Sebastian SteinekeCDU/CSU - Einführung von Gruppenverfahren
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits vor einem Jahr – Kollege Wiese hat darauf hingewiesen – in diesem Haus über den Gesetzentwurf debattiert. Auch wenn dies lange her ist, hat sich in der Zwischenzeit an unserer Auffassung zu dem Gesetzentwurf nichts geändert. So hat auch die öffentliche Anhörung keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, die uns zu einer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bringen könnten. Die Unionsfraktion wird diesen Gesetzentwurf wiederum ablehnen.
Wir sperren uns nicht gegen Verbesserungen bei den Rechten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)
Im Gegenteil: Wir haben gerade vor zwei Wochen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Veränderungen herbeigeführt, denen die Grünen übrigens nicht zugestimmt haben.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen bessere Gesetze machen, Herr Ullrich!)
Dass der nun vorliegende Entwurf aber gerade nicht verbraucherfreundlich ist, werde ich später bei den Einzelheiten darlegen. Da geht es um handwerkliche Fehler, über die wir auch noch diskutieren werden.
Es geht aber auch und vor allen Dingen um die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Es hakt schon bei der Erforderlichkeit. Wir haben in unserem Rechtssystem – bereits in erster Lesung haben wir viel darüber nachgedacht und gesprochen – schon jetzt viele effiziente, kostengünstige Instrumente und Möglichkeiten des kollektiven und individuellen Rechtsschutzes. Darauf sind auch viele Sachverständige in der Anhörung eingegangen. Neben den üblichen Individualklagewegen gibt es mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes. In den vergangenen Jahren wurden die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes erfolgreich bei diversen Sammelklagen gegen Energieversorger, Banken und Versicherungen genutzt.
Verbände können nach dem Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bereits heute Sammelklagen erheben. Schon heute sieht die ZPO eine Streitgenossenschaft vor und regelt in § 147 die Prozessverbindung. Hinzu kommt das bereits erwähnte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Damit haben wir beim kollektiven Rechtsschutz bereits einen relativ weiten Spielraum.
Die zweite Frage ist die nach der Verhältnismäßigkeit des Entwurfs. Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sollen den bestmöglichen Rechtsschutz erhalten. Unabhängig davon muss man sich trotzdem fragen, ob dieses Auf-den-Kopf-Stellen der 130 Jahre alten ZPO notwendig und verhältnismäßig ist.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das machen Sie beim StGB doch auch!)
Ich will hier zwei Dinge nennen. Auch wenn immer wieder betont wird – wir haben gerade darüber gesprochen –, dass hier keiner amerikanische Verhältnisse will, sollte man den Vergleich immer mal wieder anstellen. Weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in den USA enden mit einem Vergleich. Wieso ist das so? Weil es meistens um für die Bürgerinnen und Bürger existenzielle Rechtsfragen geht und durch die Medien ein enormer Druck aufgebaut wird, der die Firmen dazu zwingt, einen Vergleich einzugehen, selbst wenn die Beklagtenseite den Prozess im Falle eines Urteils nicht verlieren würde. Öffentlicher Druck darf doch in Deutschland nicht dazu führen, dass auf die rechtsstaatlichen Grundsätze eines Gerichtsverfahrens Einfluss genommen wird. Gerade für mittlere und große Unternehmen, die in vielen Fällen Beklagte sein dürften, würde ein Auswuchs an Sammelklagen eine erhebliche und unangemessene Belastung darstellen. Dieser Überzeugung sind wir weiterhin. Für die Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherverbände schon jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechtsschutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen.
Der zweite Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit von Sammelklagen. Es ist durchaus zuzugestehen – das haben wir schon in der ersten Lesung gesagt –, dass Sie sich bemüht haben, diesen Risiken Rechnung zu tragen, gelungen ist Ihnen dies aber nicht. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass gerade dem Instrument der Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs immanent ist.
Gehen wir ruhig weg aus den USA, und schauen wir nach Europa, zum Beispiel nach Schweden. In Schweden ist bei der Gruppenklage zum Beispiel explizit eine erfolgsabhängige Erhöhung des Honorars vorgesehen. Wir haben bereits im letzten Jahr vor dem Entstehen einer „Sammelklageindustrie“ gewarnt; Kollege Wiese hat darauf hingewiesen. Der Grundsatz des „loser pays“-Prinzip darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass durch die Vereinbarung von Erfolgshonoraren ein Kläger vollkommen risikolos klagen kann. Gerade bei Kollektivklagen bieten diese Erfolgshonorare Anreize für Rechtsanwälte. Vergessen wir dabei nicht, dass wir in Deutschland seit 2008 in § 4 a RVG Erfolgshonorare impliziert haben.
