Gunther KrichbaumCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Herausforderungen, für die jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union zu klein ist – und sei er auch noch so groß, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland. Genau dann muss die Antwort natürlich eine europäische sein.
Das gilt vor allem für die Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingsströme. Es ist richtig, dass wir sagen: „Wir schaffen das“, aber richtig ist auch, dass wir vor allem die europäischen Partner noch stärker in die Pflicht nehmen und ihnen sagen müssen: Wir schaffen es nicht alleine.
Anfänge sind gemacht. Auch wenn sich beispielsweise der britische Premierminister anfangs noch weigerte, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, so lenkte er später ein – zugegebenermaßen auf noch viel zu niedrigem Niveau. Auf dem JI-Rat gelang es dann erstmals, eine Verteilungsquote festzulegen. Mein persönlicher Dank gilt hier ganz besonders auch Ihnen, Herr Innenminister de Maizière.
Was wir aber keinesfalls akzeptieren können, ist die Totalverweigerung einiger Staaten, wie beispielsweise, um sie namentlich zu nennen, der Slowakei. Deren sozialistischer Ministerpräsident Fico sagt auch noch geradezu pharisäisch, er würde Flüchtlinge aufnehmen, aber nur, wenn es Christen seien. Man sollte ihm womöglich einmal ein Exemplar der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber ganz bestimmt eines des Neuen Testaments zuschicken;
(Beifall der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
denn darin heißt es:
Was du einem meiner geringsten Brüder getan hast, das hast du mir getan.
Das ist Solidarität, Nächstenliebe und Humanität, wie sie niemand anderes als Jesus Christus selbst vorgelebt hat.
(Beifall des Abg. Heinz Wiese (Ehingen) [CDU/CSU])
Er hat die Menschen bestimmt nicht nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt, bevor er geholfen hat. Deswegen darf dieses Denken – namentlich das Denken von Herrn Fico – wirklich als bizarr bezeichnet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Axel Schäfer (Bochum) [SPD]: Herrn Orbán nicht zu vergessen!)
Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft. Wir erleben hier jedoch eine Entsolidarisierung innerhalb der Europäischen Union, aber eben auch gegenüber den in Not geratenen Menschen. Das ist nicht akzeptabel, und das dürfen wir diesen Staaten auch nicht durchgehen lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hier wünsche ich mir in der Tat einen noch stärkeren Druck der Europäischen Kommission; denn der Umgang mit der gegenwärtigen Krise ist gewissermaßen der humanitäre Lackmustest für die gesamte Europäische Union. Wir sind kein Wirtschaftsklub, wir sind eine Werteunion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Gerade vor diesem Hintergrund war das Handeln unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 die einzig richtige Vorgehensweise.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Es war ein Freitagabend, an dem der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann anrief und die dramatische Lage schilderte. Es gibt sicherlich Momente, in denen Entscheidungen gefragt sind und keine Arbeitskreise oder Zirkel, die man vorher einrichten könnte. Deswegen war es wichtig, die Flüchtlinge, die ja bereits in der Europäischen Union waren, an der Grenze hereinzulassen. Diese Entscheidung war mutig und verdient Respekt. Sie ist gerade der Beweis für die Humanität und die Werte, für die wir in dieser Europäischen Union insgesamt stehen, und hat eine Eskalation vermieden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ich möchte auch darauf eingehen, was Herr Oppermann vorhin über die Europäisierung des Asylrechts gesagt hat. Ja, das ist richtig, aber leider auch leichter gesagt als getan; denn das hat auch Auswirkungen auf uns. Bedingt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir mit das höchste Leistungsniveau in Europa. Deswegen brauchen wir in der Tat Vereinheitlichungen, um Fehlanreize auszuschließen. Das heißt, wir müssen eine Anpassung vornehmen, durch die wir logischerweise auf ein niedrigeres Niveau als gegenwärtig kommen. An dieser Stelle, Herr Dr. Strengmann-Kuhn, ist mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 das letzte Wort mit Sicherheit noch nicht gesprochen; denn der Kontext ist jetzt ein anderer.
(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage! Ansonsten geht das von meiner Redezeit ab. – Die Flüchtlinge werden auch in Rumänien, in Bulgarien und anderen Ländern der Europäischen Union in Sicherheit leben können. Es geht darum, hier eine Lösung zu finden. Wir brauchen eine echte Vergemeinschaftung. Von diesem Ziel sind wir gegenwärtig noch weit entfernt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, es gibt niemanden in diesem Hause, der Sie im Hinblick auf den bevorstehenden Europäischen Rat heute Abend beneidet. Gerade deshalb wünschen wir Ihnen allen eine glückliche Hand.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5974362 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 130 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |