15.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 130 / Tagesordnungspunkt 5

Andrea LindholzCDU/CSU - Bewältigung der Flüchtlingskrise

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Da muss ich widersprechen: Es sitzt ein Präsident hinter Ihnen. Aber das macht nichts.

(Heiterkeit – Rüdiger Veit [SPD]: Immer gendern!)

Seit Monaten sorgen die Verantwortungsträger in den Kommunen, unsere Polizisten und Soldaten, die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und Hilfsorganisationen und die vielen ehrenamtlichen Helfer in einem beispiellosen Kraftakt dafür, dass Deutschland seinen hohen humanitären Ansprüchen in dieser Ausnahmesituation gerecht wird. Sie sind die stillen Helden in dieser historischen Flüchtlingskrise, und wir können ihnen gar nicht oft genug Danke sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer diese beeindruckende Leistung ernsthaft anerkennt, der muss aber auch erkennen, dass diese Leistung auf Dauer nicht tragbar ist und dass die Menschen in unserem Land in diesen Tagen von uns Lösungen erwarten.

Vorrangiges Ziel des Asylpaketes ist die Entlastung der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände halten die finanziellen Hilfen für ausreichend,

(Rüdiger Veit [SPD]: Wie bitte?)

und ich hoffe sehr, dass die Leistungen, die der Bund zusätzlich zur Verfügung stellt, auch umfassend an die Kommunen weitergegeben werden. Bayern ist da ein Vorbild.

Bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien danken, die in den letzten Wochen und Tagen Tag und Nacht an der Umsetzung gearbeitet haben. Hierfür heute einmal ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, der Kollege Veit von der SPD-Fraktion möchte Sie etwas fragen. Wollen Sie das zulassen oder weitersprechen?

Nein, ich rede weiter.

Bitte.

Der Gesetzentwurf soll im Grunde fünf Vorhaben umsetzen: erstens die Asylverfahren weiter beschleunigen, zweitens Fehlanreize minimieren, drittens die Ausreisepflicht konsequent durchsetzen, viertens die Unterbringung der Asylbewerber erleichtern und fünftens die Integrationshilfen für Menschen mit guter Bleibeperspektive verbessern. Der letzte Punkt ist entscheidend, um die gesellschaftlichen Folgen dieser Krise zu meistern. Wir wollen den Menschen, die tatsächlich schutzbedürftig sind, die Chance geben, sich schnell zu integrieren und sich schnell selbst zu versorgen. Deshalb heben wir auch das Leiharbeitsverbot auf und öffnen früher die Integrationskurse.

Wichtig ist – das wird heute zum wiederholten Male nicht gesagt –, dass künftig nur Menschen mit guter Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt werden und nur aussichtslose Asylbewerber bis zum Verfahrensabschluss in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben sollen, und das ist auch richtig so. Darum bitten uns im Übrigen auch Kommunen und Ehrenamtliche, weil sie ihren Fokus im Wesentlichen auf diejenigen richtigen wollen, die ein Bleiberecht bei uns erhalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit diesem Gesetzespaket stufen wir auch Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten ein. Schon im letzten Jahr hatte die Union dies gefordert. Das ist richtig so; denn allein in diesem Jahr wurden rund 80 000 Asylanträge aus dem Kosovo und aus Albanien registriert, aber zu 99 Prozent abgelehnt. Selbst Oberbürgermeister, die den Grünen oder der SPD angehören, schließen sich mittlerweile unserer Meinung an, weil sie nah an der Realität, nah an den Menschen vor Ort sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit dem Asylpaket setzen wir heute auch die bayerische Forderung nach einer bundesweiten Verteilung von unbegleiteten Minderjährigen um. Auch das ist richtig so. Bayern wird bis zum Jahresende rund 15 000 Flüchtlinge in der Jugendhilfe versorgen. Bundesweit sind das aktuell rund 35 000 Flüchtlinge. Es ist wichtig, dass auch diesbezüglich die Solidarität der Bundesländer untereinander endlich greift. Der Bund unterstützt mit 350 Millionen Euro pro Jahr die Versorgung. Ich will an dieser Stelle nochmals sagen, dass auch diesbezüglich unter anderem Bayern die Hauptlast trägt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich müssen abgelehnte Asylbewerber ihrer Ausreisepflicht nachkommen. Wir können nicht hinnehmen, dass nur rund 10 Prozent aller Ausreisepflichtigen zurückgeführt werden.

(Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])

Es ist gerechtfertigt, die Leistungen für Menschen, die nicht ausreisen, die sich der Ausreise entziehen oder widersetzen, in Zukunft konsequent zu kürzen. Das wird auch verfassungsrechtlich standhalten. Insgesamt ist der Gesetzentwurf ein wichtiger Zwischenschritt, mit dem wir auf nationaler Ebene nach der Reform des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom Juli 2015 für wichtige Verbesserungen sorgen.

