Hans-Peter UhlCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde ist für den Bundestag sicher eine wichtige und gute Gelegenheit, seine Trauer über den jüngsten Bombenanschlag in Ankara zum Ausdruck zu bringen. 100 Tote und 246 Verletzte – das sind erschütternde Zahlen für uns alle. Dieser Anschlag steht in einer ganzen Reihe von anderen Gewalttaten, die die Türkei in den letzten Wochen erschüttert haben. Wir gedenken all dieser Opfer.
Ansonsten aber, Herr Özdemir, sehen wir die Dinge etwas differenzierter, als Sie sie gerade vorgetragen haben. Über die menschlichen Tragödien hinaus richtet sich unser Blick nämlich auf die destabilisierende Wirkung in der ganzen Region. Jedermann weiß, dass diese Ereignisse auch Auswirkungen auf Deutschland haben können und vermutlich auch haben werden.
Die Türkei ist – ich zitiere hier unseren Außenminister – hinsichtlich der Migrationsbewegungen das Schlüsselland für Europa. Da hat er recht. Und die Reise der Kanzlerin dient dem Aspekt, mit der Türkei über ihre Funktion bzw. Rolle bei den sich anbahnenden Völkerwanderungen in Europa oder nach Europa zu reden.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon wolltet ihr aber die letzten zehn Jahre nichts wissen!)
Die griechische Insel Kos liegt in Sichtweite der türkischen Küste. 1 bis 2 Millionen Menschen warten an der türkischen Mittelmeerküste darauf, auf die griechischen Inseln überzusetzen, um von dort aus über Mazedonien im Wesentlichen nach Deutschland weiterzuwandern.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wollen Sie die erschießen, oder was? Oder erschießen lassen?)
Das ist das Thema der Reise der Bundeskanzlerin am kommenden Sonntag. Aber auch die Zuspitzung der Kurdenfrage hat vermutlich unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland. In Deutschland leben circa 800 000 Kurden und etwa 3 Millionen türkischstämmige Menschen. Der Konflikt zwischen den Türken und den Kurden in Ankara bzw. der gesamten Türkei birgt sozialen Sprengstoff auch für uns in Deutschland.
Wie der Pressemitteilung der Grünen über diese Aktuelle Stunde zu entnehmen ist, wird der gedankliche Ansatz der Antragsteller dem selbst gewählten Thema nicht gerecht. Der Anschlag vom letzten Samstag, die innenpolitische Situation in der Türkei und die Beurteilung des türkischen Präsidenten Erdoğan, dies alles wird vermischt. Die Zweifel an den guten Absichten der Grünen werden damit gestärkt. Mit einer solchen tendenziösen Oberflächlichkeit und der Art,
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE], an das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Jetzt muss ich euch direkt gegen die verteidigen!)
wie Sie mit dem Staatspräsidenten der Türkei in öffentlicher Debatte im Hohen Haus umgegangen sind, lassen mich zweifeln, ob Sie damit den Interessen Deutschlands gedient haben. Ich habe meine Zweifel.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Vaterlandslose Gesellen!)
Die Wahrnehmung humanitärer Interessen und die Wahrnehmung deutscher Interessen erfordern Gespräche und Abkommen mit der Türkei, und zwar so schnell wie möglich. Wenn nun die Vertreterin der Linken sagt, dass uns dabei die Opfer in der Türkei völlig egal seien, dann ist das eine primitive Unterstellung, die ich zurückweise.
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihre Rede beweist das doch! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Es geht doch um die Flüchtlinge!)
Eile ist geboten. Deswegen ist es richtig, dass die Bundeskanzlerin am Sonntag in die Türkei reist und Gespräche führt. Diese Gespräche sind für uns von großer Bedeutung.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind käuflich!)
Die Bundeskanzlerin wird dabei mit Sicherheit auch die innenpolitische Lage in der Türkei ansprechen,
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie haben es sogar verstärkt!)
aber nicht im Wege öffentlicher Anklage quasi über Lautsprecher, sondern in geeigneter Form.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Herr Erdoğan lässt sich davon beeindrucken? Krass! – Zuruf von der LINKEN: Terrorförderer!)
Ich darf Folgendes bemerken: Demokratie in anderen Staaten ist das Lieblingsthema der Grünen. Gut wäre es, wenn Sie ab und zu das Demokratieprinzip grundsätzlich durchdenken würden. Dann würden Sie gerade in der Flüchtlings- und Einwanderungsfrage in Deutschland zu differenzierteren Erkenntnissen kommen, Herr Özdemir. Der berühmte Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm äußerte einmal – ich glaube, er ist seinerzeit auf Vorschlag der SPD berufen worden; darauf kann die SPD noch heute stolz sein –: Souverän ist in einer Demokratie das Volk als Bewusstseins- und Willensgemeinschaft. Er sprach von der Notwendigkeit einer hinreichenden Ähnlichkeit der Volksgruppen in einem Staat, ich betone: der Notwendigkeit einer hinreichenden Ähnlichkeit der Volksgruppen. Warum? Denn nur wenn eine solche Ähnlichkeit der Volksgruppen gegeben ist, ist es möglich, dass die Minderheit im Staat die Überstimmung durch die Mehrheit ertragen kann, ohne dass dabei der soziale Frieden gefährdet wird. Ein sehr kluger Gedanke! Nur wenn die Ähnlichkeit aller Volksgruppen einigermaßen gegeben ist, kann die Minderheit das Überstimmen durch die Mehrheit ertragen, und zwar nur dann.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Völkischer Kram ist das! Völkisch ist das!)
Über diesen Demokratiegedanken sollten Sie einmal nachdenken, bevor Sie eine Einwanderungspolitik betreiben, die jedermann Tür und Tor öffnet und nach dem Mund redet.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wo soll denn das hinführen? – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das unser Thema heute?)
Ich komme zum Schluss. Die Gefährdung der Demokratie in Deutschland durch die Einwanderungspolitik der Grünen ist für uns Grund zur Sorge. Die Grünen vernachlässigen ihre nationale Verantwortung,
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, da schämen sich gerade einige Ihrer Kollegen!)
wenn sie nur über demokratische Voraussetzungen in anderen Staaten wie hier in der Türkei zu Gericht sitzen. Das ist nichts, was uns hilft.
(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für deutsche Interessen sollen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Unglaublich! Was für ein Deutschlandbild! – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schämen sich Ihre Kollegen fremd!)
Danke, Kollege Uhl. – Nächster Redner in der Debatte: Dietmar Nietan für die SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 129 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara |