Martin RosemannSPD - Renten in Ostdeutschland
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Was mich am meisten an dieser Debatte ärgert, ist die Unehrlichkeit, mit der Sie hier auftreten; denn Sie haben mit keinem Satz erwähnt, dass der Höherwertungsfaktor für die Einkommen in Ostdeutschland deutlich höher ausfällt als die Differenz zwischen den Rentenentgeltpunkten Ost und den Rentenentgeltpunkten West. Das haben Sie nämlich verschwiegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Was Sie wollen, ist ja: Sie wollen den gleichen Rentenwert plus den Höherwertungsfaktor. Das müssen Sie einmal den Menschen beispielsweise in Schleswig-Holstein erklären, die 20 Prozent und mehr weniger verdienen als die Menschen bei mir in Baden-Württemberg, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wissen, dass das falsch ist!)
Ich will mich aber auf Punkt 4 Ihres Antrages konzentrieren. Das ist das Thema „DDR-Übersiedler und Rentenüberleitung“, also das Thema, das wahrscheinlich das größte politische Interesse, das größte öffentliche Interesse erfährt. Ich selber wurde mit diesem Thema konfrontiert, weil ich einen Herrn kennengelernt habe, der 1984 aus der DDR übergesiedelt ist. Nennen wir ihn Herrn Meyer. Er stellte nun bei Renteneintritt fest, dass die Rente nicht so hoch ausgefallen ist, wie er sich das immer dachte. Der Grund dafür ist, dass für diejenigen, die vor 1989, als es die DDR noch gab, in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, das Fremdrentengesetz galt. Das heißt, da DDR-Beschäftigungszeiten nicht direkt erfasst werden konnten, wurden ihnen fiktive Tabellenentgelte zugeordnet, die dem durchschnittlichen Verdienst einer vergleichbaren Tätigkeit in der Bundesrepublik entsprachen.
Es ist schon gesagt worden: Mit der Wiedervereinigung wurde dann ein einheitliches Rentenrecht geschaffen, das SGB VI. Damit wurden für alle Bürgerinnen und Bürger, alt wie neu, Ost wie West, für die Rentenberechnung auch die tatsächlichen Einkommen herangezogen. Diese Regelung – das ist sicher richtig – war für Herrn Meyer mit finanziellen Einbußen verbunden. Meine erste Reaktion war auch: Das ist eine Ungerechtigkeit. Hier müssen wir etwas tun. – Ich weiß, dass es quer durch alle Fraktionen vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus so gegangen ist. Ich habe mich dann – wie viele von Ihnen auch – sehr intensiv damit beschäftigt. Mein Fazit vorneweg: Es gibt keine gerechte Lösung für dieses Problem, zumindest keine, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das erste Problem ist die Abgrenzung der Gruppe, die da überhaupt erfasst werden soll. Ein erster Anhaltspunkt könnte ja sein, diejenigen davon profitieren zu lassen, die einen sogenannten Feststellungsbescheid bekommen haben. Aber eben nicht alle, die vor dem Mauerfall in den Westen gegangen sind, gerade in den Wendemonaten kurz vor dem Mauerfall, haben einen Feststellungsbescheid bekommen.
Deswegen wäre die Alternative vielleicht ein Stichtag.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Vorschlag der SPD in der letzten Legislaturperiode!)
Aber, meine Damen und Herren, welches wäre denn der richtige Stichtag, der Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 oder der Tag des Staatsvertrags am 18. Mai 1990? Gerechter wäre wahrscheinlich das Erste. Aber bisher hat man immer den zweiten verwendet. Alle Stichtage haben auch noch ein Problem; denn es gibt Leute, die gar nicht nachweisen können, an welchem Tag sie eigentlich übergesiedelt sind.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Haarspalterei!)
Noch schwerer wiegt aber, dass es neue Ungerechtigkeiten gegenüber anderen Personengruppen geben würde: gegenüber den SED-Verfolgten mit einem vergleichbaren Versicherungsverlauf, vor allem dann, wenn diese weder in ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem noch in die freiwillige Zusatzrentenversicherung der DDR eingezahlt haben. Sie wären auch deutlich bessergestellt als in der DDR Gebliebene, beispielsweise Leute, die auch flüchten wollten, denen die Flucht aber nicht geglückt ist oder denen die Ausreise nicht genehmigt wurde. Schließlich wären sie auch gegenüber der großen Gruppe der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion bessergestellt. Für die gilt nämlich weiterhin das Fremdrentenrecht, allerdings bekommen sie nur noch 60 Prozent von den ursprünglichen Tabellenentgelten.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehört die Sowjetunion zu Deutschland, oder ist das nicht der Fall? Das ist doch ein ganz anderer Fall! Es ist eine unerhörte Geschichte, dass sich DDR-Flüchtlinge durch die Einheit verschlechtert haben!)
Seit Anfang der 90er-Jahre ist es nämlich auch im Fremdrentenrecht zu Verschlechterungen gekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Eines kommt noch hinzu: Im Fremdrentenrecht wurden Frauen gegenüber Männern systematisch benachteiligt, weil Frauen im Westen auch in den gleichen Berufen im Durchschnitt weniger verdient haben als Frauen im Osten. Würde man zum Fremdrentenrecht zurückkehren, dann wäre das eine Diskriminierung von Frauen, die vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich keinen Bestand haben könnte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt sogar Frauen, die sich durch den Vorschlag systematisch schlechterstellen würden. Herr Birkwald, Sie würden dann bestimmt gleich „Günstigerprüfung“ rufen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)
Ich will Ihnen sagen: Wenn wir im Rentenrecht an einer Stelle mit der Günstigerprüfung anfangen, dann müssen wir für jeden Fall, für jede Personengruppe und für jede Rechtsänderung zukünftig Günstigerprüfungen einführen. Das Ergebnis wäre, wir könnten das Rentenrecht überhaupt nicht mehr ändern.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig normal! Die gibt es ständig!)
Ich komme zum Schluss. Es gilt nun einmal der Grundsatz, dass immer das Rentenrecht gilt, das in dem Moment im Gesetzblatt steht, in dem man in Rente geht. Das müssen wir all denjenigen, die davon betroffen sind, der Ehrlichkeit halber auch sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Weil Sie – auch die Kollegen von den Grünen – sagen, Sie wollen dazu wieder einen Antrag vorlegen: Ich finde, wir sind es den Betroffenen – wie meinem Herrn Meyer – 25 Jahre nach der deutschen Einheit schuldig, hier eine endgültige Entscheidung zu treffen,
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, zu seinen Gunsten!)
auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle hart ist. Eine ehrliche Entscheidung, wie Kollegin Wolff gesagt hat, ist besser.
Kollege.
25 Jahre nach der deutschen Einheit, denke ich, brauchen diese Leute eine klare Antwort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5897249 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 128 |
Tagesordnungspunkt | Renten in Ostdeutschland |