Nina WarkenCDU/CSU - Bewältigung der Flüchtlingskrise
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege von Notz, ganz klar ist mir nicht geworden, wie wir es eurer Ansicht nach schaffen wollen, wenn die grüne Fraktion sich enthält.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Seit vielen Wochen und Monaten diskutieren wir über das Thema Flüchtlinge. Gemeinsam haben wir bereits zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, um die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Vieles hat sich verändert. Wir sprechen heute von einer der größten Flüchtlingskrisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch eines hat sich nicht geändert: unsere feste Überzeugung, dass unser Asylsystem nur funktionieren kann, wenn die geltenden Regeln von allen Beteiligten eingehalten werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Mehr denn je stellt sich heute im Angesicht der nicht nachlassenden Flüchtlingsströme nach Deutschland die Frage: Was ist ein gerechtes Asylsystem? Je nachdem, wohin man in diesem Hohen Haus schaut, wird es verschiedene Antworten darauf geben. Ich möchte mich daher auf vier Kernpunkte konzentrieren, die wir wohl fast alle teilen.
Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es denjenigen Schutz bietet, die vor politischer Verfolgung, Krieg, Plünderung und Vergewaltigung aus ihrer Heimat fliehen.
Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es seine Kapazitäten für diejenigen zur Verfügung stellt, die den Schutz wirklich benötigen.
Es ist gerecht, wenn es verlässlich und anerkannt ist: verlässlich für unsere internationalen Partner, für die Schutzsuchenden und – das wird häufig vergessen – anerkannt durch die eigene Bevölkerung.
Ein Asylsystem ist aber auch nur dann gerecht, wenn es den Verfolgten eine angemessene menschenwürdige Aufnahme und die Chance zur Integration bieten kann.
Seit Anfang September – das wird sicherlich niemand hier bestreiten – befinden wir uns bei der Flüchtlingsfrage im Ausnahmezustand. Wir erleben einen massiven Zustrom von bis zu 10 000 Asylbewerbern am Tag, die alle registriert, versorgt und untergebracht werden müssen. Die hauptamtlichen und die ehrenamtlichen Helfer leisten in diesen Tagen großartige Arbeit und manchmal fast schon Übermenschliches: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden, Polizisten, Soldaten und die vielen Helfer vom THW, vom Roten Kreuz, von den freiwilligen Feuerwehren und vielen weiteren Organisationen, wie sie zum Beispiel auch heute auf den Zuschauertribünen Platz gefunden haben. Dafür möchte ich ihnen herzlich danken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der aktuellen Lage verstehe ich, wenn es in Landkreisen, Städten und Gemeinden, aber auch bei freiwilligen und hauptamtlichen Helfern heißt: Wir können diese Massen nicht mehr bewältigen. – Genauso verstehe ich die Sorgen und Bedenken der Menschen bei uns im Land, wenn es gilt, auf einmal 1 000 Flüchtlinge innerhalb weniger Stunden in einer kleinen Gemeinde unterzubringen, wie zum Beispiel im Fall von Hardheim in meiner Heimatregion.
Für mich steht fest: Wir dürfen unsere Kommunen und die Helfer nicht grenzenlos belasten. Wir brauchen dringend geordnete Strukturen und Verfahren. Deshalb ist es von fundamentaler Bedeutung, dass wir mit der heutigen Debatte und ihren rechtlichen Folgen ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger senden, dass wir die Sorgen ernst nehmen und unserer Verantwortung nachkommen, Herr der Lage zu sein. Es ist deshalb richtig, dass wir mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine konsequente Trennung einhalten zwischen den Schutzbedürftigen und denen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, eine Trennung, die sich wie ein roter Faden durch unser komplettes Asylsystem ziehen muss.
Wir haben nun in diesem Sinne ein Gesamtpaket auf den Weg gebracht, durch das die Verfahren beschleunigt werden, Anreize reduziert werden sowie die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten und die Integration von Asylbewerbern mit Bleibeperspektive erleichtert werden. Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass nun alle Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, weil dort keine systematische Verfolgung droht. Damit können nun auch Anträge von Asylbewerbern aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro schneller bearbeitet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern müssen zudem künftig bis zum Ende des Asylverfahrens in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Voraussetzung für ein geordnetes Verfahren und ein faires Asylsystem ist die Beseitigung von Fehlanreizen. Ein wichtiger Anreiz für die Menschen, die in unser Land kommen, ohne schutzbedürftig zu sein oder obwohl sie bereits in einem anderen Land Schutz gefunden haben, sind die Geldleistungen, die bei uns gewährt werden. Diese mögen manchem gering erscheinen, übersteigen jedoch oft die Monatslöhne in den Heimatländern der Menschen um ein Vielfaches. Es ist deshalb das richtige Signal, dass die Auszahlung von Geldleistungen längstens einen Monat im Voraus erfolgen darf. In den Erstaufnahmeeinrichtungen soll der Bargeldbedarf künftig, soweit möglich, durch Sachleistungen ersetzt werden. Ich möchte an dieser Stelle eindringlich appellieren, diese Regelung auch konsequent umzusetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinne der Akzeptanz des Asylsystems sind auch die vorgesehenen Einschränkungen im Leistungsbezug. Nimmt ein vollziehbar Ausreisepflichtiger, bei dem das Ausreisedatum und die Reisemöglichkeit feststehen, die Ausreise nicht wahr, steht ihm nach dieser Frist bis zur Ausreise nur noch ein Anspruch auf Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege zu. Gleiches gilt für Geduldete, bei denen eine Abschiebung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Diese Einschränkungen stehen – das hat auch die Anhörung ergeben – im Einklang mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bei diesen Asylbewerbern ist nämlich nicht von einem dauerhaften Aufenthalt und daher von einem geringeren Bedarf zur Deckung der Kosten für die Lebensführung auszugehen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!)
