Ingenieur, Krankenschwester oder Lehrerin gearbeitet hättest. – Das ist aber nicht der Fall. Diese Betroffenen sagen selbst: Wir werden nachträglich wieder zu DDR-Bürgerinnen und -Bürgern gemacht, zu Bürgern des Staates, aus dem wir geflohen sind. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich habe noch eine andere Frage. Wir haben am 12. Juni 2015 einen Beschluss des Bundesrates auf den Tisch bekommen, in dem der Bundesrat die Bundesregierung auffordert, mit den Vorbereitungen zur Vereinheitlichung der Rentenwerte nicht erst 2016, sondern umgehend zu beginnen. In der Stellungnahme der Bundesregierung dazu heißt es: Nö, das haben wir gar nicht nötig. – Die Zeitung Die Welt wiederum schrieb am 21. September, dass es einen gemeinsamen Antrag

(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

der Koalition gibt – Sie haben gerade auf die Debatte von heute Morgen Bezug genommen –, worin steht, dass die Bundesregierung sofort mit der Teilangleichung beginnen soll.

(Dr. Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Da müsste die Sitzungsleitung reagieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben keine Redezeit!)

Ich habe es in der Drucksache nachgelesen: Der Satz steht nicht mehr drin. Bitte erklären Sie uns, warum Sie die Ostrentnerinnen und Ostrentner im Regen stehen lassen und sie auf 2019 vertrösten. Alle Erfahrung sagt uns: Das wird wieder nichts.

Kollege Birkwald.

Die Kanzlerin hat es vor zehn Jahren versprochen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie hatten die Chance, zu wählen, ob Sie eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen. Aber Sie sollten das dann auch deutlich machen.

Herr Birkwald, vielen Dank für Ihre Anmerkungen, die ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen habe. Was wir in Bezug auf die Angleichung der Renten im Jahr 2016 tun, ist, uns an den Koalitionsvertrag zu halten.

(Beifall der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD])

So ist es auch in unserem Antrag, den wir heute Morgen beraten haben, festgehalten. Wir werden uns im kommenden Jahr mit diesem Thema auseinandersetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich war in meinen Ausführungen bei den in der DDR Geschiedenen stehen geblieben. Zur Erinnerung: Der Versorgungsausgleich wurde in der alten Bundesrepublik 1977 eingeführt. Die Gesetzgeber haben sich damals darauf verständigt, dass der Versorgungsausgleich nur für Ehen gilt, die ab diesem Zeitpunkt geschieden wurden. Somit können auch die in Westdeutschland vor diesem Stichtag geschiedenen Ehepartner nicht von der Regelung des Versorgungsausgleichs profitieren.

Auch die Mütterrente ist heute wieder Gegenstand unserer parlamentarischen Debatte. Ja, es stimmt, dass eine Rentnerin im Osten 27 Euro und im Westen 29 Euro Mütterrente pro Kind erhält, und ja, wir wissen, dass dies ein Unterschied ist, der uns perspektivisch nicht zufriedenstellen kann. Aber wir haben bei der Einführung der Mütterrente nichts anderes gemacht – das adressiere ich gerade auch an die Linke, die uns immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert –, als uns schlichtweg an geltendes Recht zu halten.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind der Gesetzgeber! Wir können geltendes Recht ändern! Dazu sind wir da!)

Wir haben geltendes Recht eingehalten und angewandt.

Natürlich würden wir uns auch wünschen, dass Ost und West 25 Jahre nach der Wiedervereinigung keine Unterschiede mehr aufweisen. Aber wirtschaftlicher Aufschwung und Wachstum – damit hängt die Rentenpolitik nun einmal zusammen – können nicht politisch verordnet werden; ich habe Verständnis dafür, dass man das gerade den Linken immer wieder erklären muss. Wir haben uns doch etwas dabei gedacht, als wir nach der Wiedervereinigung den Hochwertungsfaktor in der Rente eingeführt haben. Auch er ist an die jährliche Lohnentwicklung und damit an die wirtschaftlichen Gegebenheiten unseres Landes angepasst. Der Rentenwert ist nichts anderes als Ausdruck dessen, wo wir momentan stehen, und ich bin davon überzeugt – das ist heute schon in vielen Reden der Kollegen deutlich geworden –: Wir stehen nicht schlecht da. Im Gegenteil: Wir stehen gut da.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben seit der Wiedervereinigung bei der Angleichung der Renten große Fortschritte erzielt. Seit der Wiedervereinigung stiegen die Renten in den neuen Bundesländern um deutlich mehr als 100 Prozent. In den alten Bundesländern hingegen betrug der Anstieg nur 25 Prozent. Der Rentenwert Ost beträgt heute mehr als 92 Prozent, und er steigt jährlich. Wir können uns trefflich darüber streiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich glaube, es ist ersichtlich, dass wir ein großes Stück vorangekommen sind, und absehbar, dass wir jährlich weiter vorankommen. Das sage ich auch den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis immer wieder, und das ist sehr einleuchtend.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die Union!)

Ich kann auch keine spezifische Altersarmut Ost erkennen, von der Sie immer wieder sprechen, Kollegen der Linken. Nur 2,1 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern beziehen Grundsicherung im Alter. In den alten Bundesländern sind es 3,2 Prozent. Auch im Osten gehen die Menschen heute früher in Rente, trotz Abschlägen. Das ist sehr interessant; denn das belegt, dass sich kontinuierliche Erwerbsbiografien lohnen. Das zeigt sich gerade bei den Frauen: Die durchschnittliche Rente von Frauen im Osten ist um 44 Prozent höher als die von Frauen in den alten Bundesländern. Wir reden jedes Jahr im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day auch über den sogenannten Gender Pay Gap, den Einkommensunterschied bei Frauen und Männern, der unter anderem erwerbs- oder berufsbedingt ist. Für den Gender Pension Gap gilt: Auch er ist bei den Rentnerinnen und Rentnern im Osten deutlich geringer als bei den Rentnerinnen und Rentnern in den alten Bundesländern.

Diese Fakten zeigen, dass die Linke mit ihren Anträgen stets versucht, den Osten gegen den Westen auszuspielen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nicht! Im Gegenteil!)

und das auch noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Noch einmal: Niemand behauptet, dass das Rentenrecht im Zuge der Wiedervereinigung alle individuellen Ansprüche berücksichtigte. Den Müttern und Vätern der deutschen Einheit, denke ich, ist es aber hervorragend gelungen, ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen und die soziale Einheit in Deutschland herzustellen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kein einheitliches Rentenrecht! Es gibt zwei Rentenrechte!)

Ich bin der Meinung, dass neben der erneuerten Infrastruktur und den restaurierten Städten, die wir täglich in unseren Wahlkreisen sehen, die Einheit Deutschlands gerade am Rentenrecht ablesbar ist. Diese Einheit zielte von Beginn an darauf ab, Lebensleistung anzuerkennen. Dass wir nach 25 Jahren nach wie vor den Hochwertungsfaktor verwenden, ist nichts anderes als die Anerkennung von Lebensleistung.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den wollen Sie ja abschaffen!)

Natürlich haben wir uns mit unserem Koalitionspartner – die Kollegen haben mich schon darauf angesprochen – auf einen Fahrplan zur vollständigen Angleichung des Rentenwerts verständigt; das ist richtig. Wir werden 2016 den Angleichungsprozess gemeinsam prüfen und schauen, ob eine Angleichung mit Wirkung ab 2017 notwendig ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5897181
Wahlperiode 18
Sitzung 128
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