16.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 131 / Tagesordnungspunkt 28

Herlind GundelachCDU/CSU - Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das in der Regel eigentlich nur Spezialisten interessiert und von dem vermutlich auch die meisten Bürgerinnen und Bürger noch nie etwas gehört haben, nämlich über das Vergaberecht.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

– Die meisten nicht. – Oder wie kürzlich jemand so treffend formulierte: Das ist ein Rechtsbereich im Wesentlichen von Juristen für Juristen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht so! Er ist sehr breit interessiert! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Nein! Nein!)

– Aber es beschäftigen sich meistens die Juristen damit.

(Johann Saathoff [SPD]: Jeder Kommunalpolitiker! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialpolitiker! Wirtschaftspolitiker!)

Das Vergaberecht strukturiert und regelt die Vergabe von Aufträgen und die Beschaffung von Waren und Leistungen durch die öffentliche Hand. Und da, Herr Ernst, möchte ich Ihnen schon einmal gleich energisch widersprechen: Das Vergaberecht ist keine verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik. Das sind zwei getrennte Paar Stiefel. Das muss man einmal ganz klar sehen. Man kann nicht immer alles durcheinandermischen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Anlass für die Reform sind die im März 2014 veröffentlichten drei EU-Vergaberichtlinien; das hat ja der Kollege Held schon gesagt. Wir stehen heute deswegen auch vor dem bisher umfangreichsten vergaberechtlichen Gesetzgebungsverfahren. Die Umsetzung wird weiterhin im GWB erfolgen, wie es jetzt auch schon der Fall ist; ich denke, das ist auch vernünftig. Es wird also kein eigenes Vergabegesetz geben. Warum das so ist, darauf möchte ich später noch einmal eingehen.

Unser erklärtes Ziel bei der Gesetzgebung ist es, das Vergaberecht einfacher, unbürokratischer, anwenderfreundlicher und rechtssicherer zu gestalten. Außerdem wollen wir insbesondere die Möglichkeiten des Zugangs für kleinere und mittlere Unternehmen verbessern. Insgesamt – und da stimme ich dem Kollegen Held absolut zu – ist der Regierungsentwurf aus meiner Sicht gelungen. Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung. Ich denke, es gibt aber auch noch ein paar Punkte, bei denen wir nachbessern könnten. Dazu würde ich gerne ein bisschen ausholen.

Oberstes Prinzip bei der Vergabe ist, dass öffentliche Auftraggeber zu den wirtschaftlichsten und sachlich besten Konditionen beschaffen sowie Wettbewerb, Gleichbehandlung und transparente Verfahren gewährleisten. Diese Grundsätze sind wie bisher in § 97 GWB geregelt. Dadurch verhindern wir Korruption und Vetternwirtschaft. Alle zusätzlichen Regelungen im Vergaberecht müssen im Prinzip diesen Grundprinzipien folgen.

Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Punkte im Regierungsentwurf, die nicht ganz konform mit diesen Grundsätzen sind. Ich denke, auf diese müssen wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren eingehen.

Da ist zunächst einmal die Einbeziehung der sogenannten strategischen Ziele. Früher wurden diese übrigens als vergabefremde Kriterien bezeichnet. Ich denke, das zeigt auch schon die Problematik, die dahinterliegt. Die europäische Richtlinie gibt nämlich ausdrücklich vor, dass geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden müssen – ich denke, das ist in einem Rechtsstaat eine schiere Selbstverständlichkeit – und zusätzliche Auflagen, die allerdings in direktem Zusammenhang mit dem Auftrag stehen müssen, gemacht werden können. Diesen Vorstoß begrüße ich außerordentlich; denn das gibt der Exekutive insgesamt einen deutlich breiteren Handlungsspielraum.

Der Regierungsentwurf formuliert nun aber wie bei den sozial- und umweltbezogenen Aspekten „werden“, das heißt in dem Fall ein Muss. Sozial- und umweltbezogene Aspekte erhalten insoweit auch die gleiche Wertigkeit wie die Aspekte Qualität und Innovation. Die Maßgabe in Artikel 67 der Richtlinie ist aber, dass ein direkter Bezug dieser Kriterien – und darauf müssen wir Wert legen – zum Auftragsgegenstand bestehen muss. Außerdem liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob er strategische Ziele verfolgen möchte oder nicht. Er muss es nicht, aber er kann es machen.

Ich sehe hier ein praktisches Problem und vor allen Dingen auch ein Problem der Rechtssicherheit; denn in der Vergangenheit hat der EuGH mehrfach Landesvergabegesetze wegen vergabefremder Kriterien gekippt: 2008 das niedersächsische Vergabegesetz im sogenannten Rüffert-Urteil und 2014 das NRW-Vergabegesetz. Nun ist es so, dass diese beiden Landesvergabegesetze damals vornehmlich den Bereich Mindestlohn geregelt haben. Dieser ist in der Zwischenzeit Gott sei Dank geregelt.

(Beifall bei der SPD)

Es bleibt aber dabei: Aus europarechtlicher Sicht werden an die Einbeziehung strategischer Ziele ganz klare Anforderungen gestellt. Das ist aber so im Regierungsentwurf nicht verankert und sollte daher aus meiner Sicht im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung entsprechend angepasst werden.

