05.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 133 / Tagesordnungspunkt 3

Karl LauterbachSPD - Hospiz- und Palliativversorgung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zuerst dem Dank von Minister Gröhe anschließen. Ich bin schon eine gewisse Zeit Mitglied des Bundestages, und wir haben über viele Gesetze gemeinsam beraten. Aber ich habe noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf von allen – hier schließe ich die Opposition ausdrücklich ein – so konstruktiv, sachorientiert und mit gemeinsamem Willen vorbereitet wurde und heute hoffentlich auch verabschiedet wird. Das ist vorbildlich und zeigt, dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Wir sind dabei, eine wichtige Verbesserung vorzunehmen. Ich möchte mich für die Zusammenarbeit, die vielen Anregungen und Diskussionen, in denen wir alle viel gelernt haben, ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt in der Palliativmedizin – vereinfacht gesagt – vier Leistungsbereiche. Der erste Bereich sind die palliativmedizinischen Leistungen in der Regelversorgung, also bei Ärzten in der Klinik. Hier handelt es sich in der Regel um schmerzstillende Leistungen und Leistungen, die Symptome beseitigen. Der zweite Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung in Krankenhäusern, die aber nicht eine eigentliche Palliativleistung, sondern palliativmedizinische Pflege darstellt. Der dritte Bereich sind die gleichen Leistungen in Pflegeeinrichtungen. Der vierte Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung durch und in Hospizen oder ambulant durch spezialisierte Palliativteams.

Das sind die vier Leistungsbereiche. Dafür geben wir insgesamt etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus. Das ist weniger als ein Promille, also weniger als ein Tausendstel der Mittel, die in der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Leistungen ausgegeben werden. Ungefähr 2 Prozent aller sterbenden Menschen werden im Rahmen einer dieser Leistungen begleitet. Das steht im Verhältnis zu 10 Prozent der Menschen, die zum Schluss mit Schmerzen sterben und die Symptome haben, die durch diese Leistungen verhindert werden könnten. Nur jeder Fünfte bekommt die Palliativmedizin, die er benötigt. Es sterben 50 Prozent der Menschen unter dem Einsatz der Gerätemedizin im Krankenhaus. Jeder Dritte stirbt im Pflegeheim.

Das ist eine völlige Fehlverteilung unserer medizinischen Aufwendungen und Bemühungen am Lebensende des Patienten. Dem wirken wir mit diesem sehr wichtigen Gesetz entgegen. Das kann aus meiner Sicht nur ein wichtiger, weiterer Schritt im Aufbau der Palliativmedizin sein. Damit wird der Bedarf bei weitem nicht gedeckt. Das gebe ich an dieser Stelle offen zu. Aber wir müssen dieses System langsam aufbauen, eine bessere Qualität erreichen und mehr Geld in die Hand nehmen.

Wenn man schaut, wie viel wir mehr ausgeben, dann stellt man fest, dass die Mehrausgaben durch dieses Gesetz in den vier Bereichen, die ich eben beschrieben habe, insgesamt um schätzungsweise 50 Prozent steigen. Das ist eine konservative Schätzung. Das ist aber auf jeden Fall der größte relative Leistungsanstieg in irgendeiner Versorgungsform, den wir in dieser Legislaturperiode beschlossen haben und wahrscheinlich beschließen werden. Auch dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gesetz ist umfänglich, und es ist noch einmal verbessert worden. Ich will auf ein paar Punkte hinweisen, die mir besonders wichtig sind. Das ist eine subjektive Wahl, aber ich bitte um Verständnis, dass ich das betone, weil es Punkte sind, die verdeutlichen, worum es uns hier geht.

Wir haben bei der Palliativmedizin zum Teil das Problem, dass viele Krankenhäuser im ländlichen Raum und in schwach strukturierten Regionen gerne Palliativmedizin anbieten würden, aber keine Palliativstationen aufbauen können. Das heißt, diese Krankenhäuser praktizieren dann Gerätemedizin, die eigentliche Palliativmedizin fällt weg. Deshalb bauen wir eine neue Struktur auf. Wir erleichtern es diesen Flächenkrankenhäusern, palliativ­medizinische Leistungen direkt anzubieten, ohne dass sie dafür Palliativstationen aufbauen müssen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne.

Ein zweiter wichtiger Schritt nach vorne ist: Wir haben bisher eine gewisse Zurückhaltung in Pflegeeinrichtungen, in Pflegeheimen, aber auch in der ambulanten Pflege, palliativmedizinische Leistungen zu kooptieren, hinzuzunehmen. Dafür haben wir jetzt eine Pflicht vorgesehen. Die Einrichtungen sind verpflichtet, entsprechende Verträge zu machen, sie sind verpflichtet, auch mit Ärzten zusammenzuarbeiten, die spezielle palliativmedizinische Leistungen gerade bei der Schmerzstillung anbieten können. Somit wird gerade die Schmerz- und Symptomversorgung in den Pflegeeinrichtungen, in denen jeder dritte Mensch heutzutage stirbt, deutlich verbessert. Auch das ist für mich etwas, was eine ganz besonders große Bedeutung hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die meisten Menschen kennen sich mit der Palliativmedizin nicht aus. Das gilt für Patienten, das gilt für Angehörige, und das gilt auch für viele Ärzte. Hier schließe ich meine eigenen Kolleginnen und Kollegen ein. Wir wissen es oft nicht. So ist zum Beispiel sehr wenig bekannt, dass die Palliativmedizin auch lebensverlängernd wirkt. Im Vergleich zum Beispiel zu einer Chemotherapie bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, die bereits metastasiert hat, bewirkt die Palliativmedizin oder auch die Hospizversorgung eine Lebensverlängerung bei Verbesserung der Lebensqualität zu einem Bruchteil der Kosten.

Die meisten würden glauben, dass es plausibel ist, dass vielleicht die Symptome durch die Palliativmedizin besser in den Griff zu bekommen sind, aber dass die Lebensverlängerung durch die Behandlung mit der Chemotherapie erreicht werden kann. Das ist nicht der Fall. Die Lebensverlängerung wird durch die Palliativmedizin und die Hospizversorgung erreicht. Ich sage es einmal einfach: Diese Menschen haben mehr Nebenwirkungen von der teuren Therapie, als sie Nutzen von der Therapie selbst erwarten können. Die Palliativmedizin verbessert die Symptome und verlängert das Leben. Das ist vielen Angehörigen, vielen Patienten, die die Entscheidung selbst treffen, und auch vielen Ärztinnen und Ärzten nicht bekannt. Darüber klären wir auf. Auch das ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Schritt in dieser Gesetzgebung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte das fortführen. Heute ist ein wichtiger Tag. Ich darf mich erneut ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken und bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6098318
Wahlperiode 18
Sitzung 133
Tagesordnungspunkt Hospiz- und Palliativversorgung
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