Ulla Schmidt - Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine sehr große humanitäre Aufgabe vor uns. Damit, dass Hunderttausende, vor allen Dingen viele junge Menschen, deren Bildungsbiografien wir anerkennen müssen, in unser Land kommen, müssen wir umgehen. Es ist natürlich allen klar, dass es in den Gesprächen zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten jetzt vor dem Winter um die akute Versorgung mit Wohnraum, mit Essen und Trinken geht; denn das ist im Moment das akute Problem.
(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD] – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)
– Sehr schön.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, eine solch große Zahl junger Menschen zu integrieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und Integration durch Bildung – da sind wir uns mit den Antragstellern der beiden Anträge, die heute vorliegen, einig –,
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja zustimmen!)
ist die effektivste Form. Deswegen ist das ganz wichtig. Wenn es gelingt, Integration so zu vollziehen, wie wir das vorhaben, dann profitieren alle davon, und zwar nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern das ganze Land. Das ist für mich deswegen eine sehr wichtige Aufgabe.
Sie haben etwas völlig missverstanden.
(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay?)
Wir haben in meinem Haus überlegt: Was muss jetzt sofort passieren? Wir beschäftigen uns nicht erst in Anträgen zum nächsten Haushalt mit der Frage: Wie kriegen wir das Geld, und was können wir stemmen? Ein großes Programm, wie wir es planen, um viele Jugendliche in Arbeit zu bringen, kostet sehr viel Geld. Wir werden darüber diskutieren müssen: Wird das mitgetragen? Ist das möglich? Ist das finanzierbar? Die 130 Millionen Euro für die Integration junger Flüchtlinge legen wir aber sofort auf den Tisch. Wir sagen nicht: „130 Millionen, das ist die Summe, die wir für Bildung brauchen“, und fordern auch nicht nur das im Haushalt. Vielmehr bedarf es einer großen Anstrengung im Haus. Deswegen verwahre ich mich dagegen, dass behauptet wird, dass wir glauben, dass mit 130 Millionen Euro das Problem zu lösen sei. Nein, natürlich nicht!
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist der Anfang!)
Der Bereich Schule liegt natürlich in Länderhand. Sie haben doch mitbekommen, wie viele Milliarden wir letzten Donnerstag beschlossen haben, den Ländern für die Bewältigung der damit zusammenhängenden Aufgaben zu geben. Natürlich ist es klar, dass die Jugendlichen, die schulpflichtig sind, jetzt Schulklassen besuchen müssen. Das ist eine große Aufgabe für die Länder. Das ist aber nicht der Punkt, an dem wir als BMBF sofort aktiv werden können.
Entscheidend sind also drei Punkte: Erwerb der deutschen Sprache, Erkennen der Kompetenzen, also was Ausbildungen, was Qualifikationen hier in Deutschland wert sind und was man damit machen kann, und natürlich Integration in Ausbildung oder Beruf.
Wenn Sie zustimmen, dass es von ganz zentraler Bedeutung ist, die Sprache zu lernen, würde ich mich an Ihrer Stelle nicht lustig darüber machen, dass wir sagen: Wir wollen Hunderttausende junge Menschen, die sich jetzt als Flüchtlinge in Deutschland aufhalten, per App über ihre Smartphones erreichen. Damit haben sie ihre Flucht organisiert; da sind sie wunderbar vernetzt. Ein niedrigschwelliges Angebot für jeden dieser Jugendlichen, der schnell ins Deutsche einsteigen will, ohne dass er Kurse oder sonst etwas besucht, ist ein klasse Angebot. Und das kostet nicht einmal viel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Ministerin, der Kollege Mutlu möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein. Hinterher gerne.
Hinterher geht nicht mehr. Jetzt oder nie.
Gut, okay, dann nicht.
Gut.
Das heißt, es ist genau wie beim Programm Lesestart. Dieses Programm hat bei deutschen Kindern funktioniert,
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hervorragend!)
und wir haben zusammen mit der Stiftung Lesen den Zugang zum ihm sofort auch Flüchtlingskindern ermöglicht.
Den Einsatz von Lernbegleitern finden Sie nicht toll. Wissen Sie denn nicht, was in den Ländern los ist?
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir sehr wohl!)
Haben Sie denn keine Ahnung davon, wie viele Lehrer – ich denke da nicht nur an Deutsch-, sondern auch an andere Lehrer – für diese vielen Willkommensklassen fehlen?
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Doch! Ja, eben!)
