Simone RaatzSPD - Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal auf das Thema hinweisen: Es geht um die erste Lesung der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Wenn ich manche Redebeiträge, insbesondere vonseiten der Opposition, hier vernehme, gewinne ich den Eindruck, es soll mit diesem Gesetz alles verbessert werden, was in der Wissenschaft derzeit – ich sage es einmal so – im Argen liegt. Ich glaube, da mutet man diesem Gesetz ein bisschen viel zu.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie muten uns auch manchmal viel zu!)
Es ist ein Baustein – das wurde von den Vorrednern gesagt –, aber man kann damit nicht jedes Problem in der Wissenschaft lösen.
Sie beschreiben selber, wie schwer eine Änderung in der Vergangenheit war. Jeder von Ihnen hat angeführt, was er schon für Vorschläge gemacht hat. Jetzt liegt etwas auf dem Tisch, und ich muss sagen: Ich bin sehr enttäuscht. Man kann ja Kritik äußern. Aber man kann an dieser Stelle auch einmal sagen: Toll, dass wir einen Schritt gegangen sind, und zwar in die richtige Richtung!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Seit klar ist, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren werden, erreichen sicherlich nicht nur mich viele E-Mails mit Hinweisen zur aktuellen Beschäftigungssituation, natürlich auch verbunden mit der Bitte, hier dringend etwas zu ändern; das eine oder andere Beispiel haben wir gehört. Was ich besonders bemerkenswert finde, ist dabei, dass sich nicht nur direkt Betroffene an uns wenden, sondern genauso auch Ehepartner, Eltern und sogar Großeltern.
Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen – ich zitiere aus einer E-Mail –:
Ich bin zwar „nur“ die Ehefrau eines Wissenschaftlers, aber unsere ganze Familie einschließlich Kind leidet enorm unter dem Befristungsdruck, dem mein Mann seit Beginn seines wissenschaftlichen Berufslebens ausgesetzt ist – das sind seit der Beendigung der Promotion mittlerweile 12 Jahre. Er hangelt sich von einem befristeten Drittmittelvertrag zum nächsten – mit Glück erwischt er mal einen Vertrag, der länger geht als ein Jahr. Drei Monate vor Ablauf des jeweiligen Vertrages ist der Gang zum Arbeitsamt fällig – ein entwürdigender Vorgang: jedes einzelne Mal.
Ich denke, auch das macht schon deutlich, dass wir hier etwas tun müssen.
Es wurden häufig Zahlen genannt. Fast 90 Prozent des wissenschaftlichen Personals sind befristet beschäftigt. Das ist nicht gut, aber man muss ehrlich sagen: Mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes werden wir das so schnell nicht ändern. Das ist ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft gemäß dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Feste Stellen schaffen wir mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht; das ist klar.
(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)
Deswegen muss man das hier jetzt auch nicht ständig immer wieder herbeirufen. Hier muss uns etwas anderes einfallen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Dramatische ist – das wurde hier auch schon häufiger gesagt; man kann das aber noch einmal wiederholen, weil es richtig ist und den Nagel auf den Kopf trifft –, dass nahezu jeder zweite Vertrag eine Laufzeit von unter einem Jahr hat. Ich denke, das kann so nicht bleiben. Hier müssen wir einiges vom Kopf auf die Füße stellen.
Mit unzähligen Kettenbefristungen und einem Erstberufungsalter von durchschnittlich 42 Jahren nehmen wir jedem jungen Wissenschaftler und jeder jungen Wissenschaftlerin die Chance auf eine halbwegs planbare Karriere. Darüber hinaus erschweren wir ihre Bemühungen, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Frau Ministerin Wanka sagte es schon: Diese Lage schreckt bereits heute viele ab. – Sie suchen ihr Glück mittlerweile in Frankreich, in der Schweiz oder in den USA, wo die Arbeitsbedingungen für sie eben viel passender sind. Mittlerweile sind die jungen Leute weltweit unterwegs, und ich denke, hier müssen wir etwas tun. Es liegt auch in unserer Verantwortung in der Politik, dass die Leute, die wir gut ausbilden, auch bei uns bleiben und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland erzielen.
Wir stellen auch fest, dass von denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Moment bei uns bleiben, zahlreiche – insbesondere motivierte und talentierte Frauen – wegen der prekären Beschäftigungsverhältnisse für einen Wechsel in die Wirtschaft sind oder sich ganz aus dem Wissenschaftssystem verabschieden. Das finde ich sehr schade, und das können wir uns zukünftig einfach nicht mehr leisten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass Konkurrenz und Wettbewerb der Ideen und Ansätze konstitutive Bestandteile des Wissenschaftssystems sind. Dass wir dafür das erforderliche Maß an Flexibilität und Dynamik sicherstellen müssen, weshalb weiterhin ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft nötig ist, ist die eine Seite der Medaille. Dazu kann man stehen, wie man will. Die andere Seite ist eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität. Genau diese Balance ist derzeit nicht gegeben. Hier müssen wir dringend etwas tun.
(Beifall bei der SPD)
Damit wir weiterhin junge Menschen für unser Wissenschaftssystem begeistern können, müssen wir wesentliche Rahmenbedingungen ändern. Eine dieser Rahmenbedingungen ist nun einmal das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dessen Novellierung wir jetzt gerade angehen.
