14.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 129 / Tagesordnungspunkt 1

Andreas NickCDU/CSU - Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 70 Jahre Vereinte Nationen sind Anlass zu Rückblick und Ausblick, zu einer kritischen Bestandsaufnahme des Erreichten, aber auch der Zukunftsaufgaben der Vereinten Nationen und der Anforderungen, die sich daraus ergeben.

Die Gründung der Vereinten Nationen gehört zweifelsohne zu den großen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Sie stehen nach dem Scheitern des Völkerbundes für einen Neuanfang im Bemühen um Frieden und ein besseres Zusammenleben auf unserem Planeten.

Mit der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 entstand ein gemeinsames Wertefundament, auf das sich alle Menschen weltweit berufen können. Wie keine andere Organisation weltweit nehmen sich die Vereinten Nationen der Sicherung des Friedens, des Schutzes der Menschenrechte und humanitärer Aufgaben an, etwa in Flüchtlingslagern oder bei Hungersnöten. Als globales System kollektiver Sicherheit und als institutionalisiertes Forum für internationalen Austausch sind die Vereinten Nationen unverzichtbar. Die Glaubwürdigkeit der VN als Institution hat aber gelitten, weil durch die Blockadehaltung einzelner Mitglieder im Weltsicherheitsrat Entscheidungen zunehmend unmöglich werden.

Aber auch wenn sie nicht immer alle Erwartungen erfüllen konnten: Die Rolle und die Legitimation der Vereinten Nationen bei der Durchführung von Friedensmissionen sind unbestritten. Friedensmissionen sind längst nicht mehr auf militärische Mittel beschränkt. In den heutigen multidimensionalen Missionen kommt die gesamte Bandbreite militärischer, polizeilicher und ziviler Instrumente zum Tragen.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben benötigen die Vereinten Nationen eine angemessene Ausstattung, finanziell und personell. Deutschland ist zwar viertgrößter Beitragszahler für den Peacekeeping-Haushalt, bislang aber mit lediglich 159 Soldaten – das sind weniger als 0,2 Prozent aller in UN-Friedensmissionen eingesetzten Soldaten – und 20 Polizeikräften in internationalen Missionen vertreten.

Meine Damen und Herren, wenn wir die Vereinten Nationen stärken wollen, dann müssen wir uns der Verantwortung stellen, auch einen angemessenen personellen Beitrag zu internationalen Friedensmissionen zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dabei geht es vor allem um Schlüsselfähigkeiten in anspruchsvollen technischen Bereichen, bei der Logistik oder im Sanitätswesen, und um Aufklärungs- oder Führungsfähigkeiten.

Auch im Bereich der polizeilichen Einsatzkräfte genießt Deutschland einen hervorragenden Ruf. Hier müssen wir ebenfalls mehr Einsatz zeigen. Das erfordert Verbesserungen auch in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, weil zum Teil die Länder die Kräfte stellen müssen.

(Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die größten Herausforderungen bei Konfliktverhütung und -eindämmung liegen allerdings bei Bürgerkriegen und innerstaatlichen Konflikten – so wie in Syrien oder, historisch, in Ruanda. Als Reaktion auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft beim Völkermord in Ruanda 1994 wurde das Konzept der Responsibility to Protect, der Schutzverantwortung, entwickelt, für dessen Weiterentwicklung und Stärkung wir uns einsetzen.

Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, wenn ein Staat nicht willens oder fähig ist, seine Bevölkerung vor schwersten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, oder wenn er gar Krieg gegen seine eigene Bevölkerung führt. Wir unterstützen daher nachdrücklich die französische Initiative, nach der die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats bei Fragen der Schutzverantwortung grundsätzlich auf ihr Veto verzichten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])

Die Vereinten Nationen definieren aber auch Zukunftsaufgaben. Mit der Agenda 2030, die für einen Paradigmenwechsel steht, wird darauf hingearbeitet, die beiden großen Ziele der Armutsreduzierung und der ökologischen Tragfähigkeit unseres Planeten miteinander in Einklang zu bringen. Daher kann es auch kein einfaches Weiter-so im Sinne traditioneller Konzepte der Entwicklungspolitik geben, sondern wir brauchen und haben damit eine international vereinbarte universelle Agenda, die sich erstmals an alle Ländergruppen weltweit richtet und konkrete Anforderungen stellt – im Sinne einer globalen Partnerschaft.

