Andreas NickCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind bestürzt, und wir trauern gemeinsam mit dem türkischen Volk um die Opfer des entsetzlichen Terroranschlags in Ankara. Hierzu sprechen wir vor allem anderen den Angehörigen der Opfer unser Beileid und Mitgefühl aus.
Wieder hat der Terrorismus sein entsetzliches Gesicht gezeigt; in großer Zahl wurden Menschen getötet und schwer verletzt, die sich für Gewaltlosigkeit und friedliches Zusammenleben eingesetzt haben. Wir wollen uns hier bewusst nicht an Spekulationen, Verschwörungstheorien und voreiligen Schuldzuweisungen beteiligen. Aber in einem sind wir uns in diesem Haus hoffentlich alle einig: Alle Kräfte in der Türkei, die ein friedliches Zusammenleben wollen, sind jetzt aufgefordert, zusammenzustehen und einer weiteren Eskalation der Gewalt entgegenzuwirken.
Die Türkei befindet sich in einer komplexen außen- und innenpolitischen Lage. Bei der Gesamtbeurteilung der aktuellen Situation ist es sicherlich nicht förderlich, sich nur auf einzelne Aspekte zu beziehen. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig. Bereits im Januar dieses Jahres habe ich an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir gerade als Freunde der Türkei manche innenpolitischen Entwicklungen, etwa im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des Umgangs mit Minderheiten, mit Aufmerksamkeit und durchaus auch mit Sorge beobachten.
Schon im Vorfeld der Parlamentswahlen im Juni hat sich die innenpolitische und gesellschaftliche Polarisierung in der Türkei zweifelsohne weiter zugespitzt; ich habe es bei einem Besuch im April in Ankara in vielen Gesprächen selbst erfahren. Das Ergebnis der Parlamentswahlen im Juni haben wir dann in diesem Hause in durchaus breiter Übereinstimmung als Ausdruck der demokratischen Reife der türkischen Gesellschaft begrüßt. Aber ich habe bereits damals darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis allen Beteiligten abverlangen wird, sehr verantwortungsvoll damit umzugehen, um nicht die Chance zu verspielen, die darin für die Türkei liegt. Es ist leider wahr, dass sich die parteipolitische Aufstellung in der Türkei zunehmend an religiös-weltanschaulichen und ethnischen Trennungslinien orientiert – zwischen Religiösen und Laizisten, Sunniten und Aleviten, kurdischer Minderheit und türkischen Nationalisten. Das hat es jedenfalls nicht leichter gemacht.
Ich glaube, wir verurteilen einvernehmlich und ausdrücklich die Gewaltexzesse der letzten Monate in der Türkei. Die Angriffe auf die Parteien HDP und CHP, auf die Zeitung Hürriyet , aber auch die tödlichen Attacken auf türkische Sicherheitskräfte haben nicht nur Menschenleben gefordert, sondern sie sind geeignet, auf Dauer die Demokratie im Land zu destabilisieren.
Lassen Sie mich in aller Klarheit hinzufügen: Wir legen Wert darauf, dass innenpolitische Konflikte in der Türkei nicht gewalttätig ausgetragen werden – im Übrigen auch nicht hier bei uns in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Besonders wichtig ist daher jetzt, dass in der Türkei am 1. November eine wirklich freie, geheime und gleiche Parlamentswahl in allen Regionen des Landes so stattfindet, dass in deren Folge eine legitimierte Regierung gebildet werden kann, auch dann, wenn sich das Ergebnis der Parlamentswahl vom Juni im Grundsatz wiederholen sollte.
Es ist zweifellos eine Tragödie, dass der durchaus vielversprechend verlaufende Versöhnungsprozess mit der kurdischen Minderheit aufgrund der Vorkommnisse der letzten Wochen und Monate zum Erliegen gekommen ist. Bei aller berechtigten Kritik am Vorgehen der türkischen Regierung in den letzten Monaten darf aber auch nicht vergessen werden, dass die PKK eine terroristische Organisation ist und auch bei uns in Deutschland zu Recht als verfassungsfeindlich eingestuft wird.
(Heinz Wiese (Ehingen) [CDU/CSU]: So ist es!)
Dass sich die Türkei mit kurdischen Autonomiebestrebungen an ihren Grenzen schwertut, kann nicht überraschen. Aber der innerstaatliche Versöhnungsprozess darf nicht aufgegeben werden. Er muss schnellstmöglich wieder aufgenommen werden. Ich bin überzeugt: Auch die HDP kann einen wichtigen Beitrag zu dessen Gelingen leisten.
Gerade mit Blick auf die Brandherde im Mittleren Osten und in Nordafrika kommt der Türkei eine entscheidende Rolle zu. Die Türkei liegt an einer geostrategischen Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren mehr als 2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak aufgenommen – mehr als alle Länder der EU zusammen.
Liebe Kollegin Roth, ich darf daran erinnern: Kollege Annen, Kollege Kiesewetter und ich waren Ende Februar in einem Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze. Wir haben uns in der Tat für dieses Thema interessiert und sind mit sehr tiefen und bewegenden Eindrücken nach Hause gekommen.
Wir haben von der Türkei stets eine unzweideutige Haltung gegenüber ISIS angemahnt ebenso wie eine verbesserte Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitsbehörden, um den Transit von Extremisten aus Europa nach Syrien und in den Irak und zurück wirksamer kontrollieren und möglichst unterbinden zu können.
Bei aller berechtigten Kritik an der Regierung Erdoğan: Die Türkei ist und bleibt für uns ein wichtiger strategischer Partner. Das geht weit über die aktuellen Bemühungen hinsichtlich der Flüchtlingsthematik hinaus. Es ist in unserem wohlverstandenen eigenen Interesse, den Dialog mit der Türkei zu pflegen und weiterzuentwickeln. Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass die Bundeskanzlerin in den kommenden Tagen zu Gesprächen nach Ankara reisen wird. Wir wünschen ihr dafür viel Erfolg.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein bescheuertes Timing! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kannst du wohl sagen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätte auch in zwei Wochen fahren können!)
Wir haben ein vitales Interesse an einer wirtschaftlich prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft, die mit ihrer Ausstrahlungskraft ein Modell für die gesamte islamische Welt sein kann.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 129 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara |