15.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 130 / Tagesordnungspunkt 11

Iris EberlCDU/CSU - Gemeinsame europäische Grundwerte

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag trägt die Überschrift „Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken“. Diese Aussage hat mich als Nichtjuristin fasziniert. Wir stärken unsere gemeinsamen Grundwerte, und wir stärken damit ganz Europa, von Lissabon bis Minsk, von Reykjavik bis Istanbul. Großartig! Ich war begeistert. Nach gründlichem Studium des Sachverhalts folgte die Ernüchterung. Seit Jahren geht es in einem zähen Ringen um die Frage: Werden denn die gemeinsamen Grundwerte in allen EU-Ländern auch brav eingehalten, und wenn nicht, was dann?

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Grundwerte sind uns allen ein besonderes Anliegen; denn sie sind unser kostbarstes Gut. Als überzeugte Europäerin sage ich: Das gilt auch für die Europäische Union. Das Zusammenwachsen dieser Union macht deutlich, dass sie nicht nur ein zufälliger Verbund von souveränen Staaten ist. Hier wurde die Basis für ein gemeinsames Werteverständnis geschaffen. Weil das so grundsätzlich und wichtig ist, zitiere ich aus Artikel 2 des EU-Vertrages:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

Die weitere Ausgestaltung der Architektur erfolgte in der Charta der Grundrechte von 2000 und 2007, wo diese Werte konkretisiert wurden.

Die Grünen wollen mit ihrem Antrag zum Schutz der Grundwerte ein Monitoringpanel einführen. Dieses Instrument überzeugt uns von der CDU/CSU gar nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit dem Artikel 7 des EU-Vertrages steht dem Rat ein Instrument zur Verfügung, das Bestehen einer eindeutigen Gefahr, einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat festzustellen und darauf zu reagieren. Es ist richtig: Die Hürden für die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7 sind hoch. Doch die Väter des EU-Vertrages haben diese Hürden wohlüberlegt so hoch angesetzt, um die Union in ihrem Bestand zu festigen. Wenn denn vom Volk gewählte Regierungen einzelner EU-Länder über kürzere oder längere Zeit Maßnahmen ergreifen, die fragwürdig erscheinen mögen, muss das eine demokratisch gefestigte Union aushalten und ausdiskutieren können. Das war bis jetzt der Fall.

Ein Verfahren nach Artikel 7 ist seit Bestehen der EU noch nie ausgelöst worden, obwohl es auch in der jüngeren Vergangenheit in Unionsstaaten immer wieder zu Verletzungen von Grundwerten gekommen ist. Ich nenne sie beim Namen: politische Einflussnahme auf Gerichtsverfahren, Korruption und Wahlfälschung, Diskriminierung von Minderheiten, Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit.

Der jüngste Jahresbericht der Grundrechteagentur zeichnet das Bild einer sich verschlechternden Lage von Migrantinnen und Migranten auf. Eine Ursache dafür ist die durch Krieg, Not und Elend ausgelöste Flüchtlingskrise. Wir sind der Auffassung: Die Union muss sich als Staatengemeinschaft mit der Lösung dieses Problems beschäftigen, auch mit dem Problem brutalster Menschenrechtsverletzungen in ihrer Nachbarschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Werte sind nämlich dazu da, dass man sie lebt. Dafür brauchen wir aber eine stabile Europäische Union und nicht eine, deren Mitglieder sich gegenseitig misstrauisch beäugen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber der Antrag der Grünen taugt in meinen Augen auch nicht. Die EU-Verträge bieten keine Rechtsgrundlage für einen neuen Aufsichtsmechanismus, schon gar keinen, der unterhalb der Schwelle des Artikels 7 läge. Wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie das Gutachten vom 27. Mai 2014 des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, den ich für nicht ganz so unwichtig halte. Jetzt ist ganz sicher nicht die Zeit, sich mit Vertragsveränderungen zu befassen. Denn bereits im zweiten Halbjahr 2014 wurde mit der Vereinbarung über den neuen politischen Rechtsstaatsmechanismus ein wichtiges europapolitisches Ziel des Koalitionsvertrages umgesetzt. Kern des Mechanismus ist eine Diskussion einmal pro Jahr im Allgemeinen Rat. Der neue politische Mechanismus bleibt, im Gegensatz zum Grünenantrag, im Rahmen der bestehenden Verträge, und das ist entscheidend. Er öffnet den Weg zu einem Dialog zwischen allen Mitgliedstaaten im Rat unter Wahrung der Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung, sein Ansatz ist unparteiisch und faktengestützt. Und das überzeugt.

Auch zusätzliche Ad-hoc-Diskussionen zu spezifischen Problemen einzelner Mitgliedstaaten sind möglich. Damit hat der Rat ein Instrument, um auch kurzfristig auf besorgniserregende Entwicklungen innerhalb der Union zu reagieren. Der luxemburgische Ratsvorsitz wird diesen Rechtsstaatsdialog noch 2015 in Gang setzen, wie Staatsminister Roth ausführte. Sein Erfolg bleibt abzuwarten. Geben wir doch diesem Instrument eine Chance, bevor wir neue Instrumente schaffen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schließlich geht der Antrag in seiner aktuellen Form auch zu weit. Die Partnerländer würden mit einem solchen ständigen Monitoringpanel-Überwachungsapparat unter Generalverdacht gestellt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, zerstört die Vertrauensbasis innerhalb der Europäischen Union.

Ein solches Monitoringpanel ist in einer Demokratie auch überflüssig. Es ist die Aufgabe der Presse, Missstände aufzuzeigen. Und sollte das Grundrecht der Pressefreiheit gar verletzt sein, so gibt es heute die sozialen Netzwerke. Dort wird jede Verfehlung publik gemacht und löst, je nach ihrer Art, einen Shitstorm aus, den niemand überhören kann. Dass das funktioniert, erleben wir jeden Tag, oft im Übermaß.

Letztendlich habe ich gegen den Antrag auch politische Bedenken, die in seiner eigenen Begründung liegen. Dort werden als Länder, deren Entwicklung Anlass zur Sorge geben, nur – ich zitiere – „Ungarn, Rumänien oder früher … Italien“ genannt. Warum nicht Griechenland? Warum nicht die Staaten, die sich bislang weigern, einen angemessenen Teil der Last der Flüchtlingskrise zu übernehmen? Hier offenbart sich eine wesentliche Schwäche des vorgeschlagenen Instruments: Das ständige Gremium könnte auch dazu benutzt werden, nur missliebige Länder an den Pranger zu stellen, was einen ehrlichen Dialog über die Rechtsstaatlichkeit im Weiteren unmöglich machen würde.

Damit schließe ich meine Ausführungen und sage ganz einfach: Ich bitte, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Eberl. – Das ganze Haus – alle Fraktionen – gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall)

Wir wünschen Ihnen Kraft und viel Begeisterung für ein starkes Europa. Vielleicht haben wir es noch nie so dringend gebraucht wie heute.

(Iris Eberl [CDU/CSU]: Ich danke! – Abg. Iris Eberl [CDU/CSU] nimmt Glückwünsche entgegen)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5975807
Wahlperiode 18
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Gemeinsame europäische Grundwerte
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