Anscheinend haben Sie keine Ahnung davon. Es ist jedenfalls nicht unsere Aufgabe, diese Lehrer einzustellen.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wieder einmal die Länder schuld? – Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE])
Wir aber können zum Beispiel etwas machen, was Sie ebenfalls abgetan haben, nämlich Tausende von Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie jetzt sofort Deutsch als Alltagssprache vermitteln können. Da arbeiten wir mit den Volkshochschulen zusammen. Ich spiele auf die Lernbegleiter an. Das heißt, Menschen, die sich engagieren wollen,
(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können nicht das Ehrenamt immer mehr und mehr fordern!)
bekommen in der Volkshochschule eine Grundausbildung – es geht nicht darum, dass sie Lehrer für Deutsch werden –,
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein wichtiger Unterschied!)
sodass sie in der Lage sind, einer arabischen oder einer türkischen Familie schnell und konsequent etwas klarzumachen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
zum Beispiel, wie man sich in Deutschland bewegt, was für Vokabeln man im Gesundheitssystem braucht, wie man beim Einkaufen zurechtkommt. Das sind praktische Dinge. Sie zu vermitteln, das funktioniert nicht mit Anweisungen von oben, etwa von Lehrern, sondern es muss in der Fläche vermittelt werden. Deswegen ist die Idee, Lernbegleiter auszubilden, richtig gut. Die Volkshochschulen sind, Herr Rossmann, ein breites Netz, das beste, das wir haben. In jedem Landkreis gibt es eine Volkshochschule, und deswegen ist das von mir gerade Dargestellte das Instrument. Das Ganze ist also nicht als Peanuts abzutun; vielmehr steckt dahinter eine kluge Idee. Diese Idee aber hatten wir.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Stichwort „Berufsorientierung“: Wie gelingt es, junge Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen? Alle jungen Flüchtlinge, die jetzt in die Schule kommen und dort normal beschult werden, müssen, wenn sie in der siebten und achten Klasse sind, sofort qualifiziert erfahren, was man in Deutschland lernen kann, welche Berufe es gibt und was man dafür wissen muss. Deswegen führen wir Potenzialanalysen und Berufseinstiegsbegleitungen durch. Die damit verbundenen Maßnahmen haben wir, Frau Nahles und ich, nicht im Rahmen von Modellversuchen getestet; vielmehr haben wir für die Qualifizierung von mindestens 500 000 jungen Leuten im Haushalt 1,2 Milliarden Euro verankert. Diese Mittel stehen sofort zur Verfügung; sie stehen auch zur Qualifizierung jedes Flüchtlingsjungen und jedes Flüchtlingsmädchens zur Verfügung, wenn sie in der entsprechenden Klasse sind.
Wir müssen über die Frage reden: Reicht das? Müssen wir diese Mittel in den nächsten Jahren weiter aufstocken? Im Moment ist dieses Geld auf jeden Fall vorhanden; es ist veranschlagt. Deswegen setzen wir es an dieser Stelle ein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich komme auf etwas zu sprechen, was wir in den letzten Jahren ebenfalls gefördert haben: die KAUSA-Beratungsstellen. Dort motiviert man beispielsweise Unternehmer mit Migrationshintergrund, etwa türkische Gemüsehändler, junge Leute auszubilden.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir müssen da noch etwas mehr tun!)
In KAUSA-Beratungsstellen werden auch Eltern und Großeltern entsprechender Personen mit Migrationshintergrund unterrichtet. Die KAUSA-Beratungsstellen funktionieren. Aber angesichts vieler Tausend Flüchtlinge müssen wir die Zahl dieser Beratungsstellen erhöhen; vielleicht müssen wir sie verdoppeln, verdreifachen
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eher vervierfachen!)
oder vervierfachen, sodass in den Ballungsgebieten qualifizierte Personen vorhanden sind, die das nötige Wissen vermitteln können.
Wenn wir in Deutschland junge Flüchtlinge in Ausbildung bringen wollen, dann müssen wir das Verteilungsproblem lösen. Es gibt unversorgte Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz haben, und gleichzeitig gibt es freie Ausbildungsplätze. Was meinen Sie, wie schwierig es wird, junge Flüchtlinge zum Beispiel nach Mecklenburg-Vorpommern zu vermitteln! Wenn dort ein Maler, ein Bäcker oder ein Fleischer zum allerersten Mal seit Jahren einen Lehrling bekommen soll, dann müssen wir das organisieren. Das ist kein Wünsch-dir-was; das funktioniert nicht automatisch.
Seit dem 1. August 2015 ist für die Geduldeten, also für die, die in ihre Herkunftsländer eventuell zurückgehen müssen, geregelt – es geht nicht um diejenigen, die die Anerkennung haben; diese bekommen vom ersten Tag an nahezu alles, worauf man in Deutschland ein Anrecht hat –, dass sie, wenn sie eine Ausbildung angefangen haben, diese auch abschließen können, da deren Aufenthaltsgenehmigung in diesem Zeitraum sicher ist.