Zur Historie gerne noch einmal ein paar Worte an Frau Gohlke und Herrn Gehring – Sie sind bereits in der zweiten oder dritten Legislaturperiode hier im Bundestag; ich denke also, Sie müssten das eine oder andere, was in der Vergangenheit gelaufen ist, mitbekommen haben –:
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe ja eben kritisiert, dass nichts gelaufen ist!)
Im Februar 2013 ist zum Beispiel etwas passiert, was ich an dieser Stelle nur noch einmal nennen möchte: Die SPD hat damals bereits – sie war in der Opposition – einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon dabei?)
Die damalige Koalition, die bei weitem nicht so fortschrittlich war wie die jetzige,
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ui! Ui! Ui!)
hat ihn damals aber abgelehnt.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Zu Recht! Es gab entscheidende Schwächen im Gesetzentwurf! Die habt ihr jetzt korrigiert! Das ist doch gut!)
– Nicht zu Recht. Ich denke, das war ein Fehler, aber diesen Fehler kann man ja korrigieren, und das tun wir im Moment.
(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])
Ende 2013 haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das Gesetz zu novellieren. Im Juni 2014 hat die SPD ein Eckpunktepapier vorgestellt, und im April 2015 haben wir dann endlich auch gemeinsame Eckpunkte zwischen der SPD und der CDU/CSU verabschiedet. Auf dieser Basis hat das BMBF nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir gerade diskutieren.
Die Änderungen, die dieser Gesetzentwurf vorsieht, will ich an drei wesentlichen Punkten festmachen:
Erstens. In Zukunft werden die Verträge, die in der Promotions- und Post-Doc-Phase abgeschlossen werden, an den Zeitbedarf gekoppelt, den eine Qualifizierung benötigt. Das heißt, beim Erstvertrag in der Promotionsphase soll ein Dreijahresvertrag die Regel sein. Ich weiß nicht, was daran so negativ sein soll.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sehe das als sehr positiv an.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht immer „kann“ und „soll“ davor!)
Zweitens. Drittmittelbefristungen müssen künftig an die Dauer der Projektlaufzeit gebunden werden. Bei einer Projektlaufzeit von drei Jahren bedeutet das dann eben auch eine Vertragslaufzeit von drei Jahren. Ja, das ist doch toll; das ist doch gut.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wenn wir Gleichbehandlung erreichen wollen – ich denke, das ist auch noch ein Problem –, dann müssen wir an die Fördermittelgeber herantreten und dafür sorgen, dass bei der Fördermittelvergabe solche Dinge Berücksichtigung finden.
Drittens. Die sozialen Ausfallzeiten, also etwa Elternzeiten oder Zeiten für die Pflege naher Angehöriger, sollen künftig nicht auf die gesetzliche Höchstbefristungsdauer von zwölf Jahren angerechnet werden. Auch das ist ein Erfolg.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine Kollegin Alexandra Dinges - Dierig hat schon erwähnt, dass wir jetzt eine behindertenpolitische Komponente eingefügt haben. Ich denke, da hat sich auch unsere Behindertenbeauftragte Verena Bentele verdient gemacht, die uns dabei unterstützt hat. Vielen Dank an dieser Stelle auch an sie.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wichtig ist uns, der SPD-Fraktion, dass uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gelungen ist, weil – das wurde schon gesagt – hier überwiegend Daueraufgaben – und die sind dann auch mit Dauerstellen zu besetzen – erfüllt werden müssen.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Ich habe gedacht: Einmal sehen, wie Herr Gehring jetzt auch auf die Bemerkungen von Theresia Bauer reagiert. Sie haben da eben hier vorn ganz tolle Pirouetten gedreht,
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das nicht verstanden?)
sodass ich dachte: Wie er das doch immer macht und hin- und herwendet! Ich denke, hier wäre es sinnvoll, wenn Sie diesbezüglich noch einmal das Gespräch mit Ihrer Ministerin suchen.
(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe genau dasselbe gesagt! Wenn Sie da überfordert sind, kann ich Ihnen nicht helfen!)
Dieser Gesetzentwurf wird die Situation der in der Wissenschaft Beschäftigten deutlich verbessern. Er führt zu mehr Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit in der Arbeitsplanung und Lebensführung insbesondere unseres wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich denke, das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Problem noch nicht mal erkannt!)
Was mich freut – das möchte ich zum Schluss noch anführen –, ist, dass die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz tatsächlich schon zu einer Änderung der Einstellung hinsichtlich der Befristungspraxis geführt hat. Sehr positive Beispiele sind für diesen Trend die Karriereleitlinien der Leibniz-Gemeinschaft, die Neuaufstellung der Nachwuchsförderung bei der Max-Planck-Gesellschaft, aber eben auch der Rahmenkodex – Herr Gehring ist darauf eingegangen – von Nordrhein-Westfalen. Das sind schöne Beispiele, und dafür möchte ich den Wissenschaftsorganisationen und allen – sowohl den Akteuren als auch den Betroffenen –, die sich so aktiv in die Debatte eingebracht haben, danken; denn ohne diese Beteiligung wäre es uns nicht gelungen.
(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])
Natürlich gebe ich den Dank auch gern an Alexandra zurück, mit der ich hier sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte. Ich denke, wir sind hier wirklich ein wesentliches Stück vorangekommen; denn das Ergebnis wird dazu führen, dass unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigt werden, unserem Wissenschaftssystem erhalten zu bleiben und ihren Beitrag auch hier, in Deutschland, zu leisten.
Danke.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Patricia Lips von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6100833 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes |