14.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 129 / Tagesordnungspunkt 1

Jürgen HardtCDU/CSU - Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die letzten 30 Minuten gut aufgepasst.

(Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich habe vor allem die Kollegen der Linksfraktion beobachtet, als Herr Steinmeier seine Rede gehalten hat. Wir wurden Zeuge der 10 Prozent Uneinigkeit bei der Linken, die gemäß der Erklärung der neuen Spitze besteht. Herr Bartsch hat bei der einen oder anderen Passage demonstrativ geklatscht, und Frau Wagenknecht hat dann immer spontan entschieden, ob sie mitmacht oder nicht. Das fand ich bemerkenswert.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Dann gucken Sie mal in die Union!)

Es ist ja gut, dass in der Außenpolitik nicht alles ideologisch und dogmatisch gesehen wird, sondern dass wir uns den wirklichen Problemen und den Menschen zuwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Organisation, die sich dieser Aufgabe widmet, sind die Vereinten Nationen.

Wir blicken auf die Gründung der Vereinten Nationen vor 70 Jahren zurück. In der Präambel der am 24. Oktober 1945 in Kraft getretenen Charta wird als Ziel genannt, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Das war unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Eindruck der beiden großen Kriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der alle massiv prägte. Alle, die zu der Konferenz in San Francisco zusammengekommen waren, hatten das selbst erlebt.

Als drei Jahre später noch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde – das ist im Grunde das Kondensat von 300 Jahren Aufklärung und Menschheitsentwicklung von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Verfassung bis hin zur Französischen Revolution –, war das ein epochaler Schritt. Wenn wir 70 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen versuchen, eine Bilanz zu ziehen, dann dürfen wir auf jeden Fall anerkennen, dass es gelungen ist, ein ganz entscheidendes Element der Diplomatie für die Menschheit zu schaffen. Ich glaube, es hat keine Organisation mehr für den Weltfrieden insgesamt getan als die Vereinten Nationen.

Aber wir müssen auch feststellen – das ist bitter und betrüblich und sollte uns nicht ruhen lassen –: 70 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. 800 Millionen Menschen gehen hungrig zu Bett. 800 Millionen Jugendliche und Erwachsene weltweit können nicht lesen und schreiben; davon sind im Übrigen zwei Drittel Frauen, was zeigt, dass die Benachteiligung von Frauen in der Welt leider immer noch in den allermeisten Ländern dieser Erde Alltag ist.

60 Millionen Kinder haben keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen. 700 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und 2,5 Milliarden Menschen erfahren keine angemessene Gesundheits- und Sanitätsversorgung. Daraus ergibt sich die große Aufgabe, die die Völkergemeinschaft – allen voran die Vereinten Nationen – hat.

Fast immer sind die Ursachen für diese Missstände keine Naturkatastrophen, sondern von Menschen herbeigeführte Konflikte, die sich heute anders, als es die Gründer der Vereinten Nationen sich vielleicht vorgestellt haben, ganz oft innerhalb von Staaten abspielen. Es ist heute häufig sogar schwer zu identifizieren: Wer ist verantwortlich? Wer hat Macht und Einfluss? Wer ist Ansprechpartner, wenn es darum geht, von außen zu vermitteln und entsprechend einzugreifen? Wir sehen an der Komplexität des Syrien-Konflikts, welches Drama sich dort abspielt und dass wir als Vereinte Nationen ein Stück weit ohnmächtig gegenüber der Situation sind. Die UN-Resolution, die das Abwerfen von Bomben auf Zivilisten verbietet und den Zugang zu humanitärer Hilfe fordert, wird in Syrien nicht durchgesetzt, und sie wird auch nicht dadurch durchgesetzt werden, dass die Vetonation Russland, die bei den Vereinten Nationen eine solche Resolution mitgetragen hat, jetzt Assad unterstützt. Das Dilemma ist also offensichtlich.

Deshalb müssen wir mit einer Reform der Vereinten Nationen und mit unseren Bemühungen vorankommen, unseren Beitrag zur Entwicklung der Welt im Rahmen der Vereinten Nationen zu leisten. Ich finde es gut, dass Deutschland Initiativen unterstützt – der Minister hat es angesprochen –, die die fünf Vetomächte im Sicherheitsrat davon überzeugen sollen, auf ihr Vetorecht zu verzichten, wenn es ganz konkret um Menschenrechtsverletzungen und darum geht, Machthaber vor Gericht zu bringen, die Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben. Es gibt ja einzelne Vetomächte, die auch für eine freiwillige Selbstbeschränkung offen sind. Ich mache mir aber keine Illusionen und glaube nicht, dass es gelingen wird, das Vetorecht aus der Charta herauszustreichen; aber ich glaube schon, dass auf diesem Wege ein erster Schritt hin zu einer Öffnung möglich ist.

Ich bin auch der Meinung, dass wir in Deutschland gut beraten sind, aktiv an einer Reform der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats mitzuwirken. Dazu gehört für mich auch, dass wir als Deutsche bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und zu sagen: Jawohl, wir nehmen ständig unsere Aufgaben wahr und erfüllen unsere Verpflichtungen – nicht nur dann, wenn wir Mitglied im Sicherheitsrat sind.

Ich finde, es ist ein relativ schnell abzustellender Missstand der Vereinten Nationen – den möchte ich offen ansprechen –, dass alle wichtigen Hilfswerke offensichtlich unterfinanziert sind, sodass sie im Falle, dass sie ganz konkret und ganz besonders gefordert sind, ein Stück weit von der Hand in den Mund leben müssen. Wir erleben es jetzt beim Flüchtlingshilfswerk und beim World Food Programme, und wir haben es im letzten Jahr bei der Gesundheitsversorgung im Zusammenhang mit Ebola erlebt.

Ich würde mir erstens wünschen, dass wir zu einem Mechanismus kommen, bei dem wirksame Maßnahmen gegen die Staaten möglich sind, die ihren Verpflichtungen, in diese Hilfswerke einzuzahlen, nicht nachkommen. Und ich würde mir zweitens wünschen, dass wir einen Mechanismus finden, der dazu führt, dass die Chefs dieser Hilfswerke nicht erst nach Ausbruch einer Krise wochenlang Geld sammeln müssen, sondern sofort konkret mit ihrer Arbeit beginnen können. Ich glaube, dass da eine entsprechende deutsche Initiative, die ja auch eingeleitet wurde, einen wichtigen Beitrag leisten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es lohnt sich, auch im 21. Jahrhundert auf die Vereinten Nationen zu setzen. Es lohnt sich, dass Deutschland dem Prinzip folgt, dass wir uns dann international engagieren, wenn es dafür eine völkerrechtliche Grundlage und eine entsprechende Unterstützung der Vereinten Nationen gibt. Es lohnt sich auch, dass sich Deutschland sowohl in die zivilen als auch in die robusten Mandate, welche die Vereinten Nationen beschließen, mehr einbringt. Ich würde mir wünschen, dass wir in diesem Haus die große Einigkeit, die wir jeweils bei der Unterstützung dieser Politik hatten, auch in den nächsten 70 Jahren Vereinte Nationen aufrechterhalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Tom Koenigs erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5968951
Wahlperiode 18
Sitzung 129
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen
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