Nachholbedarf besteht bei der Abschiebung der Ausreisepflichtigen. Nach wie vor klaffen die Zahl der abgelehnten Asylbewerber und die Zahl der Abschiebungen weit auseinander. Aber auch hier sage ich: Wir müssen die Akzeptanz und die Berechenbarkeit unseres Asylsystems beibehalten. Dazu gehört, dass wir unsere Regeln endlich konsequent durchsetzen und damit auch abgelehnte Asylbewerber zügig wieder nach Hause schicken.
(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig!)
Alles andere ist angesichts der Lage in den Kommunen nicht mehr zu vermitteln. Auch hier machen wir mit dem Gesetz unsere Hausaufgaben und geben den Ländern entsprechende Instrumente an die Hand. So dürfen Abschiebungen künftig nicht mehr angekündigt werden. Mit der bislang gängigen Praxis wurden viel zu häufig diejenigen geschützt, die sich ihrer Abschiebung durch Untertauchen entziehen wollten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jetzt liegt der Ball im Feld der Länder. Für die gilt: Kommen Sie Ihrer Pflicht nach, und verweisen Sie diejenigen schneller des Landes, die kein Recht haben, hier zu sein, und die lediglich die Kapazitäten für die tatsächlich Schutzbedürftigen blockieren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns dies alles gelingt und unser Asylsystem akzeptiert, berechenbar und fair bleibt und wir ein geordnetes Verfahren haben, dann bin ich mir sicher, dass wir auch die wichtigste Aufgabe erfolgreich bewältigen: die Integration der zu uns kommenden Menschen. So sorgen wir mit dem Gesetzespaket, etwa mit der Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive, dafür, dass sich diese Menschen bei uns im Land schneller eine eigene Zukunft aufbauen können. Gleichzeitig gebe ich dem Bundesinnenminister recht, wenn er betont, dass Integration keine Einbahnstraße sein dürfe. Nicht nur wir müssen Integrationsangebote und eine gelebte Willkommenskultur schaffen, sondern auch umgekehrt erwarten wir von den Flüchtlingen, dass sie unsere Werte und unsere Gesetze achten und annehmen. Eines muss auch gesagt werden: Wer sich zum Beispiel von Frauen das Essen nicht reichen lässt oder sich weigert, mit ihnen zusammen einen Deutschkurs zu besuchen, den werden wir, egal wie sehr wir uns bemühen, nicht integrieren können, und der sollte sich fragen, ob wir das richtige Land für ihn sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vorliegende Gesetzespaket ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält, werden jedoch weitere Maßnahmen folgen müssen. Bundespräsident Gauck hat es vor kurzem auf den Punkt gebracht: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. – Letzteres ist uns sehr wohl bewusst. Deshalb sollten wir bereits heute über weitere Schritte nachdenken, wie etwa die Möglichkeit, Asylverfahren auch direkt an der Grenze durchzuführen. Wie auch Bundeskanzlerin Merkel heute betont hat, können wir die Flüchtlingskrise nicht allein in Deutschland lösen. Wir brauchen eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas.
Frau Kollegin, die Sache mit der Endlichkeit gilt auch für die Redezeit. Die ist schon überschritten.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich komme zum Ende. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der gegenwärtigen Situation gibt es nicht die eine Lösung. Wir brauchen eine ganze Reihe von Maßnahmen. Einige davon können wir sofort in Angriff nehmen, für andere brauchen wir einen langen Atem. Auf nationaler Ebene gehen wir mit dem Gesetzespaket den richtigen Schritt und geben den Ländern gute Instrumente in die Hand. Ich fordere diese nochmals auf, sie zu nutzen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich zu: Stimmen wir dem Gesetz mit breiter Mehrheit zu, und senden wir ein Signal nicht nur an die Flüchtlinge, sondern vor allem auch an unsere Bürgerinnen und Bürger!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5974466 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 130 |
Tagesordnungspunkt | Bewältigung der Flüchtlingskrise |