Michael Roth - Gemeinsame europäische Grundwerte
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihrem Charme sind doch einige Abgeordnete erlegen; das ist schön.
Die Abgeordneten verlassen den Raum.
(Heiterkeit)
Es sind aber auch einige dageblieben. Bekanntermaßen zählt die Qualität und nicht die Quantität. Im Übrigen haben Sie, Frau Präsidentin, versucht, eine Brücke zu der Debatte anlässlich der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin heute Morgen zu schlagen. Ich finde, dass die jetzige Debatte unmittelbar an das anknüpft, worüber wir heute Morgen debattiert und gestritten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht uns zu Europäern? Ist das die Zugehörigkeit zu einem Kontinent? Ist das der Binnenmarkt? Ist das der Euro? Sicherlich auch. Aber wir sind vor allem eine Gemeinschaft von Werten, eine Gemeinschaft, die sich verständigt hat auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, die Würde des Einzelnen, Solidarität und Freiheit. Wir alle wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, weder im globalen Wettstreit noch in der EU als Ganzes. Deshalb ist es gut, dass wir heute diese Debatte im Deutschen Bundestag führen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Logik habe ich nicht verstanden!)
Ich weiß aus meiner bisherigen Arbeit, dass das Thema innerhalb der EU nicht von allen mit der gleichen Leidenschaft angepackt wird, weil man oft skeptisch ist, ob es zuträglich ist, sich in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzumischen.
Wir sind eine Gemeinschaft. Genauso wie uns Fragen der Haushalts- und der Wirtschaftspolitik grenzüberschreitend beschäftigen, sind wir alle davon betroffen, wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Zweifel gezogen werden. Deshalb tut eine gesamteuropäische Verständigung not. Es ist auch gut, dass wir in den nationalen Parlamenten, insbesondere im Deutschen Bundestag, darüber reden.
Unsere europäische Gesellschaft ist wertegebunden. Das trägt uns und hält uns zusammen. Wir sind zugleich offen für alle Kulturen, alle Religionen und alle Ethnien.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bayern!)
Es ist schon merkwürdig, dass sich Deutschland dafür kritisieren lassen muss, dass es mit Flüchtlingen so umgeht, wie es unsere Werte vorschreiben, nämlich human und anständig. Auch das muss einmal zur Sprache gebracht werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie das Herrn Seehofer!)
Wir müssen unsere Werte auch im Innern leben. Das darf sich nicht alleine darauf fokussieren, dass wir schöne, wohlfeile Reden halten. Es geht auch um konkrete Taten.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Deine Rede ist auch wohlfeil!)
Deshalb haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag verabredet, einen wirksamen Mechanismus in der Europäischen Union zu implementieren, der Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstärkt überprüft.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo gibt es den denn?)
Dies ist uns nach langen Auseinandersetzungen gelungen. Nicht alleine die Kommission und das Europäische Parlament beschäftigen sich mit dem Zustand der Werte und der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Vielmehr haben wir seit Dezember 2014 auch im Ministerrat einen entsprechenden Mechanismus entwickelt. Das war nicht einfach, aber nun haben wir ihn. Wir werden uns im kommenden November unter luxemburgischer Präsidentschaft zum allerersten Mal darüber austauschen, wie es um die Werte und die Rechtsstaatlichkeit bestellt ist. Die luxemburgische Präsidentschaft hat als Thema die Grundwerte im digitalen Zeitalter vorgeschlagen. Wir haben uns kürzlich in einem Kolloquium der EU-Kommission über Fragen der Islamophobie und des Antisemitismus ausgetauscht. Genau solche Debatten werden wir führen müssen; denn wie wir wissen, ist Artikel 7, der das Verfahren festlegt, das auf den Entzug der Stimmrechte eines Landes hinausläuft, kein taugliches Instrumentarium. Deswegen brauchen wir einen neuen Mechanismus, der inklusiv ist und der auch kein einzelnes Land an den Pranger stellt; denn wir alle haben unsere Hausaufgaben zu erledigen. Wenn wir über den Antisemitismus in Europa reden, dann wissen wir, dass dieser nicht nur ein Phänomen in einigen wenigen Staaten ist, er ist ein Thema, das auch uns in Deutschland in besonderer Weise betrifft.
Ich hoffe, dass diese Debatte auch dazu beiträgt, uns alle zu sensibilisieren, und dass sie dazu beiträgt, dass wir, wenn konkrete Missstände erkennbar werden, diese auch benennen. Das darf kein Thema sein, das wir hinter verschlossenen Türen diskutieren, sondern das Thema muss in die Parlamente hineingetragen werden. Wenn der Antrag, der heute zur Debatte steht, dazu beitragen kann, würde ich mich sehr darüber freuen. Ich zumindest verstehe ihn als Rückenwind für die Bemühungen der Bundesregierung.
Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch in der Novemberdebatte im Ministerrat ein klares Zeichen zu setzen. Worauf ich besonders hinweisen möchte, ist, dass bei einer konkreten Missachtung der Grundwerte auch eine entsprechende Ad-hoc-Debatte im Ministerrat vorgesehen ist. Wir werden im nächsten Jahr mit Ihrer Unterstützung den Beweis antreten müssen, dass wir uns damit beschäftigen, wie es um die Grundwerte steht, ob sie für uns nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ob wir sie leben, ob wir sie verteidigen und ob wir sie achten. Wenn die Bundesregierung dabei auf die Unterstützung des Deutschen Bundestages zählen kann, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar.
Augustinus soll einmal gesagt haben: Nimm das Recht weg, was ist dann der Staat noch anderes als eine große Räuberbande? – Dieser Satz verpflichtet nicht nur Deutschland vor dem Hintergrund seiner schwierigen, tragischen Geschichte, dieser Satz verpflichtet alle in Europa, 28 Mitgliedstaaten und die Institutionen der Europäischen Union.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der Debatte: Andrej Hunko für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5975699 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 130 |
Tagesordnungspunkt | Gemeinsame europäische Grundwerte |