Die Gesetzeslage in Deutschland ist des Weiteren so, wie ich sie jetzt darstelle: Wenn einer eine Ausbildung, etwa als Bäcker, erfolgreich abgeschlossen hat, dann kann er im gelernten Beruf in Deutschland für zwei Jahre ohne Vorrangprüfung und ohne andere Hindernisse arbeiten, wenn er einen Arbeitsplatz hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wenn also ein Bäcker sagt: „Den nehme ich“, dann kann der Geduldete hierbleiben. Wenn der Geduldete zwei Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, dann kann er auch weiterhin in Deutschland bleiben, und dann kann er auch in einem anderen Beruf arbeiten. Wenn er vier Jahre hier war, hat er die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Das ist doch, wie ich finde, eine sehr gute Regelung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Etwas kompliziert! Aber es ist immerhin eine Regelung!)
Meine Damen und Herren, was den gesamten Bereich Anerkennung angeht: Es kommen ja auch Menschen nach Deutschland, die in einem ganz anderen Land einen Beruf erlernt haben. Ein Anerkennungsgesetz in der Form, wie es in Deutschland gilt, gibt es in keinem anderen Land.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Man hat nämlich einen Rechtsanspruch darauf, dass zum Beispiel festgestellt wird, was eine Ausbildung in Syrien als Ingenieur hier in Deutschland wert ist.
Mit diesem Anerkennungsgesetz haben wir auch von Anfang an dem Umstand Rechnung getragen, dass auch Menschen zu uns kommen, die kein Zeugnis mehr haben, die zum Beispiel kein Facharbeiterzeugnis haben, weil es das in ihren Heimatländern vielleicht gar nicht gibt. In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit, durch Arbeitsproben und Fachgespräche festzustellen, ob derjenige schweißen kann oder in der Lage ist, bestimmte Maschinen zu bedienen. Diese Methoden haben wir mit den Handwerkskammern und den IHKs in den letzten Jahren ganz intensiv erprobt, um sicherzustellen, dass überall in Deutschland die gleichen Qualitätsstandards gelten. Diese Methoden können jetzt eingesetzt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
In den Kommunen und Kreisen haben wir ja Bündnisse für Bildung. Ich bin besonders stolz darauf – das sage ich in Richtung Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir jetzt in der Lage sind, über mein Ministerium in 400 Kommunen bzw. Gebietskörperschaften die Koordination der Bildungsangebote für die Flüchtlinge vor Ort zu finanzieren. Das ist wichtig, weil ganz viel parallel läuft. Ich denke, das ist eine handfeste Unterstützung der Kommunen vor Ort, die für die Realisierung zuständig sind und damit zum Teil alleingelassen werden.
Meine Redezeit ist gleich zu Ende. Ich möchte aber noch eine Bemerkung machen: In dem Antrag der SED stand:
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „SED“? – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Der war gut!)
– Ja.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das war ja extrem witzig!)
– Nein, das ist nicht witzig, Frau Gohlke. Die Partei heißt jetzt anders, aber das ist die SED.
(Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Zurufe von der LINKEN)
Sie ist nie aufgelöst worden.
(Karin Binder [DIE LINKE]: 25 Jahre verpennt! Das ist eine Unverschämtheit!)
– Nein. – Heute früh hat jemand hier am Pult gesagt, das sei die Nachfolgeorganisation.
(Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!)
Das ist keine Nachfolgeorganisation.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist die gleiche Partei!)
Sie haben Ihren Namen geändert.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen es nur noch schlimmer! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ganz schlechter Stil!)
– Frau Gohlke, Sie sind vielleicht zu jung.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Jahre Wiedervereinigung! – Zurufe von der LINKEN)
– Es stimmt aber trotzdem. Manches stimmt noch nach 50 Jahren.
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist leider wahr! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es wird nicht besser!)
In Ihrem Antrag steht, wir sollen die Hochschulen für Flüchtlinge öffnen. – Sie sind offen. Es ist ganz eindeutig möglich, an diese Hochschulen zu kommen.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Hier in Berlin ist es zum Beispiel nicht möglich! Es scheint nicht so einfach zu sein!)
Wir haben ein großes Paket geschnürt, um den jungen Flüchtlingen zu zeigen, wie das geht und wie man Tests leichter bestehen kann. Außerdem übernehmen wir finanzielle Verpflichtungen. Es geht aber nicht um das Absenken von Standards. Eine Hochschulzugangsberechtigung muss schon vorhanden sein.
Meine Redezeit ist zu kurz, um zu allem Ausführungen zu machen. Ich glaube, dass wir gezeigt haben, dass es für uns beim Thema Bildung nicht nur um die Forderung nach mehr Geld in riesigen Dimensionen geht. Wir haben gezeigt, dass wir anpacken können. Wir haben sofort etwas auf den Tisch gelegt. Wir brauchen aber auch – ich verspreche Ihnen, mich dafür einzusetzen – weiteres Geld.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Nicole Gohlke.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Für die SED! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht SED?)
– Nein, hier sitzt die Fraktion Die Linke.
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Electoral Period | 18 |
Session | 128 |
Agenda Item | Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge |