14.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 129 / Zusatzpunkt 1

Niels AnnenSPD - Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara

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Frau Präsidentin! Vielen Dank. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig: Wenn wir hier über die Türkei diskutieren, dann ist uns sehr bewusst, dass das kein gewöhnlicher Partner ist. Die Türkei ist ein Land, mit dem wir sehr viele Verbindungen haben, aufgrund der kulturellen Bindungen, aufgrund der familiären Bindungen, natürlich auch aufgrund der politischen und der wirtschaftlichen Beziehungen. Ich gehe davon aus, dass es Ihnen nicht viel anders geht als mir: Wenn es innerhalb der Türkei zu Spannungen, zu politischen Auseinandersetzungen kommt, dann findet das für uns nicht irgendwo, weit weg, quasi im Fernsehen statt. Das hat unmittelbar Auswirkungen auf die Lage in Deutschland. Ich habe es in meinem Wahlkreis in Hamburg mehrfach erlebt, dass es zum Teil innerhalb weniger Stunden zu Demonstrationen gekommen ist, leider – das muss ich an dieser Stelle auch sagen – auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen, türkischen Gruppierungen und kurdischen Gruppierungen. Manchmal haben diese Gruppierungen in der Auseinandersetzung auch Gewalt gegen Polizeibeamte angewandt.

Ich glaube, auch deswegen ist es gut, dass wir heute über dieses Thema diskutieren. Ich bin den Grünen dankbar, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Ich teile ausdrücklich all das, was zu den schrecklichen Anschlägen gesagt worden ist, nicht nur zu dem grauenhaften Anschlag in Ankara mit den vielen Toten – Frau Da ğ delen hat darauf hingewiesen, dass wir immer noch nicht genau wissen, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben, wie viele verletzt worden sind –, sondern ausdrücklich auch dazu – ich glaube, dass wir alle miteinander in diesem Hause dies für vollkommen inakzeptabel halten –, dass in der Türkei systematisch Gewalt gegen oppositionelle Gruppierungen angewandt worden ist, vor allem gegen Vertreterinnen und Vertreter der HDP, dass die Büros angegriffen worden sind, dass sie niedergebrannt worden sind. All das ist vor den Augen der türkischen Sicherheitskräfte geschehen. Das ist inakzeptabel.

Deswegen bedarf es eines ganz klaren Signals an Ankara: Der türkische Staat, der – davon bin ich überzeugt – ein funktionsfähiger Staat ist, ist jetzt gefordert, ordnungsgemäße Wahlen sicherzustellen. Er ist auch gefordert, die Sicherheit der Kandidatinnen und Kandidaten und Meinungsfreiheit in diesem Land zu garantieren. Das ist das Mindeste, das wir erwarten können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Unsere Länder sind eng miteinander verbunden, und es handelt sich eben nicht mehr um reine nationale Fragen der Souveränität, bei denen man erwartet, dass man sagt: Da mischen wir uns nicht ein. Es passiert übrigens auf beiden Seiten. Es ist ja nicht nur so, dass wir heute im Deutschen Bundestag über die innenpolitische Lage in der Türkei diskutieren, sondern das passiert auch in der Türkei. Staatspräsident Erdoğan macht hier in Deutschland verkappte Wahlkampfveranstaltungen. Andere Kandidatinnen und Kandidaten in der Türkei tun das auch. Ich finde, das ist in Ordnung. Man muss aber auch sagen: Wir haben ein klares Interesse daran, dass der Friedensprozess mit der PKK wieder aufgenommen wird, weil der Weg zur Versöhnung die einzige gangbare Option ist, die diesem Land zur Verfügung steht.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Deswegen fordern wir Staatspräsidenten Erdoğan, die türkische Regierung auf, bei allen Schwierigkeiten und auch bei aller inakzeptabler Gewaltanwendung vonseiten der PKK gegen Vertreterinnen und Vertreter des türkischen Staates – auch dies ist inakzeptabel –, diesen Weg wieder zu beschreiten. Ich glaube, dass das ganz entscheidend ist.

Ich will an dieser Stelle, weil diese Reise ein wenig in der Kritik steht und auch hier von Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, erwähnt worden ist, dem deutschen Außenminister für seine Reise nach Ankara ausdrücklich danken. Diese Reise hat zugegebenermaßen während einer schwierigen innenpolitischen Situation in der Türkei und einer außenpolitischen Lage, wo wir hier häufig über den Krieg in Syrien miteinander diskutiert haben, stattgefunden. Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass sich die türkische Regierung bereit erklärt hat, jetzt einen bilateralen Dialog über Migration zu führen und diesem Dialog auch im Rahmen der Europäischen Union zugestimmt hat. Das ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik. Ich glaube, es wird jetzt sehr darauf ankommen, dass wir in den Details der Vereinbarung einen ausgewogenen Interessenausgleich organisiert bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann.

Ich bin dem deutschen Außenminister auch aus einem zweiten Grund dankbar. Ich will das hier mit einer Erwartung an die Reise der Bundeskanzlerin verbinden, die ich für ausdrücklich richtig halte, nämlich die Erwartung, dass sie sich ein Beispiel an dem Terminkalender nimmt, den Frank-Walter Steinmeier abgearbeitet hat. Ja, er hat sich mit Premierminister Davutoglu getroffen.

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch die Opposition!)

Er hat sich mit Staatspräsident Erdoğan getroffen, aber er hat sich auch mit den Vertretern der Opposition, der sozialdemokratischen Opposition, und auch mit Herrn ­Demirtas getroffen, dem Vertreter und Präsidenten der HDP.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Schauen wir einmal, was Merkel macht!)

Ich glaube, dass es ein gutes Zeichen wäre, eine adäquate Form zu finden, deutlich zu machen, dass wir in diesem Wahlkampf keine Partei sind,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber dass wir ein Interesse daran haben, dass es zu fairen Wahlen kommt und die Pluralität der politischen Situation in der Türkei das entsprechend widerspiegelt.

Wir warten jetzt auf die Ergebnisse der Untersuchung. Ich will auch ganz offen sagen: Das, was ich heute aus der Türkei gehört habe, dass sowohl der sogenannte „Islamische Staat“ als auch die PKK verantwortlich sein sollen, erschließt sich mir – so will ich es einmal in meiner hanseatischen Art sagen – nicht unmittelbar; denn das sind die beiden Gruppierungen, die sich in Syrien bis aufs Blut bekämpfen. Ich hoffe sehr, dass es eine unabhängige Untersuchung gibt, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass wir, wenn wir das nächste Mal über die Lage in der Türkei diskutieren, bessere Nachrichten haben, über die wir uns austauschen können.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Roderich ­Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang ­Gehrcke [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einmal, was die Kanzlerin macht!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5969611
Wahlperiode 18
Sitzung 129
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara
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