Viele Rechtsanwälte verfolgen mit ihrer Arbeit ein eigenes wirtschaftliches Interesse; das ist vollkommen in Ordnung, davon leben sie.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie sind die Wirtschaftspartei!)
Ein redlich arbeitender Anwalt hat natürlich die feste Absicht, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen; auch das ist vollkommen in Ordnung. Bei einer Sammelklage mit möglichst vielen Teilnehmern kann, nach dem Entwurf der Grünen, ein Anwalt deutlich mehr verdienen, als wenn er einen Einzelnen vertritt. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es wörtlich:
Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht der Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von Betroffenen als Mandanten entweder bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht kommen.
Das ist geradezu eine Aufforderung zum Rechtsstreit. Es geht darum, möglichst viele hinter die eigene Position zu bringen. Das kann nicht im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Was für uns vor allem sehr wichtig ist und auch in der Anhörung von fast allen Sachverständigen deutlich gemacht wurde, das sind die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken, die dem vorliegenden Gesetzentwurf innewohnen.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die kommen noch obendrauf! Genau!)
In Artikel 103 unserer Verfassung ist das Grundrecht auf rechtliches Gehör verankert. Dies wäre durch den Kern der allumfassenden Sammelklage explizit betroffen. Jedes einzelne Individuum, das seine Rechte gerichtlich geltend machen will, hat Anspruch auf rechtliches Gehör. Diesem Grundsatz würde die Einführung einer Sammelklage in keiner Weise gerecht; darauf haben mehrere Sachverständige hingewiesen. Der Teilnehmer würde sich einer Gruppe anschließen, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Zwar kann dieser Ihrem Entwurf zufolge bei Schlechtleistung ausgewechselt werden – das ist allerdings enorm schwierig –, das verhindert jedoch nicht, dass der Betroffene vor Gericht nicht mehr gehört wird. Es ist weiterhin nicht auszuschließen, dass der Einzelne trotz gleich gelagerter Ansprüche etwas zur Beurteilung der Sachlage beizutragen hat. Je größer die Gruppe, umso geringer ist die Möglichkeit der Einflussnahme für den Einzelnen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 103 des Grundgesetzes und mit uns nicht zu machen.
Abgesehen von den generellen Zweifeln am Gesetzentwurf: Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, weshalb die Regelungen auch handwerklich ungeeignet sind. Los geht es schon mit der im Entwurf festgelegten Zulässigkeit in § 606 ZPO. Dort ist weder geregelt, wie groß eine Gruppe sein muss noch welches Verfahren infrage kommt und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich handelt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir die ZPO vom Kopf auf die Füße stellen wollen, ist das ein völlig unbrauchbarer Ansatz.
Ich zitiere aus § 619 Absatz 2 Ihres vorgelegten Gesetzentwurfes:
Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des Gruppenverfahrens.
Die Konsequenz daraus ist, dass derjenige, der die Klage führt, machen kann, was er will; um es salopp zu sagen. Er kann bei Schlechtleistung ausgewechselt werden, aber dann ist das Kind im Regelfall schon in den Brunnen gefallen. Verhandelt er schlecht, sind alle weiteren Teilnehmer daran gebunden. Das persönliche Schicksal des eigenen Anspruchs liegt einzig und allein in den Händen des einen Klägers. Das kann am Ende des Tages nicht der Wahrheit letzter Schluss sein.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch vollkommener Unsinn! – Gegenruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist vollkommen richtig, was der Kollege sagt!)
– Das ist vollkommen richtig. Lesen Sie Ihren eigenen Entwurf!
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das System nicht verstanden!)
Nicht zuletzt führt § 615 zu einer deutlichen Kostenbelastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil Sie den Anwaltszwang bei der Anmeldung für Streu- und Bagatellschäden einführen wollen; es ist unglaublich, dass das in Ihrem Entwurf enthalten ist. Das Ziel des Gesetzes, Hemmungen vor Klagen abzubauen und kostengünstiger zu werden, ist somit klar verfehlt.
Wir haben die angekündigte Prüfung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Wir warten ab, was an Eckpunktepapieren und Entwürfen vorgelegt wird. Wir von der Union werden sehr genau prüfen, ob über das Instrumentarium hinaus, das uns zurzeit zur Verfügung steht, Verbesserungsmöglichkeiten überhaupt notwendig sind, und werden dann mit dem Koalitionspartner in gemessener Form darüber sprechen. Das, was die Grünen heute vorschlagen, geht auf jeden Fall deutlich zu weit und am Ziel vorbei. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6101670 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Einführung von Gruppenverfahren |