Wilhelm PriesmeierSPD - Milchmarkt
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so zuhört, dann glaubt man, Friedrich Ostendorff und die Kollegin Tackmann haben den Stein der Weisen gefunden, wie man zu einer neuen Marktwirtschaft kommt.
Eins ist doch klar: Wenn wir mit den Beschlüssen von 2003 – unter Rot-Grün von Renate Künast in Luxemburg in hervorragender Weise durchgesetzt – ernst machen, dann bedeutet das, dass wir am Ende die Interventionspolitik abgeschafft, den Interventionspreis gesenkt, die Exporterstattungen gestrichen und uns damit dem Weltmarkt geöffnet haben. Das bietet Chancen, das bietet natürlich auch Risiken.
Mit dem alten System haben wir die Betriebe nicht stabilisiert; die Zahl der Betriebe ist kontinuierlich zurückgegangen. Zu Recht weist der grüne Antrag darauf hin, dass seit 1999 die Hälfte der Betriebe aufgegeben hat. Das ist zu Zeiten passiert, als wir noch einen regulierten Markt hatten. Die Quote hat das nicht verhindern können.
In den letzten Jahren haben wir zumindest durch Veränderungen des Agrarsystems im Hinblick auf die Gemeinsame Agrarpolitik und das Zahlungssystem dafür gesorgt, dass die Landwirtschaft in Europa erheblich wettbewerbsfähiger geworden ist. Man sollte sich nicht einfach von dem verabschieden, was man einmal mitbeschlossen hat. Dazu sollte man stehen, und dazu stehe ich zumindest in der vollen Verantwortung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Kassandra braucht man hier nicht aufzutreten. Der eigentliche Akteur im Milchpulvermarkt ist Neuseeland. Nicht nur die Europäer haben ihre Produktion drastisch erhöht, sondern die Neuseeländer haben das Gleiche getan. Wir finden uns jetzt in einer Situation wieder, in der wir in der Tat eine Überproduktion haben. Aber welches Instrument ist denn besser geeignet als Angebot und Nachfrage mit dem daraus resultierenden Preis, um solche Krisen zu bewältigen? Bisher kann ich nicht erkennen, dass da jemand wirklich den Stein der Weisen gefunden hat. Wenn ich an alte Zeiten zurückdenke: Schon der zentral gelenkten Planwirtschaft war kein Erfolg beschieden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bravo!)
Das, was wir hier in Ansätzen sehen, ist so etwas Ähnliches.
Meine Damen und Herren, diese Denkweise kann ich nicht mehr nachvollziehen. Das hat den europäischen Steuerzahler sehr viel Geld gekostet, nicht zur Stabilisierung beigetragen und auch nicht für wettbewerbs- und zukunftsfähige Betriebe gesorgt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommen die Liquiditätshilfen her, Wilhelm? Aus Steuergeldern!)
– Die Liquiditätshilfen kommen aus den Steuergeldern, zum Teil natürlich auch aus den Zahlungen, die durch die „Superabgabe“ nach Brüssel abgeflossen sind.
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird es die nächsten Jahre nicht geben!)
Das heißt, die kommen aus dem Sektor unmittelbar.
Das Vertrauen der deutschen Landwirte, glaube ich, verliert man durch eine offene und geradlinige Politik nicht; ich setze darauf. Wenn wir zurückschauen, dann können wir erkennen, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden für nichts ausgegeben haben. Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Konzept, original übernommen vom BDM. Insofern, glaube ich, sitzt hier die parlamentarische Speerspitze dieses Verbandes.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ob man sich wirklich dazu machen sollte, ist für mich die Frage; ich glaube, eher nicht. Eigene Ideen dazu, wie man das Ganze angeht, habe ich heute nicht gehört.
Sie fordern Bonuszahlungen für Betriebe, die ihre Produktion kurzfristig drosseln. Da muss man natürlich sehen, dass man das nicht unbedingt nur aus dem bezahlen kann, was Sie als Finanzierung anbieten. Das wird wesentlich darüber hinausgehen. Das wird dann natürlich auch die sonstigen Zahlungen, die wir in dem Bereich noch haben, in ganz erheblichem Umfang belasten. So einfach ist die Rechnung nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das, was Sie auf der einen Seite nehmen, können Sie dann auf der anderen Seite – linke Tasche/rechte Tasche – wieder ausgeben. So kann man das machen. Sie wollen eine Abgabe für Erzeuger einführen, die ihre Produktion um mehr als 5 Prozent erhöhen. Warum gerade 5 Prozent? Warum nicht 3,8 oder 4,9? Dafür liefern Sie keinen überzeugenden Beleg.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie 69 und nicht 70 Millionen Liquiditätsbeihilfe?)
Die durchschnittlichen Erzeugungskosten sollen der Maßstab für den unteren Preis sein. – Wo sind denn die durchschnittlichen Erzeugungskosten in Irland, in Estland, in Italien, in Griechenland? Überall sind unterschiedliche Bedingungen im Markt. Überall sind unterschiedliche Kostensituationen.
