05.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 133 / Tagesordnungspunkt 4

Norbert Lammert - Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten in den letzten zehn Jahren im Wissenschaftssystem grundlegende Veränderungen, die dazu geführt haben, dass die Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von jungen Forscherinnen und Forschern gestärkt wurden. Die Milliarden, die neu in das System geflossen sind, haben über die unterschiedlichsten Pakte und Initiativen auch sehr viele Beschäftigungsverhältnisse erzeugt.

Wenn man sich fragt, wie der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland jetzt aufgestellt ist, dann muss man feststellen: Er ist exzellent ausgebildet, und er hat auch beste berufliche Perspektiven. Denn nach der Promotion tritt die Mehrheit in der Regel sofort in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft in den Beruf ein, und sie verdient im Vergleich mit anderen Kategorien überdurchschnittlich gut.

Aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass für das Wissenschaftssystem selbst nicht gilt, dass sich die Karrierechancen verbessert haben. Dort haben sich die Chancen für junge Spitzenforscher nicht verbessert; sie haben sich vielmehr verschlechtert, weil die Zahl der unbefristeten Stellen nicht in dem Maße gewachsen ist wie die Zahl der befristeten. Dort driftet die Schere also auseinander. Deswegen ist es ganz entschieden notwendig, dass in diesem Bereich etwas geändert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das heißt, wir benötigen eindeutig mehr unbefristete Stellen im Hochschulbereich bzw. im Wissenschaftsbereich.

Um diese unbefristeten Stellen zu schaffen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Eine Voraussetzung haben wir vonseiten der Bundesregierung geschaffen: Weil die BAföG-Mittel zu 100 Prozent vom Bund übernommen werden, fließen 1,2 Milliarden Euro jährlich vom Bund in die Länder. Das bietet denen die Möglichkeit – die Möglichkeit! –, dass man damit unbefristete Stellen schafft,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

zum Beispiel für IT-Techniker oder Laboringenieure. Denn das ist kein projektgebundenes Geld, sondern es wird dauerhaft gezahlt. Damit kann man sofort, wenn man es denn will, Dauerstellen einrichten. Ob das gemacht wird, liegt in der Hoheit und der Entscheidungsfreiheit der Länder. Aber an dieser Stelle ist vonseiten des Bundes gehandelt worden. Nun kann man hochrechnen, wie viele Stellen möglich wären. Es könnten Tausende sein. Aber es kommt darauf an, ob man es will und die Mittel in diesem Bereich auch dafür einsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt, bei dem es in die gleiche Richtung geht, ist: Ich verhandele momentan mit den Landesministern darüber, wie sich die Karrierechancen verbessern, verlässlicher und planbarer machen lassen. Wenn man sich die internationale Entwicklung anschaut, dann stellt man fest, dass es unter wettbewerblichen Aspekten außerordentlich wichtig ist, dass junge Leute wissen, wie es um die Karrierechancen in Deutschland bestellt ist. Viele wollen aus den USA gerne zurückkommen. Deswegen ist dieser Bereich von zentraler Bedeutung.

Bei meiner Zielstellung, verlässliche und planbare Karrierechancen zu schaffen, möchte ich zwei Sachen erreichen: zum einen durch das Mittel Tenure Track, dass die Entscheidung früher fällt – natürlich nach Wettbewerbskriterien und mit hohen Anforderungen –, ob jemand dauerhaft eine Spitzenstellung im Wissenschaftssystem erhält, und zum anderen, dass mehr Dauerstellen bzw. Professorenstellen vorhanden sind. Wenn uns das gelingt, sind wir in der Lage, die besten jungen Leute in diesem Land zu halten oder aus dem Ausland zu holen. Wir signalisieren damit klar: Es gibt neben dem bestehenden System eine weitere attraktive Karrieremöglichkeit in Deutschland.

Selbst wenn das entsprechend gelingt, ist Fakt, dass der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem naturgemäß – wegen Qualifizierung und Fluktuation – hoch sein muss. Das heißt, es muss viele befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem geben, egal ob sie nun in Sonderforschungsbereichen, durch Exzellenzcluster oder durch Hochschulpakte realisiert werden. Weil es immer so war und weiterhin so sein wird, dass wir befristete Stellen in einer nennenswerten Größenordnung brauchen, ist das Arbeitsrecht im Wissenschaftssystem anders als das normale Arbeitsrecht. Zwar sieht auch das normale Arbeitsrecht Befristungen vor. Aber das Wissenschaftssystem braucht Sonderregelungen, weil dort befristete Stellen originärer Bestandteil sind. Wie mir meine Kollegen gesagt haben, gibt es seit 1987 Sonderregelungen für Befristungen im Wissenschaftsbereich. Trotzdem finde ich, dass die Wissenschaftszeitvertragsregelungen, die Anfang des Jahrtausends verabschiedet wurden, sehr gut sind, weil sie die sachgrundlose Befristung eingeführt haben. Das bedeutete eine deutliche Veränderung und unterstrich die Sonderstellung des Wissenschaftsbereichs. Dieser Bereich bekommt für Befristungen ganz andere Regeln als die im normalen Arbeitsrecht. Das ist sehr gut.

