14.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 129 / Zusatzpunkt 1

Roderich KiesewetterCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara

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Fragen Sie sie doch!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gutes Argument!)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tief bewegt nehmen wir Anteil am Schicksal der Opfer des Anschlags am vergangenen Samstag und ihrer Angehörigen. Zugleich öffnet uns diese Anteilnahme auch den Blick dafür, wie zerrissen die türkische Gesellschaft ist, eine Gesellschaft, die sich seit anderthalb Jahren im Dauerwahlkampf befindet. Im August letzten Jahres waren die Präsidentschaftswahlen, und im Juni dieses Jahres waren Wahlen, die offensichtlich nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben. Gleichwohl: Der Volkeswille wollte, dass es zu einer Koalition in diesem Lande kommt. Unsere Aufgabe muss es sein, die Aufklärung der Anschläge zu fordern und mitzuwirken, dass in der Türkei ein Klima der Aussöhnung und kein Klima der fortgesetzten Spaltung geschaffen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere beiden Länder eint, dass wir Ziel von Menschen sind, die Flucht und Vertreibung hautnah erleben und erlebt haben. Uns trennt aber, dass sich die Bundesrepublik Deutschland intensiv in die Europäische Union eingebunden hat und dass die Türkei seit einigen Jahren – seitdem Erdoğan dort regiert, sei es als Ministerpräsident, sei es als Staatspräsident – eine Solitärfunktion übernimmt und ihre Rolle noch nicht gefunden hat. Wir erwarten von der Türkei, dass sie die Kräfte bündelt; denn die Hauptbedrohung – das ist auch eine Frage der Fluchtursachen – geht vom IS und vom Staatszerfall im Irak und in Syrien aus. Wir erwarten von der Türkei, dass sie alle Kräfte bündelt, um an diese Ursachen heranzugehen, dass sie den Kampf gegen IS nicht dazu verwendet, innenpolitische Probleme zu lösen, insbesondere im Hinblick auf die Kurden blutig, und diejenigen Kräfte zu schwächen, die die Hauptlast im Kampf gegen IS tragen.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir wieder Wert darauf legen müssen, dass die Türkei in der Lage ist, ihre Aufgaben als NATO-Partner im Südosten des Bündnisses wahrzunehmen. Dazu gehört zuallererst die innenpolitische Befriedung. Wenn wir also über die Türkei sprechen, müssen wir auch mit besonderen Maßstäben an die weitere politische Arbeit gehen. Wir sollten uns jetzt nicht verleiten lassen, vor den Wahlen, die am 1. November dieses Jahres stattfinden, die Angebote ­Erdoğans eins zu eins umzusetzen. Lassen Sie sie mich kurz beleuchten.

Der erste Punkt: die Türkei als sicheres Herkunftsland. Das ist ein Signal der Bereitschaft der Türkei, sich wieder der Europäischen Union zuzuwenden.

(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit den Menschenrechten? Die gelten für sie nicht? Unfassbar!)

Wir haben gerade die Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Aber die Art und Weise, wie die Türkei dieses scheinbare Angebot beim Umgang mit den Menschenrechten im eigenen Land verpackt, lässt dieses Angebot als eher vergiftet erscheinen.

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)

Der zweite Punkt: die Visaliberalisierung, die er anbietet. Auch hier sollten wir sehr vorsichtig sein. Viele von Ihnen wissen, dass ich für gezielte Visaliberalisierungen unter bestimmten Bedingungen bin. Aber hier droht die Gefahr, dass die Opposition gezielt aus dem Lande reisen darf und Erdoğan sich dadurch missliebiger Pluralität entledigt.

Der dritte Punkt, den er anspricht, betrifft die sicheren Schutzzonen. Das ist etwas, wo ich verstärkte Anstrengungen der Türkei erwarte. Die Türkei sollte mithelfen, Anstrengungen zu unternehmen, dass wir endlich ein UN-Mandat hinbekommen. Mit der Türkei, mit Russland, natürlich mit den europäischen Staaten und den USA ist dies zu leisten. Aber das, was wir gegenwärtig erleben, ist eine Scheinlösung. Wir müssen deshalb auch mit aller Kraft darauf hinwirken, dass die Türkei wieder Teil der internationalen Gemeinschaft ist und nicht innenpolitische Probleme zu deren Lasten löst. Deshalb ist es umso wichtiger – da unterstütze ich die Aussagen von Niels Annen und Andreas Nick –, dass die Kanzlerin das Gespräch sucht. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie die richtigen Worte findet.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Bevor wir auf Vorschläge eingehen, die die Türkei uns anbietet, sollten wir die Wahlen abwarten und von der Türkei verlangen, die innenpolitischen Spannungen zu überwinden, Pluralität wieder zuzulassen und innenpolitisch einen Aussöhnungsprozess zu starten. Dazu gehören nicht nur die Kurden, sondern dazu gehören alle demokratischen Parteien in der Türkei.

Das, was wir im Moment erleben, ist ein Widerspruch. Deshalb sollten wir darauf dringen – unsere Kanzlerin wird dies am Wochenende tun –, dass Erdoğan von seinem Pfad der Unredlichkeit und der politischen Propa­ganda im eigenen Land zurückkehrt, die Gewalt gegen die Opposition einstellt

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie glauben auch an den Weihnachtsmann!)

und sich der internationalen Verantwortung stellt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Nächste Rednerin in der Debatte: Inge Höger für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5969621
Wahlperiode 18
Sitzung 129
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara
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