Florian HahnCDU/CSU - Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Genossin Bulmahn!
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Trotz aller Kritik, die insbesondere mit Blick auf die Strukturen der Weltorganisation – es ist in den vielen Debattenbeiträgen schon deutlich geworden – und vor allem auch ihre finanzielle Ausstattung geäußert wird, bleiben die Vereinten Nationen unersetzbar, und das auch nach 70 Jahren. Die UN allein verfügt über eine besondere Legitimität bei der Lösung globaler Fragen. Epidemien wie Ebola, Themen wie Cyberkriminalität oder die Flüchtlingsströme zeigen, dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht an Landesgrenzen haltmachen. Die Vereinten Nationen sind als universelles Forum der Völker gerade in den heutigen unruhigen Zeiten unentbehrlich.
Meine Damen und Herren, der Auftrag der UN hat sich zudem längst erweitert. Sicherheit wird heute nicht mehr nur rein militärisch definiert. Der „Weltzukunftsvertrag“ – wie Bundesminister Müller die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung richtungsweisend benannte – wird die Architektur der internationalen Entwicklungspolitik grundlegend verändern. Im Dezember wird voraussichtlich ein weltweit bindendes Klimaabkommen verabschiedet. Das sind die Entscheidungen über wegweisende Menschheitsfragen, und so handelt mit Sicherheit kein lahmer Riese, der angeblich keine Durchschlagskraft hat.
Viele Kritiker halten dagegen: Heute werden so viele Flüchtlinge weltweit gezählt wie seit 1945 nicht mehr. In Syrien, im Irak oder Jemen sind in den verschiedenen Konfliktparteien Regime und Terrororganisationen am Werk, bei denen die UN machtlos erscheint. Noch dazu zeigt sich das Gremium durch Vetos und Blockaden in vielen Bereichen oft handlungsunfähig. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Vereinten Nationen agieren meist als eine Art Last Resort, wenn alle anderen Wege bereits vergeblich gegangen wurden.
Ich schaue mit verhaltener Hoffnung nach Libyen. Hier ließ die UN trotz schwierigster Bedingungen den Gesprächsfaden nicht abreißen. Die Ausgangsposition des UN-Sondergesandten Bernardino León war alles andere als erfolgversprechend. Trotzdem konnte man sich auf Kandidaten für eine Regierung der nationalen Einheit einigen. Ein Erfolg hätte, wenn er denn realisiert würde – das hoffen wir –, weitreichende Auswirkungen auch auf Europa.
(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der Westen Libyens war seit Sommer 2014 eine der offenen Flanken Europas, und die fragile Struktur dort bot islamischen Gotteskriegern einen warmen Nistplatz. Es ist der Erfolg der UN, dass wir ab dem 20. Oktober hoffentlich einen handlungsfähigen Ansprechpartner in Libyen haben werden. Das hieße für uns auch: der Beginn von Gesprächen über die Flüchtlingskrise.
Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche über die Phase 2 des Mandats EUNAVFOR MED entschieden. Zu Recht haben kritische Stimmen angemerkt, dass der Einsatz gegen Schlepper auf dem Mittelmeer nicht weit genug geht. Mit einer Einigung mit Libyen bestünde die Möglichkeit, die Mission von internationalen Gewässern auf die libysche Küste auszuweiten und die Schlepper, die aus dem Schicksal der Flüchtlinge ein Geschäft machen, noch effektiver zu bekämpfen.
Libyen zeigt, dass der Weg der Vereinten Nationen, der Weg hartnäckiger Gespräche, erfolgreich sein kann. Selbst im Fall Syrien wurden trotz Vetos Resolutionen verabschiedet wie zur erfolgreichen Chemiewaffenzerstörung oder zur Einigung über grenzüberschreitende Hilfsmaßnahmen.
