05.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 133 / Tagesordnungspunkt 8

Dirk WieseSPD - Einführung von Gruppenverfahren

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits anlässlich der ersten Lesung vor der Sommerpause hatte ich darauf hingewiesen, dass ich dem Gesetzentwurf der Grünen interessiert, offen, aber skeptisch gegenüberstehe. Insbesondere die enorme Belastung der Justiz, die Ihr Vorhaben mit sich brächte, und das zusätzliche Streitpotenzial, das durch die äußerst komplexe Verfahrensstruktur aus meiner Sicht entstehen würde, hielt ich für nicht zielführend. Die Beratungen im Fachausschuss und die Anhörung konnten meine Skepsis nicht ausräumen, ja haben sie sogar noch einmal verstärkt.

Was aber das Grundziel Ihres Anliegens betrifft, besteht jedoch, glaube ich, Einigkeit zwischen uns, nur der Weg dorthin ist ein anderer. Denn dass Verbraucher, die in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefallen sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Gericht möglichst wirksam durchzusetzen, steht auch für uns Sozialdemokraten völlig außer Frage. Klar ist aber auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompensation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmäßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen, die jeweils mit dem Ziel der Verzögerung oder Zermürbung – möglicherweise als prozessualer Nebenkriegsschauplatz – genutzt werden können.

Andererseits müssen wir aber auch verhindern, dass die Möglichkeit von Sammelklagen missbraucht wird und spezialisierte Großkanzleien die Gruppenklage zukünftig zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen, weil dort der Profit höchstmöglich ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Klagegegner in teure Vergleiche gezwungen wird, die von vielen betroffenen Unternehmen unabhängig von der Rechtslage und der Aussicht auf Erfolg im Prozess nur deshalb angenommen werden, um einem öffentlichen, negativen und geschäftsschädigenden Fokus in einem etwaigen langwierigen Prozess zu entgehen.

Betrachtet man also diese beiden Seiten, so stellt sich die Frage, wie eine solche Klageform aussehen könnte. Ich persönlich finde, dass die Musterfeststellungsklage aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hier das Grundgerüst für eine entsprechende Klageform liefern könnte, die dann natürlich einen sachlich unbeschränkten Anwendungsbereich hätte. Der Vorteil an solch einem Musterfeststellungsverfahren liegt aus meiner Sicht auf der Hand: Qualifizierte Verbände könnten auch bei einem sehr hohen Aufkommen an verbraucherrechtlichen Streitigkeiten zu einer Sache mit nur einer Klage, die auf das Ziel der Klärung zentraler Voraussetzungen und Rechtsfragen in diesem speziellen Fall gerichtet ist, den gesamten Sachverhalt zum Abschluss bringen. Gerichte und auch die streitenden Parteien könnten sich in diesem Prozess auf die Klärung immer wiederkehrender Kernfragen konzentrieren. Damit würden die Ressourcen der Justiz, anders als im heute hier vorliegenden Entwurf, eine massive Entlastung erfahren, und die Verbraucher würden von der Vereinheitlichung der Rechtsprechung profitieren.

Zusätzlich wäre es dann natürlich sinnvoll, ein Klageregister zu schaffen, in dem Verbraucherinnen und Verbraucher nach Bekanntmachung ihrer Klage bei bereits bestehendem Musterfeststellungsurteil ihre Ansprüche niedrigschwellig, kostenfrei und mit verjährungshemmender Wirkung anmelden können. Klar ist, dass das Musterfeststellungsurteil für diese Ansprüche natürlich dann aber auch Bindungswirkung entfalten müsste. Dadurch würde aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit auf eine außergerichtliche Abwicklung der einzelnen Ansprüche signifikant erhöht. Denkbar ist hier etwa eine einvernehmliche oder im Rahmen der kostenfreien Streitschlichtung erzielte Einigung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen bzw. viele von Ihnen wissen es: Was ich hier vortrage, entspricht den Ankündigungen aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Dort wird bereits an entsprechenden Eckpunkten gearbeitet.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Donnerschlag! Bereits?)

Auch mit der Praxis wird dieser Entwurf rückgekoppelt werden, was natürlich seine Zeit braucht. Das ist aber aus meiner Sicht genau der richtige Weg; denn bei solch komplizierten und schwierigen rechtlichen Themenbereichen wie der Gruppenklage gilt nun einmal der alte Grundsatz: Schneller ist manchmal eben nicht besser.

Deswegen lehnt die SPD-Bundestagsfraktion heute Ihren Gesetzentwurf ab, obwohl wir uns im Ziel durchaus einig sind. Wir halten den Weg über ein Musterfeststellungsverfahren für wesentlich zielführender und ressourcenschonender. Sie ist für den Verbraucher auch ein wesentlich einfacheres Verfahren, das mit weniger Risiken verbunden ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])

Ich freue mich, mit Ihnen über entsprechende Vorhaben zeitnah an dieser Stelle zu diskutieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6101654
Wahlperiode 18
Sitzung 133
Tagesordnungspunkt Einführung von Gruppenverfahren
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