Die entwickelten Länder müssen sich einbringen, etwa bei der Entkopplung des Energieverbrauchs von der CO2-Emission durch moderne Technologien und entsprechende Konzepte. Deutschland kann hier im Bereich des Klimaschutzes bei der Klimakonferenz Ende des Jahres in Paris wiederum eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen vor allem durch gute Regierungsführung, Bekämpfung von Korruption und Schaffung attraktiver wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ihrerseits zentrale Voraussetzungen für Wohlstand und Entwicklung schaffen.

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Professor Lammert, hat bei der Konferenz der Parlamentspräsidenten in New York vor einigen Wochen ausdrücklich bemängelt, dass die Entwicklung demokratischer Verhältnisse leider nicht zu den vereinbarten 17 nachhaltigen Entwicklungszielen gehört – eine Kritik, der wir uns, glaube ich, anschließen sollten. Demokratie ist kein Luxus für wenige, sondern eine elementare Voraussetzung für Wohlstand und Entwicklung weltweit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

In einer globalisierten Welt brauchen wir künftig eine funktionierende Global Governance, und zwar mehr denn je. Bei allen Defiziten, die ich angesprochen habe, gilt aber: Die Vereinten Nationen bieten da die beste Hoffnung. Aber wir müssen ihre Effektivität und Legitimation stärken, wenn wir das erreichen wollen. Die Vereinten Nationen – das ist schon gesagt worden – müssen die Realität der Welt von heute abbilden, und das wird nicht gelingen, solange ihr institutioneller Aufbau vorrangig die Machtverhältnisse des Jahres 1945 widerspiegelt. Es soll sich dabei niemand täuschen: Wenn das nicht gelingt, dann droht auf Dauer ein weiterer Verlust der Relevanz der Vereinten Nationen. Für globale Probleme werden dann neue Formate gesucht werden, oder diese Probleme bleiben im schlimmsten Fall weiter ungelöst. Deshalb ist die Reform des UN-Sicherheitsrates weiterhin eine der dringlichsten Aufgaben.

Wir unterstützen den Vorschlag der G 4, also von Japan, Indien, Brasilien und Deutschland. Es ist vorhin gesagt worden, wir sollten darauf verzichten. Ich glaube, es ist allgemein anerkannt – das wurde auch bei den Gesprächen deutlich, die wir vor kurzem mit der Delegation des Unterausschusses in New York geführt haben –, dass wir Deutsche nicht vorrangig eigene Ziele verfolgen, sondern für mehr regionale Ausgewogenheit, für breitere Legitimation werben. Wenn es denn gewünscht ist, dann ist Deutschland auch bereit, mehr Verantwortung auf allen Ebenen in diesem Prozess zu übernehmen. Deshalb bewerben wir uns für das Jahr 2019 erneut um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat und sind langfristig auch bereit, einen ständigen Sitz zu übernehmen.

Wir wollen auch die personelle Vertretung deutscher Mitarbeiter in der UN und deren Organisationen verstärken. Ich füge hinzu: Wir unterstützen auch ausdrücklich die Bewerbung des Bundesrechnungshofs um einen Platz im UN Board of Auditors – eine wichtige Maßnahme, um uns dort auch international stärker zu engagieren. Der Haushaltsausschuss hat dafür ja auch entsprechende Unterstützung zugesichert.

Meine Damen und Herren, für Frieden, Sicherheit und menschlichen Fortschritt werden die Vereinten Nationen auch in den kommenden 70 Jahren ein unentbehrlicher Partner bleiben. Eine bessere Welt können wir nur gemeinsam mit den Vereinten Nationen schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5969045
Wahlperiode 18
Sitzung 129
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen
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