Richtig ist – das zeigt der Alleingang Putins im Syrien-Konflikt sehr drastisch –, dass ein Sicherheitsrat, der die Welt von 1945 abbildet, die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht optimal lösen kann. Bundeskanzlerin Merkels gemeinsame Initiative mit den anderen großen Beitragszahlern Brasilien, Japan und Indien, den Sicherheitsrat zu reformieren, ist nur folgerichtig. Die Struktur und die Arbeitsweise sollten die wirklichen Kräfteverhältnisse widerspiegeln, sowohl mit Blick auf regionale als auch finanzielle Komponenten.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Aufgabenaspekt der Vereinten Nationen zu sprechen kommen. Die UN und ihre Friedensmissionen adressieren ja nicht nur die Lösungen von Konflikten und ihren Folgen, sie sollen auch eine wiederkehrende Gewaltspirale verhindern. Ein elementarer erster Schritt ist hierbei die Stärkung der fragilen Ordnung in Postkonfliktszenarien. Ich begrüße daher die in der vergangenen Woche im Kabinett beschlossene Ausweitung unseres polizeilichen Engagements in UN-Missionen sehr. Deutschlands Exportschlager ist sicherlich unser Rechtsstaatssystem. Hierzu gehört auch das Vertrauen in unsere Polizisten. Deutsche Polizeiberater stehen für die Verlässlichkeit eines Rechtssystems und genießen daher weltweit einen hervorragenden Ruf. Mein persönlicher Dank gilt ihrem Engagement.
Insbesondere unser Einsatz in Mali ist ein gutes Beispiel für ein umfassendes deutsches Engagement. 20 Beamtinnen und Beamte werden künftig im Rahmen der UN-Mission MINUSMA malische Polizisten beraten und ausbilden. Die Polizeiausbildung soll Mali helfen, mehr Eigenverantwortung im Sicherheitsbereich übernehmen zu können. Gleichzeitig ist Deutschland mit 195 Soldatinnen und Soldaten an der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali beteiligt und unterstützt mit fünf Zivilisten die GSVP-Mission EUCAP Sahel Mali. Dieses Engagement ist gerade in Mali wichtig, weil wir in Mali Stabilität brauchen. Das ist essenziell, nicht nur für die Menschen dort, sondern auch für uns, damit die Menschen die Perspektive haben, in ihrem Land bleiben zu können. Denn aus und durch Mali drohen uns aktuell ähnliche Flüchtlingsbewegungen, wie wir sie im Moment über den Balkan erleben. Wir erfüllen mit unserem Einsatz in europäischen Missionen bereits ähnliche mandatierte Aufgaben. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir darüber diskutieren, ob wir mit genügend deutschem Engagement und Stärke an UN-Missionen beteiligt sind.
Unsere Entscheidung, das polizeiliche Engagement im Südsudan von 10 auf 20 Beamte zu verdoppeln, illustriert: Es geht tatsächlich mehr. Das ist eine neue Qualität des Einsatzes, das zeigt einen weiteren Aspekt deutschen Engagements. Deutschland sendet ein Spezialistenteam, das sich langfristig und ausschließlich mit dem Thema „sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt im Südsudan“ befasst. Dieser spezifische Fokus zeigt, dass wir, wenn wir uns den Wurzeln von Konflikten nähern wollen, Experten benötigen, und zwar nicht nur der Polizei, sondern aus unterschiedlichsten Berufsgruppen.
Sehr geehrte Damen und Herren, bei all den Seitenhieben, die die Vereinten Nationen oft erleiden müssen, dürfen wir nicht vergessen, dass Erfolge und Stärken der UN oft weniger medienwirksam sind als ihre spektakulären Misserfolge. Daher möchte ich zum Schluss das 70-jährige Jubiläum der Vereinten Nationen zum Anlass nehmen, den Blick auf die Leistungen des UN-Sondergesandten Léon zu richten. Für uns in Deutschland – gerade vor dem Hintergrund der Flüchtlingsströme – kann sein Verhandlungsergebnis, wenn es hält, ein entscheidender Schritt sein.
Kollege Hahn, Sie müssen zum Schluss kommen.
Abschließend möchte ich mich dem Kollegen Jürgen Hardt anschließen: Wir müssen die finanzielle Ausstattung der Hilfswerke der UN gemeinsam stabilisieren. Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie wir, die Nationen, sie machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5969124 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 129 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung - 70 Jahre Vereinte Nationen |