Enak Ferlemann - Konsequenzen aus dem Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich meinen Minister entschuldigen, der heute sicherlich sehr gerne eine Rede zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten hätte.
(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Das glaube ich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber er ist, wie Sie wissen, auch auf Ihren Wunsch im Haushaltsausschuss gebunden, und das Haushaltsrecht ist das höchste Recht des Parlaments. Das bitte ich zu respektieren.
Zum Zweiten möchte ich sagen: Ich komme aus dem VW-Land, aus Niedersachsen. Die Auswirkungen, die dieser Skandal hat, werden bei uns bis in jedes Dorf zu spüren sein. Die Auswirkungen auf die Struktur unseres Landes und auf die dortigen Bedingungen werden enorm sein. Deswegen ist man als Niedersachse äußerst betroffen. Denn man sagt bei uns nicht zu Unrecht: Wenn VW erkältet ist, liegt Niedersachsen schon mit einer Grippe im Bett. – Jetzt ist VW wahrscheinlich nicht nur erkältet, sondern schwer erkrankt. Deswegen müssen wir uns auch um unser Land, um Niedersachsen, durchaus Sorgen machen.
Die von Volkswagen eingestandenen Manipulationen bei den Emissionen von Dieselfahrzeugen sind ein sehr ernstzunehmender Vorgang. Sie sind unzulässig und illegal, und sie erfordern sowohl eine vollumfängliche Aufklärung als auch eine zügige Beseitigung der entsprechenden Einrichtungen. VW steht in der Verantwortung, den Schaden zu beheben, eine damit verbundene Belastung seiner Kunden auszuschließen und verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Das ist ein großer Schaden für die Marke VW; so viel steht jetzt schon einmal fest. Ein Weg, den ich allerdings nicht mitgehe, ist, jetzt eine ganze Branche, so wie Herr Hofreiter es gemacht hat, unter Generalverdacht zu stellen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
und wegen der Manipulationen Einzelner Hunderttausende von fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verunglimpfen.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau so ist es!)
Wenn die Grünen in ihrem Antrag der gesamten Automobilbranche Schönfärberei oder Greenwashing vorwerfen und ihr grüner Vorzeige-Verkehrspessimist Winnie Hermann sagt: „Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindustrie nicht ... so bedeutend, wie sie tut“ – Zitat Ende –, dann ist das eine unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten an vorderster Stelle für unser aller Wachstum und unseren Wohlstand gearbeitet haben und es auch heute noch tun.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Deutschland ist und bleibt das Autoland Nummer eins. Wir sind seit 130 Jahren Innovationsführer beim Automobil. Alle wichtigen Erfindungen – vom Viertaktmotor bis zum Antiblockiersystem – kommen aus Deutschland. Darauf beruht ein wesentlicher Teil unseres Wohlstands, und darauf können wir alle miteinander zu Recht stolz sein.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die Schummelsoftware kommt auch aus Deutschland!)
Was Sie machen, ist teilweise unanständig und auch eine unzulässige Vermischung verschiedener Sachverhalte.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was Sie machen, ist unanständig! Das ist ja unglaublich!)
Insgesamt geht es um drei unterschiedliche Komplexe, die unabhängig voneinander zu betrachten sind: erstens um die Manipulation bei Dieselfahrzeugen durch VW, zweitens um die Optimierung von Prüfmechanismen in der Typengenehmigung und drittens um die Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes. In allen drei Bereichen sind wir aktiv und Ihrem Anti-Auto-Antrag sehr weit voraus.
Zum ersten Komplex. Wir haben sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe der US-Behörden das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, strenge spezifische Nachprüfungen bei Volkswagen durch unabhängige Gutachter vornehmen zu lassen. Diese Nachprüfungen erstrecken sich auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller im In- und Ausland. Dabei wird sowohl auf dem Prüfstand, der sogenannten Rolle, als auch unter realen Verkehrsbedingungen auf der Straße kontrolliert.
Darüber hinaus haben wir eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Staatssekretär Odenwald, besetzt mit Fachleuten aus dem Bundesverkehrsministerium und dem Kraftfahrt-Bundesamt, eingesetzt, die bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe in Wolfsburg zu ersten Gesprächen war und Einsicht in die Unterlagen genommen hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat VW im Zuge dessen aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen und technische Details zu der installierten Software mitzuteilen. Dieser Plan ist bei uns Mitte letzter Woche fristgerecht eingegangen.
Das Kraftfahrt-Bundesamt hat heute eine rechtsverbindliche Anordnung zum verpflichtenden Rückruf der Fahrzeuge gegenüber VW erlassen. Die zugrundeliegende EG-Verordnung sieht vor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge nachträglich Nebenbestimmungen anordnen kann. Von dieser Möglichkeit macht das Kraftfahrt-Bundesamt nunmehr Gebrauch.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte es mal früher machen sollen!)
Dieser Bescheid kommt im Hinblick auf den Sachverhalt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem von VW in bestimmte Diesel-Kfz eingebauten Softwareprogrammen um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Er auferlegt VW, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit insbesondere der Emissionen des genehmigten Systems nach der Entfernung dieser zu ergreifen und dies durch entsprechende Nachweise zu belegen.
Er auferlegt VW außerdem, den von VW am 7. Oktober 2015 vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan einzuhalten und über den Erfolg der Rückrufaktion dem Kraftfahrt-Bundesamt regelmäßig zu berichten.
Hinsichtlich der Fristen sieht der Bescheid ferner Folgendes vor: Für Fahrzeuge mit einem 2-Liter-Aggregat ist bis zum Ende dieses Monats eine generelle Lösung für die Mängelbehebung anhand eines Fahrzeugs mit Testsoftware verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,6-Liter-Aggregat ist bis Mitte November eine generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,2-Liter-Aggregat ist bis Ende November eine generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig?