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Cent Milchpreis in Estland! Estland hat den niedrigsten Milchpreis in Europa!)
In dieser Situation kann man das in einem gemeinsamen europäischen Markt überhaupt nicht definieren. Der Ansatz, den Sie fahren, ist ökonomisch nicht tragfähig. Das müssen Sie, finde ich, einmal offen eingestehen.
Private Lagerhaltung halte ich nicht für das Mittel der Wahl. Das dient den Lagerhaltern, aber nicht den Landwirten. Die Anhebung des Interventionspreises – vielen Dank, dass Sie das abgewehrt haben – ist auch kein taugliches Mittel, genauso wenig wie der Versuch einer flexiblen Mengensteuerung. Das ist purer Dirigismus, blanke Bürokratie.
Bürokratie – das haben wir eben schon gehört – funktioniert im Agrarbereich nicht besonders gut. Man ist noch nicht einmal in der Lage, die Direktzahlungen vorzeitig auszuzahlen.
Liquiditätshilfen für an sich gut aufgestellte Betriebe in so einer Krisensituation, das kann ich durchaus nachvollziehen. Das ist ein überschaubarer Bereich. Das kann man politisch vertreten – das haben wir in anderen Bereichen auch –, aber nur für die Betriebe, die in einer entsprechenden Situation sind. So etwas kann man natürlich nicht dauerhaft darstellen.
Kontrollen und Überwachungsinstrumente – das wäre ja Ihre Strategie – müssten erst aufgebaut werden. Sanktionen müssten durchgesetzt werden. Überall wäre staatliches Handeln gefragt. Ich sage eines voraus: Bis das Instrumentarium umgesetzt wäre, würde niemand mehr über diese Krise reden.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann kommt die nächste Krise!)
Ich erinnere mich noch an 2009. Was war unmittelbar danach? Da haben wir eine Kuhschwanzprämie beschlossen. Die haben wir ein Jahr später ausbezahlt; da war der Preis schon wieder oben. Das sind Instrumente, die untauglich sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich habe das feste Vertrauen in die deutsche Agrarwirtschaft, in die Landwirtschaft, in die Milchviehhalter und in die Milchbauern, dass sie auch diese Krise überwinden werden; denn die Krise ist endlich.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Krise ist nicht endlich!)
Am Horizont scheint sich eine gewisse Entspannung abzuzeichnen. Das kann man nicht einfach negieren. Der Milchpulverpreis in Neuseeland – Neuseeland ist der Pulverexporteur – ist auf den Terminmärkten schon um 60 Prozent gestiegen. Das lässt den Rückschluss zu, dass wir die Talsohle zumindest durchschritten haben und es vielleicht schon in allernächster Zeit wieder nach oben geht.
Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir im Binnenmarkt Wettbewerbsfähigkeit und Marktfähigkeit besser darstellen können, wie wir Situationen, in denen es Nachfrageoligopole gibt, angehen können. Vielleicht sollten wir Andienungsverpflichtungen und solche Dinge in bestimmten Regionen begrenzen, um da dem Erzeuger eine bessere Marktposition zu geben.
Es gibt auch andere Hinweise. Indem man regionalisierte Produkte auf den Markt bringt, erzeugt man einen höheren Mehrwert und kann auch mehr vom Verbraucher erwarten. Man schaue sich nur den Biobereich an! Da funktioniert der Markt. Also kann das mit dem Markt ja nicht so ganz falsch sein. Oder soll es da, wo die Preise steigen, in irgendeiner Form eine Begrenzung geben?
Jeder Eingriff in solche Mechanismen bringt letztendlich einen Wohlfahrtsverlust mit sich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dafür muss ich hinterher die Konsequenzen tragen. Man kann das auch nicht in Gänze tun; denn im Rahmen der europäischen Agrarpolitik ist eine Neuorientierung angesagt. Es ist, wie ich glaube, nicht zweckdienlich, dass wir dazu übergehen, das bisherige System weiterzuführen.
Im Hinblick auf 2017/2020 gibt es eine ganze Reihe an Handlungsoptionen; diese sollten wir auch wahrnehmen, indem wir beispielsweise Geld aus der ersten Säule in die zweite packen, es zielgerichtet für die Förderung von Grünlandstandorten ausgeben und so dafür sorgen, dass diese Grünlandstandorte nachhaltig bearbeitet und im Sinne des Klimaschutzes erhalten werden können. Klimaschutz, Grünlandregionen und Milchproduktion bilden ja letztlich eine Einheit. Die ersten beiden Faktoren sind dabei die Grundlage für unsere Milchproduktion; das wird auch in Zukunft so sein.
Ich hoffe einmal, dass wir in einem halben oder Dreivierteljahr über die derzeitige Krise in der jetzigen Form nicht mehr reden werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Nachmittag von meiner Seite Ihnen und den Gästen oben!
Der nächste Redner ist Kees de Vries für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 130 |
Tagesordnungspunkt | Milchmarkt |