Kommen wir zum zweiten Aspekt, der meines Erachtens wichtig ist und tiefer gehend betrachtet werden muss. In Artikel 12 Absätze 1 und 4 der Richtlinie werden die vom EuGH entwickelten Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts bei sogenannten Inhouse-Geschäften – das ist die vertikale Ebene – und bei der sogenannten interkommunalen Zusammenarbeit – das ist die horizontale Ebene – erstmals geregelt. Demnach fällt ein zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag nicht unter das Vergaberecht, wenn die Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel verfolgt und dem öffentlichen Interesse dient – das ist gerade schon dargelegt worden – und die Beteiligten auf dem offenen Markt weniger als 20 Prozent der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen. Der damalige Vorschlag der Kommission sah übrigens 10 Prozent vor und entsprach auch einem Urteil des EuGH.

Nun ist es so: Auch wenn wir die europäische Vergaberichtlinie noch nicht abschließend in deutsches Recht umgesetzt haben, ist sie dennoch bereits geltendes Recht. Daher beschäftigen sich zum Teil auch schon unsere Gerichte damit. Dieser Bereich ist eben sehr kompliziert. Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich vor diesem Hintergrund im Dezember 2014 mit der Definition des Wortes „Zusammenarbeit“ beschäftigt. Das Gericht hat ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der interkommunalen Zusammenarbeit um eine echte Zusammenarbeit handeln muss – die Betonung liegt auf „Arbeit“ und nicht auf „zusammen“ –, das heißt, es kann sich nicht nur um die Erbringung einer Leistung gegen Bezahlung handeln. Das ist in den Kommunen momentan eigentlich eher gängige Praxis. Ich denke, auch darüber müssen wir im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch einmal nachdenken.

Darüber hinaus hat das OLG Celle ebenfalls im Dezember 2014 um eine Vorabentscheidung beim EuGH zum Thema Zweckverband gebeten. Die Gründung eines Zweckverbandes ist nämlich häufig die Folge, wenn die soeben beschriebene interkommunale Zusammenarbeit in die Kritik gerät. Das OLG Celle möchte ganz konkret wissen, ob die Aufgabenübertragung auf einen Zweckverband ein öffentlicher Auftrag sein kann, und falls ja, ob dieser Vorgang als Fall der Inhouse-Vergabe oder der interkommunalen Zusammenarbeit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt und daher ausgeschrieben werden muss.

Die Kommunen vertreten in der Regel die Ansicht, dass die Gründung eines Zweckverbandes und die damit verbundene Aufgabenübertragung ausschreibungsfrei ablaufen kann, da es keinen Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Unternehmer und somit auch keinen Beschaffungsvorgang gebe. Die Gründung eines Zweckverbandes wird als Aufgabenbewältigung durch Eigenleistung der beteiligten öffentlichen Auftraggeber betrachtet, durch die nur öffentliche Interessen berührt werden und die durch das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes geschützt ist. Ich finde es deswegen äußerst spannend, wie der Europäische Gerichtshof diesbezüglich entscheiden wird; denn daran werden wir uns dann halten müssen. Grundsätzlich denke ich aber, dass wir national so oder so das Wort „Zusammenarbeit“ im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens klar definieren sollten, damit in der Zukunft schlicht keine vielfältigen Interpretationen stattfinden.

Insgesamt halte ich die Vorlage, wie gesagt, für ausgewogen, wobei ich zugeben muss, dass ich mir auch noch weiter gehende Regelungen hätte vorstellen können. Denn mit der Vergaberechtsreform – das haben wir gehört – erhalten wir weder ein eigenes Vergabegesetz noch führen wir einen konsequenten Systemwechsel durch. Das Kaskadensystem bleibt in Teilen erhalten, anderes geht im Gesetz und in der dazugehörigen Verordnung auf. Mir ist klar, dass diese Forderungen vielleicht manchmal ein bisschen zu weit gehen, aber ich denke, wir nähern uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diesen Vorstellungen an. Vielleicht gelingt uns ja dann bei der nächsten Novellierung des Vergaberechts der große Wurf.

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung. Sie zielt auch ein bisschen auf das ab, was der Kollege Held schon gesagt hat. Wir alle reden immer von Bürokratieabbau. Es wäre mit Sicherheit eine große Erleichterung, vor allem für unsere KMUs, wenn die Länder ihre Landesvergabegesetze an das neue Recht anpassen würden, vor allem vor dem Hintergrund, dass die elektronische Vergabe die Vergabe der Zukunft sein wird. 16 verschiedene Softwares und Regularien sind mit Sicherheit nicht das, was unsere Unternehmen brauchen können. Der Bund regelt mit diesem Gesetz – auch das ist schon erwähnt worden – ja nur die Vergabe oberhalb bestimmter Schwellenwerte; denn nur diesen Bereich geben auch die Richtlinien vor. Insofern wäre es ein Gewinn für die Wirtschaft, wenn man sich auch unterhalb dieser Schwellenwerte auf ein einheitliches Vergaberecht verständigen könnte, und vermutlich sogar auch eine Vereinfachung für die ausschreibenden Behörden; denn die Bundesländergrenzen sind für Bieter und Auslober aus meiner Sicht eine unliebsame und bürokratische Hürde, die wir mittel- und langfristig beseitigen könnten. Das wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge zum Bürokratieabbau, den Bund und Länder gemeinsam leisten können.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Katharina Dröge von den Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5981047
Wahlperiode 18
Sitzung 131
Tagesordnungspunkt Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts
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