15.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 130 / Tagesordnungspunkt 11

Lars CastellucciSPD - Gemeinsame europäische Grundwerte

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist in diesen Tagen viel von Europas Werten die Rede, und es ist wichtig, an dieser Stelle einmal festzuhalten, dass sich nicht jeder aussuchen kann, um welche Werte es geht, sondern es vielmehr so ist, dass wir diese Werte aufgeschrieben haben. Sie sind aus Artikel 2 des EU-Vertrages zitiert worden. Ich darf einmal vorlesen, was da weiter steht. Da steht nämlich auch noch:

Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

Auch der Wert der Solidarität wird erwähnt, den wir ja gerade in der Flüchtlingsfrage einfordern. Wir fordern ihn also nicht einfach so ein, sondern wir fordern ihn ein auf der Basis von gemeinsam verabredeten und verabschiedeten Vertragstexten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch – das ist ja das eigentliche Thema –, dass diese Grundwerte, wie Artikel 49 festlegt, zwingend zu erfüllen sind, wenn jemand Mitglied der Europäischen Union werden will, aber – das sagt ja selbst Herr Dörflinger – wir eigentlich kein Instrumentarium haben, das sicherstellt, dass, wenn jemand in der Europäischen Union drin ist, diese Grundwerte auch eingehalten werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann aus meiner Sicht so nicht bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen also ein Instrument. Und diese Rechtsstaatinitiative passt aus meiner Sicht absolut in diese Zeit; sie ist nötig. Wir laufen in Europa auseinander in diesen Wochen, in denen es eigentlich auf europäischen Zusammenhalt ankommt. Wir brauchen dringend die Rückbesinnung auf das, was uns verbindet.

Es gibt Handlungsbedarf: Es können Flüchtlinge nicht zurück nach Italien überführt werden, es können Flüchtlinge aufgrund von Gerichtsurteilen nicht zurück nach Ungarn überführt werden, es gibt Zurückweisungen an den Grenzen. Es wird europäisches Recht nicht eingehalten, und wir haben nichts in der Hand, um das zu ändern. Deswegen lobe ich auch die Bundesregierung für die Schritte, die sie in die Wege geleitet hat. Ich finde sie sehr gut. Ich bin auch dankbar dafür, dass die Grünen diesen Antrag gestellt haben und diese Debatte heute hier ermöglichen. Wir müssen aber weiter gehen, und es stimmt mich sehr hoffnungsvoll, dass das Europäische Parlament sich vorgenommen hat, einen an den Kopenhagener Kriterien angelehnten Mechanismus zu definieren, der sogar über das hinausgehen wird, was heute vorliegt.

Zur Union möchte ich noch etwas sagen: Sie sind doch immer für Sicherheit, Ordnung, Recht, Leitkultur und all dies. Sie sind doch immer dafür, dass Menschen, die zu uns kommen, sich an unsere Gesetze zu halten haben. Das ist ja am Ende des Tages auch richtig. An dieser Stelle ist aber doch eindeutig klar: Regeln, die wir nicht durchsetzen wollen, brauchen wir auch nicht aufzustellen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, sich nicht dagegen zu versperren, dass wir hier ein Instrumentarium schaffen, das uns hilft, Regeln, die wir gemeinsam aufgestellt haben, auch wirklich durchsetzen zu können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle einen Appell: Europa soll zu gemeinsamen Vorgehensweisen zurückfinden. Das sagen wir doch alle hier. Aber mit welchem Recht fordern wir eigentlich von Europa gemeinsame Vorgehensweisen, wenn wir noch nicht einmal hier in diesem Saal zu gemeinsamen Vorgehensweisen in der Lage sind, und das noch beim Thema „Europäische Grundwerte“, die uns doch alle verbinden?

Vielleicht ist das wirklich einmal ein Punkt, bei dem wir uns zusammenraufen und zeigen können: Für europäische Grundwerte stehen wir alle in diesem Haus. Wir werden aus Koalitionsdisziplin diesen Antrag zurückweisen, aber wir werden im Laufe des Verfahrens auf europäischer Ebene noch einmal einen Anlauf unternehmen und versuchen, zu einem gemeinsamen Text zu kommen. – Das würde ich sehr begrüßen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letzter Aspekt. Jetzt ist von blauen Briefen, von Kontrolle und neudeutsch von „blame and shame“ die Rede. Ich frage, ob das eigentlich das ist, was uns am Ende hilft, zusammenzustehen. Oder müssen wir nicht vielmehr mit jeder Faser und jeden Tag denen, die zu uns kommen und die eigentlich andere Werte teilen, deutlich machen, dass wir wirklich hinter unserem Rechtsstaat und hinter unseren Grundwerten stehen, dass wir denen dankbar sind, die sie in Generationen vor uns errungen haben, und dass wir es als Auftrag verstehen, sie voranzutreiben und sie auch in der heutigen Zeit durchzusetzen?

Ich wünsche mir, dass wir nicht nur ein Instrumentarium haben, mit dem wir gegenüber Menschen und Ländern, die die Vorgaben nicht korrekt erfüllen, den Zeigefinger heben können, sondern dass wir im Gegenteil auch gute Beispiele schaffen und Begeisterung für unser Lebensmodell ausstrahlen. Ich halte es für fantastisch, auf einem Kontinent zu leben, auf dem wir uns Spielregeln gegeben haben, und, wenn wir uns in diesem Rahmen bewegen, frei und ohne Angst aufwachsen können. Das ist ein Modell des Zusammenlebens für die ganze Welt. Das müssen wir ausstrahlen. Das ist das Wichtigste, was wir hier miteinander verabreden können.

Wir dürfen nicht nur dabei stehen bleiben, in Kontrollmechanismen zu denken, sondern wir müssen in Richtung der jungen Generation und der Menschen, die zu uns kommen, auch wieder unsere Werte wirklich vorleben. Die Menschen müssen bei uns spüren, dass uns das, was wir von der Türkei oder von denen, die zu uns kommen, fordern, wichtig ist. Diese Grundwerte sind fundamental für unsere Gesellschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Lars Castellucci. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Iris Eberl.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5975783
Wahlperiode 18
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Gemeinsame europäische Grundwerte
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