Nun stellt sich die Frage, warum wir das novellieren wollen. Wir wollen das Gesetz novellieren, weil es Fehlentwicklungen gibt.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das finde ich sehr gut!)

– Die Fehlentwicklungen?

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir finden es sehr gut, dass Sie das novellieren wollen!)

– Okay, Herr Rossmann, ich dachte zuerst, dass Sie die Fehlentwicklungen meinen. Ich hatte es auch nicht ernst gemeint.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Wir unterstützen Sie!)

– Angekommen.

Momentan läuft es in die falsche Richtung. Es ist eine eindeutige Fehlentwicklung, dass über 50 Prozent aller jungen Wissenschaftler, die einen befristeten Vertrag haben, ihren ersten befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von unter einem Jahr abschließen. Dafür gibt es überhaupt keine plausible Begründung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es läuft auch falsch, wenn die guten Leute, die wir zum Beispiel in den technischen Fakultäten als Laboringenieure für Forschungsprojekte und dauerhaft für die Lehre und die Laborgestaltung brauchen, unbefristete Daueraufgaben übernehmen, aber Verträge bekommen, die über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz realisiert werden. Dadurch entsteht für die Betreffenden große Unsicherheit. Diese müssen sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, obwohl sie eine wichtige Daueraufgabe erfüllen. Das sind zwei der Punkte, die uns dazu veranlasst haben, das Gesetz zu novellieren.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat also das Ziel, die Arbeitsbedingungen für die befristet beschäftigten Mitarbeiter gut zu gestalten. Es ist ein Arbeitsrechtsinstrument und eine gesetzliche Grundlage. Das heißt, dieses Gesetz kann in juristischer Hinsicht Grundlage sein, um zu regeln und anzuregen. Es kann aber nicht alle Probleme lösen, die ich gerade beschrieben habe. Da ich später Redebeiträge erwarte, in denen erst einmal aufgelistet wird, was im Hochschulsystem geändert werden müsste, und der großen Enttäuschung Ausdruck verliehen wird, dass das nun durch das novellierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht abschließend geregelt wird, sage ich: Das kann es gar nicht leisten. Vielmehr handelt es sich hier um einen wichtigen Baustein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss dieser Baustein aber gut sein!)

Wir haben zwei Interessenlagen. Da ist zum einen die Interessenlage der jungen Leute, die natürlich vernünftige Arbeitsbedingungen haben wollen, die keine Kurzzeitverträge haben wollen und die in der Familienplanungsphase Sicherheit über einen längeren Zeitraum brauchen. Das ist völlig klar. Wir haben auf der anderen Seite – das ist dem nicht entgegengesetzt, aber auch das ist berechtigt – die Interessenlage der Hochschulleitung. Die Hochschulen müssen sich im Wettbewerb behaupten; das verlangen wir. Wir verlangen internationale Sichtbarkeit. Dafür müssen sie flexibel und innovativ sein, und sie müssen auf neue Entwicklungen reagieren können. Das sind die zwei Interessenlagen.

Es galt bei der Gesetzesfindung, der Novelle, diese beiden Interessenlagen auszutarieren und eine gute Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird, also die Hochschulen nicht unnötig stark einschränkt, zum anderen aber die Arbeitsbedingungen für die befristet eingestellten Mitarbeiter wirklich verbessert. Wir haben mit dem Gesetz, das Ihnen jetzt vorliegt und über das heute in der ersten Lesung befunden wird, geregelt, dass diesen unnötigen und unerklärbaren Kurzzeitbefristungen ein klarer Riegel vorgeschoben wird. Jetzt ist es nur noch möglich, eine Befristungsdauer anzugeben, die sich an der Qualifizierungsphase orientiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Manche Hochschulpräsidenten empören sich jetzt darüber, dass diese Befristungen an Qualifizierungen gebunden sind. Das war aber schon immer so; das war die Intention. Das muss jetzt nur konsequent begründet werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun gab es die Vorschläge in der Diskussion – auch wir haben darüber gestritten bzw. diskutiert – zu Mindestvertragslaufzeiten. Eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten war einer der Vorschläge, die auch im Bundesrat gemacht wurden. Das bedeutet eine Mindestlaufzeit für den ersten Vertrag. Es besteht aber überhaupt keine Sicherheit, ob es danach nicht genau wieder diese Kurzzeitverträge gibt, die wir mit unserem Vorschlag unterbinden. Zum anderen gibt es eine Einschränkung, sodass vielfältige Dinge überhaupt nicht mehr möglich sind.

Wenn jemand seinen Bachelor erworben und einen ordentlichen Professor hat, der ein gutes Drittmittelprojekt mit einer Firma hat, und sich dieser Student in diesem Projekt qualifiziert und vielleicht sogar die Chance hat, dort eingestellt zu werden, dann ist das eine Riesenchance, die man ihm nicht verbauen kann, indem man von vornherein solche Fristen setzt. Deswegen haben wir in unserem Gesetzentwurf die gute Bindung an die Qualifizierungszeit, also die Dauer der Projekte, Drittmittelprojekte, Promotion etc., aber nicht diese starre Vorgabe von 24 Monaten. Das wäre für die Hochschulen eine Katastrophe.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht!)

