16.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 131 / Tagesordnungspunkt 29

Sylvia Kotting-UhlDIE GRÜNEN - Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, ich habe keine Lust und leider auch keine Zeit, mit Ihnen noch einmal die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen. Es war wieder erkennbar, wie sehr Sie den Atomausstieg bedauern und wie sehr Sie gerne die Zeit zurückdrehen würden. Allein, wir haben ihn. Und wir haben ihn hier beschlossen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will aber – von den vielen Dingen, die Sie so halb richtig formuliert haben – doch kurz auf einen Punkt eingehen. Sie sagten, wir hätten immer beklagt, die Rückstellungen seien zu hoch. Das war ein Teil der Klage, in der Tat. Wir haben gesagt: Angesichts mangelnder Transparenz kann man nicht wissen, ob sie vielleicht zu hoch oder zu niedrig sind. – Diese Transparenz ist jetzt ein Stück weit mehr hergestellt. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Aber ich will trotzdem sagen: Dieser Stresstest stellt keine rein positive Botschaft dar; er sagt nicht: Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. – Ich will nur zwei Zitate aus dem Stresstestbericht anführen. Es heißt auf Seite 19:

Aus dieser Feststellung und daraus, dass das Vermögen der EVU die Verpflichtungen abdeckt,

– das wird festgestellt –

kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist.

Ein zweites Zitat findet sich auf Seite 100:

Das Risiko, dass über die Gesamtdauer der Entsorgung … eine Unterdeckung eintritt, liegt nach dieser Grafik deutlich über 25 %.

Das ist, finde ich, keine Ausgangslage, die berechtigt, sich keine Sorgen zu machen.

Ich will ganz ehrlich sagen: Die Koinzidenz, die darin lag, dass die Aktienkurse der Energieversorger abstürzten und dann – nachdem noch wenige Tage vorher die Nachricht etwas anders lautete – die frohe Botschaft kam „Macht euch keine Sorgen, es ist alles in Ordnung“, bringt zumindest mich nicht dazu, hundertprozentiges Vertrauen in diese Botschaft zu haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich glaube, ein gewisses Misstrauen und eine gewisse Vorsicht sind hier durchaus angebracht.

Ich komme zum Nachhaftungsgesetz. Ich finde, das ist ein richtiges Gesetz. Es ist der richtige Zeitpunkt dafür. Das ist ein notwendiger erster Schritt; aber es schützt uns auch nicht vollkommen.

Die Parole „Eltern haften für ihre Kinder“ ist gut und richtig, nur haben wir jetzt durch den Abspaltungsvorgang bei Eon nicht mehr die Sorge, dass sich die Mutter der Haftung entzieht. Vielmehr entzieht sich das Kind natürlich der Haftung; denn es ist ja auch gar nicht vorgesehen, dass es haftet. Das heißt, Uniper wird eben nicht für Eon haften. Eon ist zuständig für die AKW-Sparte und damit auch für die Rückstellungen.

Wir haben im Moment eine starke Debatte mit vielen Akteuren – leider muss ich da auch den NRW-Minister Duin von der SPD nennen –, die sagen: Halt, was heißt hier „Eltern haften für ihre Kinder“? Es gab doch zwei Elternteile. Es gab die Mutterkonzerne, und es gab Vater Staat. Also muss auch Vater Staat mit in die Haftung, vor allem in die finanzielle Haftung genommen werden. – Da muss ich sagen: So haben wir nicht gewettet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

So waren all die Abmachungen auch nicht von Anbeginn. Es ist richtig: Die Konzerne oder die Vorgänger der Konzerne mussten damals von der Politik etwas zum Jagen getragen werden. Aber sie haben nie protestiert, als es darum ging, über die Jahrzehnte Milliarden über Milliarden mit diesen Atomkraftwerken zu verdienen. Sie haben bis heute – das kommt erst jetzt – auch nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie am Ende für die Entsorgung zuständig sind und dafür Rückstellungen bilden müssen.

Jetzt, wo absehbar wird, dass es etwas eng werden könnte, jetzt, wo sie sagen: „Huch, plötzlich kommt die Politik mit lauter Entscheidungen, auf die wir uns ja gar nicht einstellen konnten, und jetzt verdienen wir ja auf einmal auch gar nicht mehr so viel“, soll die Politik einspringen. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in vorauseilendem Gehorsam zu sagen: Ja, das machen wir schon.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, sich ganz klar an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu stellen und erst einmal dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen der Energieversorger auch von ihnen getragen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielleicht noch etwas zum Insolvenzrisiko der Konzerne, das ja jetzt immer auch der öffentlichen Hand, dem Staat zugeschoben wird. Es heißt: Ihr habt den Atomausstieg gemacht, ihr kommt jetzt plötzlich mit Endlagersuche an. Das konnten wir ja alles gar nicht ahnen. – Ich will sagen: Das Insolvenzrisiko der Energiekonzerne hängt nicht davon ab, ob ein öffentlich-rechtlicher Fonds gegründet wird oder ob jetzt Rückstellungen verlangt werden, um die lange bestehenden Verpflichtungen zu sichern. Das Insolvenzrisiko der Konzerne hängt ganz allein von ihrer Fähigkeit ab, ihr Geschäftsmodell profitabel zu entwickeln. Das ist Aufgabe der Konzerne und im eigenen Interesse.

Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, für ein falsches Geschäftsmodell verantwortlich zu sein und am Ende dafür zu zahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein Konzern wie RWE, der 5 Prozent erneuerbarer Energien in seinem Portfolio hat, muss sich schleunigst umstellen; sonst kann er nicht nur für die Rückstellungen nicht aufkommen, sondern wird auch sehr schnell insolvent sein.

Zum Schluss. Der Bundestag, wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen uns entscheiden, an wessen Seite wir stehen. Wir können uns an die Seite der Konzerne stellen. Wir können uns aber auch an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellen. Wer das nicht tut, wer sich nicht an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellt und dafür sorgt, dass sie nicht die verfehlten Verpflichtungen der Konzerne übernehmen, wird das den Bürgern erklären müssen.

Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann stehen Sie auf der richtigen Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Barbara Lanzinger von der CDU/CSU das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5981210
Wahlperiode 18
Sitzung 131
Tagesordnungspunkt Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber
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