Aber auch die Länder müssen noch nachbessern. Wir brauchen an den Verwaltungsgerichten noch mehr Richter, noch mehr Personal, damit dort nicht der nächste Flaschenhals entsteht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat allein im September 23 000 Asylanträge entschieden. Wir wollen – das ist auch richtig –, dass mehr Entscheidungen erfolgen. Da aber jeder zweite Bescheid beklagt wird, brauchen wir an den Gerichten mehr Richter, damit dort nicht der nächste Stau entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

All diese Maßnahmen, die wir heute beschließen, werden nicht ausreichen. Sie sind ein wichtiger Zwischenschritt. Wir müssen auch alles daransetzen, die unkontrollierte Zuwanderung von bis zu zehntausend Menschen pro Tag nach Deutschland einzudämmen, und zwar zügig und spürbar. Nach Niederbayern und Oberbayern strömen seit Wochen tagtäglich Tausende von Menschen. Die Kommunen und alle Verantwortlichen sind an ihren Belastungsgrenzen angekommen. Es ist daher nachvollziehbar, dass der bayerische Ministerpräsident vom Bund, der die Entscheidungen hierzu zu treffen hat, erwartet, dass richtige Entscheidungen getroffen werden, Entscheidungen, die Bayern entlasten. Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Solidarität der anderen Bundesländer. Sie müssen zügig und gemäß dem Königsteiner Schlüssel im erforderlichen Maß Flüchtlinge aufnehmen und Bayern entlasten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland ist stark wie kein anderes Land, und es hilft wie kaum ein anderes Land, auch in der Flüchtlingskrise. Aber auch unsere Aufnahmefähigkeit ist nicht unbegrenzt. Ein Bevölkerungswachstum von jährlich 1 bis 2 Prozent kann kein Land, auch Deutschland nicht, schultern. Das wäre weder gegenüber der deutschen Bevölkerung noch gegenüber den Helfern noch gegenüber den Flüchtlingen verantwortungsvoll.

Unsere Bundeskanzlerin hat heute Morgen in ihrer Regierungserklärung eindrucksvoll dargestellt, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Menschen vor Ort fragen uns – zumindest mich und viele meiner Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion – tagtäglich: „Was könnt ihr machen, was könnt ihr tun?“, und uns erreichen Hunderte von E-Mails. Wir müssen den Menschen erklären, dass es sich nicht um eine einfache Lösung handelt. Es wird, wie Angela Merkel gesagt hat, keinen Schalter geben, den man einfach umlegen kann. Diese Herausforderung ist vielschichtig, und sie kann nur auf europäischer Ebene bewältigt werden, nur mit Maßnahmen der Außen- und Entwicklungspolitik, nur vor Ort und in den Anrainerstaaten.

Trotzdem kann es nicht sein, dass Deutschland in Europa die Hauptlast trägt. Trotzdem kann es nicht sein, dass wir den effektiven Grenzschutz quasi aufgegeben haben; das gilt für Europa wie für Deutschland. Der Schutz der eigenen Grenzen ist kein Ausdruck von Menschenfeindlichkeit, sondern er ist die verfassungsgemäße Pflicht eines jeden Staates.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch unser Bundespräsident hat in Mainz klargestellt, dass unsere Hilfsbereitschaft groß ist, aber unsere Kapazitäten begrenzt sind. Ja, die Kanzlerin hat recht: Das faktische Limit wird sich wohl nur schwer beziffern lassen. Aber die Lage in den Kommunen ist dramatisch. In Bayern gibt es Kommunen, die an der Belastungsgrenze sind. Es kann daher kein Weiter-so geben. Das haben auch die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung am Montag eindrucksvoll bestätigt. Wir müssen dieser Entwicklung Rechnung tragen.

Natürlich lassen sich Grenzen nicht per Kabinettsbeschluss schließen. Natürlich will niemand Grenzen schließen oder eine Abschottung Deutschlands oder Europas. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir in der aktuellen Ausnahmesituation nicht auch effektivere Kontrollen und Zurückweisungen an den eigenen Grenzen erwägen sollten. Das Landgrenzenverfahren, das in der EU-Asylverfahrensrichtlinie vorgesehen ist, kann neben der Sicherung der Außengrenzen und der Einführung von Hotspots ein Baustein sein.

Gemeinsam müssen wir es schaffen, in Deutschland und Europa ein tragfähiges Asylsystem unter den aktuellen Bedingungen für die Zukunft zu gestalten. Daran müssen wir alle gemeinsam verantwortlich mitarbeiten. Aber auch innerhalb Deutschlands können wir diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen. Das geht nur, wenn wir ohne Hysterie und ohne Dramatik weiterhin mit überlegtem Handeln auf allen Ebenen zusammenarbeiten und nicht vergessen, dass es um Menschen mit individuellen Schicksalen geht, die aus unterschiedlichen Gründen bei uns Schutz suchen.

Wir können stolz sein auf die vergangenen Monate und Wochen, in denen die Menschen in Deutschland Herausragendes geleistet haben. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Sinne und in dieser Rhetorik weitermachen und gut zusammenarbeiten. Ich werbe heute um die Zustimmung zu diesem Gesetzespaket, dem sicherlich noch weitere Schritte folgen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zu einer Kurzintervention – mit der Bitte, es wirklich kurz zu machen, weil wir schon lange bei diesem Thema sind –: Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5974550
Wahlperiode 18
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Bewältigung der Flüchtlingskrise
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