Es gab auch den Vorschlag, dass man bei der Erstqualifizierung die Befristung stufenmäßig realisiert und dann erst die Befristung bei Drittmittelfinanzierung erlaubt. Das Beispiel, das ich eben erwähnte, ist ein gängiges Beispiel und zeigt, dass die Befristung bei Drittmittelfinanzierung zu jedem Zeitpunkt möglich sein muss. Qualifizierung heißt nicht immer Promotion. Der Erwerb von Kompetenzen in einer bestimmten Industrierichtung mündet nicht immer formal in die Promotion, sondern es gibt vielfältige Dinge, die für den Einzelnen eine Qualifizierung bedeuten.

(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU])

Die zeitliche Befristung von Stellen für Daueraufgaben ist jetzt nicht mehr möglich. Für diese Daueraufgaben müssen von den Hochschulen entsprechende Dauerstellen finanziert werden. Trotzdem ist es möglich, dass man, wenn man ein Forschungsprojekt hat, dort temporär, befristet Spezialisten des nichtwissenschaftlichen Personals einstellt. Diese Möglichkeit ist überhaupt nicht eingeschränkt, dann aber mit einem ordentlichen Befristungsgrund.

Wir unterhalten uns hier manchmal über die Nachteile des Föderalismus, wobei ich eine vehemente Vertreterin des Föderalismus bin. An der Stelle kommt die Mobilität ins Spiel. Im Schulbereich macht der Wechsel von einem Bundesland in ein anderes häufig Ärger. Im Wissenschaftsbereich ist Mobilität zwingend notwendig. Sie müssen im akademischen Bereich irgendwo studieren, an einem anderen Ort Assistent sein, promovieren oder was auch immer. Deswegen muss die Mobilität gewährleistet werden. Wir haben die Gewährleistung dieser Mobilität als Kernbestandteil im Gesetz stehen, die für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gilt. Deswegen darf es keine Aufhebung der Tarifsperre geben. Es darf nicht sein, dass die einzelnen Tarifpartner Sonderregelungen treffen und wir wieder einen Flickenteppich bekommen.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber im Schulbereich geht das? – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das führt zu Sonderregelungen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind doch lauter Kannregelungen!)

– Nein, in unserem Gesetz nicht. Sie müssen sich die Novelle richtig anschauen. Zu Ihren Vorschlägen komme ich noch. – Die Familienkomponente ist im Gesetz gestärkt worden, es erfolgt eine Ausdehnung auf Stiefkinder und Pflegekinder, auch für Menschen mit Behinderung wird mehr getan.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber mit strukturellem Defizit!)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befürwortet Verträge, wobei die Befristung an eine Betreuungsvereinbarung gebunden ist. Ich bin überhaupt nicht gegen Betreuungsvereinbarungen in einer Promotionsphase.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fürchte, Sie sagen jetzt „Aber“!)

Es gibt eine Reihe von Promoventen, die sich freuen würden, wenn sie so etwas hätten. Aber es kann nicht richtig sein, alles zu reglementieren und immer mehr zwingende Voraussetzungen zu schaffen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

Es muss in Deutschland weiter möglich sein, dass ein kluger Student promoviert, ohne dass er krampfhaft eine Betreuungsvereinbarung oder etwas Ähnliches vorweist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine krampfhafte Argumentation!)

Daran darf eine Promotion nicht geknüpft sein.

Völlig unabhängig davon fällt es nicht in die Kompetenz des Bundes, eine solche Vereinbarung vorzuschreiben. Wenn überhaupt, dann unterliegt eine solche Vorschrift sozusagen der wissenschaftlichen Ausprägung durch die Hochschulen.

Vonseiten der Linken gibt es die Überlegung, Tenure Track zwingend an die Befristung von Qualifizierung zu binden. Das bedeutet de facto die Schaffung einer Art Übernahmegarantie. Das kann natürlich nicht funktionieren. Denn wir sind nicht nur für die verantwortlich, die jetzt im System sind, für die, die jetzt einen Bachelor- oder einen Masterabschluss machen oder promovieren, sondern wir müssen auch der Generation danach Chancen offenhalten. Deswegen kann dieses System nicht einfach aufgefüllt werden. Außerdem ist es völlig widersinnig, zu glauben, dass die Tausenden junger Leute, die sich in den letzten Jahren qualifiziert haben, das Ziel einer Professur haben. Diese jungen Menschen qualifizieren sich für die unterschiedlichsten Tätigkeiten.

Insofern, glaube ich, ist es in diesem Gesetzentwurf sehr gut gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen auszutarieren. Ich würde mich freuen, wenn dieses Gesetz großen Anklang fände. Es verbessert die Situation, und es erhöht die Attraktivität einer Karriere im Wissenschaftssystem. Das gilt gerade für die, von denen wir uns das wünschen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält nun die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6100671
Wahlperiode 18
Sitzung 133
Tagesordnungspunkt Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
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