Nein, ich möchte im Zusammenhang berichten.
Danke schön.
Die entsprechenden Rückrufaktionen beginnen Anfang 2016. Deren Einleitung und auch deren Fortgang werden ebenso vom Kraftfahrt-Bundesamt überwacht werden.
Fest steht, dass VW bei allen Maßnahmen die Verbraucherinteressen vollumfänglich berücksichtigen muss. Das heißt konkret: Alle Maßnahmen, die der Schadensbehebung dienen, und auch mögliche Folgeauswirkungen dürfen nicht zulasten der Kunden gehen. Wir haben gegenüber VW keinen Zweifel daran gelassen, dass wir die Aufklärung und Problemlösung aufmerksam begleiten und nicht nachlassen werden, bis der ganze Fall aufgeklärt ist.
Zum zweiten Komplex. Mit den Manipulationen bei VW nichts zu tun hat unser Engagement auf europäischer Ebene, die Prüfmechanismen bei der Typengenehmigung so zu optimieren, dass wir näher an die Realemissionen herankommen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stehen seit Jahren auf der Bremse!)
Wie Sie alle wissen, stehen wir in Brüssel seit 2011 in Verhandlungen mit der Kommission und den Nationalstaaten, um neben dem Test auf der Rolle auch einen Test mit portabler Messtechnik im Realverkehr auf der Straße, den sogenannten RDE-Test, einzuführen.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie versuchen doch, dies zu verhindern!)
Das entspricht im Wesentlichen dem Verfahren, das wir jetzt bereits bei den strengen spezifischen Nachprüfungen anwenden.
Die Verkehrsminister der Länder sind sich seit langem darüber einig, dass diese RDE-Tests eingeführt werden. Vor diesem Hintergrund wurden bereits mehrere Verordnungspakete verabschiedet. Jetzt geht es darum, letzte Details zu klären und einen verbindlichen Zeitplan zur Einführung der neuen Prüfmechanismen einzuführen.
Gleichzeitig setzen wir uns mit großem Nachdruck auf internationaler Ebene dafür ein, ein weltweit einheitliches Testverfahren zur Ermittlung von Abgasemissionen, das sogenannte WLTP, zu entwickeln und in die europäischen Vorschriften zur Typengenehmigung zu überführen.
Bereits heute sind bei der Typengenehmigung nach EU-Recht sogenannte nationale Überwachungsprogramme möglich. Dies wird umgangssprachlich auch Feldüberwachung genannt. Dabei wird nach der Typengenehmigung stichpunktartig die Konformität der Serienfahrzeuge überprüft.
Zum dritten Komplex. Ein weiteres, wieder anderes Thema, das man eben nicht vermischen darf, ist die Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes der Fahrzeuge, die sich bereits im Betrieb befinden. Hier greift die sogenannte AU, die periodische Abgasuntersuchung, die sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt hat.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das meinen Sie nicht wirklich ernst! Ich fasse es nicht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat sich bewährt?)
Um auch hier noch näher an die Realemissionen heranzukommen, arbeiten wir an einer Kombination der Messungen am Überwachungssystem und am Endrohr. Eine sachgerechte Umsetzung dieser Erweiterung wird derzeit geprüft und anschließend auf den Weg gebracht.
Ungeachtet unserer Maßnahmen in diesen drei Feldern müssen wir auch einmal ganz klar sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren bei den Emissionen durchaus deutliche Fortschritte gemacht.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Stickoxid nicht!)
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhandlungen zur europäischen CO2-Richtlinie stark dafür eingesetzt, dass wir in Europa heute die weltweit anspruchsvollsten Zielwerte haben.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich reicht es nicht!)
Dadurch sind allein in den letzten fünf Jahren die CO2-Emissionswerte von Pkw um mehr als 25 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat die Einführung der Euro-Grenzwertstufen seit 1992 zu einer über 90-prozentigen Reduzierung der NO x -Grenzwerte geführt.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Schönrederei, was Sie da machen!)
Das ist die Lösung: näher ran an die Realemission und nicht noch weiter runter mit den Grenzwerten, wie es die Grünen in ihrem Antrag wieder einmal fordern.
(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen die Grenzwerte einhalten! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks ist aber für eine Senkung der Grenzwerte!)
Ihnen geht es bei der ganzen Diskussion, so hat man den Eindruck, nicht um Aufklärung, nicht um Lösungen und nicht um Fortschritte. Sie schrecken nicht davor zurück, völlig unterschiedliche Sachverhalte wild zusammenzuwürfeln und Wahrheit und Klarheit Ihrer Ideologie zu opfern. Ihnen geht es ausschließlich um einen Fundamentalangriff auf das Auto an sich als Symbol für Mobilität, Flexibilität und Individualität.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Quatsch!)
Herr Staatssekretär, ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zulassen.
Nein, danke. – Wir klären die Vorgänge bei VW auf und sorgen dafür, dass die Maßnahmen zur Behebung der Manipulationen vollumfänglich umgesetzt werden. Wir wahren die Verbraucherinteressen und stellen sicher, dass die Umrüstung nicht zulasten der Kunden geht. Wir treiben die Einführung der RDE-Tests auf europäischer Ebene weiter voran. Deutschland bleibt Autoland Nummer eins: für unser Wachstum, unseren Wohlstand und unsere Arbeit von morgen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5974818 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 130 |
Tagesordnungspunkt | Konsequenzen aus dem Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen |