Silke LaunertCDU/CSU - Einführung von Gruppenverfahren
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll der kollektive Rechtsschutz gestärkt und insbesondere der Verbraucherschutz ausgebaut werden. Ohne Frage ist das ein ehrenwertes Ziel. Das Verbraucherschutzrecht ist eine ebenso notwendige wie legitime Staatsaufgabe. Schließlich geht es hier um Rechte für Menschen, die als Konsumenten gegenüber Herstellern und Vertreibern von Waren und gegenüber Anbietern von Dienstleistungen oft – das haben Sie zu Recht gesagt – tendenziell unterlegen sind.
Die Rede ist von den schwarzen Schafen unter den Banken, den Energieversorgern oder den Versicherungen, die mit ihrem Verhalten den Ruf nach einer Regulierung durch den Vater Staat immer lauter werden lassen. Ja, der Staat hat gegenüber seinen Bürgern eine Pflicht. Er hat die Pflicht, einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der ein etwaiges Kompetenzgefälle auszugleichen vermag. Dabei hat er gleichermaßen zielgenaue Schutzvorkehrungen zu treffen und für eine effektive Rechtsdurchsetzung zu sorgen.
Doch der Zweck heiligt nicht alle Mittel, und vor allem befreit er nicht davon, bei der Rechtsetzung Präzision und Genauigkeit walten zu lassen.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eben!)
Verliert man das aus den Augen,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch bessere Anträge!)
droht ein gefährlicher Gesetzesaktionismus
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesetzesaktionismus macht die CDU!)
– ja, doch, das ist so –, dessen Ergebnis in der Praxis nicht besteht und der in der Folge einen Rattenschwanz aus Desorientierung und Nachbesserungen nach sich zieht. Deutlich wird dies jetzt an Ihrem Entwurf, bei dem man den Eindruck hat, dass der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ ins Gegenteil verkehrt wird. Im Gesetzentwurf wird angeführt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durchsetzen können oder wollen und dadurch das Recht seine gesellschaftliche Steuerungsfunktion nicht mehr ausreichend erfüllen könne. Die Bürger würden aus Bequemlichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weniger bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte verzichten. Begründet wird dies mit zu hohen Hürden beim Rechtszugang.
Wenn Sie, liebe Fraktion der Grünen, dies wirklich annehmen, warum schaffen Sie dann in Ihrem Entwurf eine ausschließliche Zuständigkeit am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, also Wohnsitz oder Sitz des Beklagten? So nehmen Sie dem Kläger die im Moment noch bestehende Möglichkeit, eventuell über einen besonderen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz zu klagen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das möchten, ändere ich das sofort, wenn Sie dann zustimmen! Aber Sie wollen ja gar nicht zustimmen!)
– Das ist schön. Das wäre der erste Punkt.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist vollkommen gaga! Sie wollen gar nicht zustimmen!)
Warum müssen sich die Teilnehmer anwaltlich vertreten lassen, wenn doch der Gang zum Anwalt – das wurde von meinem Kollegen Steineke schon verdeutlicht – eine weitere psychologische Hürde darstellt? Warum es einen Anwaltszwang für die Teilnehmer gibt, frage ich mich überhaupt, wenn doch die Prozesshandlungen erheblich beschränkt sind, und zwar auf Fälle, die auch ohne Rechtsbeistand wahrgenommen werden können.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und teurer wird es auch!)
Meinen Sie nicht, dass diese Umstände die Hürden für jeden potenziellen Teilnehmer noch höher werden lassen?
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! 110 Leute sitzen also zusammen in einem Raum und machen eine Klage ohne Anwalt, ja?)
Frau Künast, Sie haben die kleinen Beträge angesprochen. Aber meinen Sie, gerade dann, wenn es darum geht, kleine Beträge einzuklagen, sind die Leute auch noch bereit, Anwaltsgebühren dafür zu bezahlen?
(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)
In kleinen Verfahren ist das beim Amtsgericht auch ohne Anwalt möglich. Das ist doch eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Für die Teilnehmer führt der Anwaltszwang gerade zum Gegenteil. Gerade bei kleinen Fällen lohnt es sich nicht, durch Ihr Gruppenverfahren einen Haufen Anwaltskosten auf sich zu nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ganz ehrlich: Wenn höhere Summen im Spiel sind, dann wird der Teilnehmer auch ein gesteigertes Interesse daran haben, mitzuwirken und Einfluss auf das gerichtliche Verfahren zu nehmen. Dann geht es wirklich um etwas. Bei größeren Verfahren mit Tausenden von Klägern, wie in Kapitalanlagefällen zum Teil der Fall, mag es gerechtfertigt sein, zu sagen: Es kann nicht jeder von den Tausenden mitreden. – Aber bei kleinen Gruppenverfahren sieht das anders aus. Ich finde, da sollte das anders geregelt sein.
Nicht nur das. In Ihrem Gesetzentwurf haben Sie vorgesehen – das wurde von meinem Kollegen Steineke schon angesprochen –, dass keine vertragliche Beziehung zwischen dem Teilnehmer und dem Gruppenkläger begründet werden soll. Das heißt, der Teilnehmer hat keinerlei Kontrollmöglichkeit, und der Gruppenkläger und dessen Anwälte sind nicht verpflichtet, die Teilnehmerinteressen zu schützen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Es bedarf doch wahrlich keiner Glaskugel, um vorherzusehen, dass unter diesen Umständen einer Individualklage der Vorrang vor einem Gruppenverfahren einzuräumen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Unklar bleibt schließlich auch die Frage, wer sich als Gruppenkläger zur Verfügung stellen soll bzw. welchen Anreiz es gibt, dies zu tun. Die Kostenbeteiligung der Teilnehmer ist auf einen Höchstbetrag beschränkt. Für die darüber hinausgehenden Kosten haftet dann allein der Gruppenkläger.
(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)
Für ihn kann ein solches Verfahren somit zu einem unkalkulierbaren Risiko werden.
Auf die zahlreichen weiteren Kritikpunkte im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf möchte ich nicht weiter eingehen, weil wir in der ersten Lesung und in der öffentlichen Anhörung schon ausführlich davon gehört haben.
Insgesamt hat sich gezeigt, dass der vorgelegte Gesetzentwurf wenig geeignet ist, die von Ihnen beschriebenen Zugangshürden zu reduzieren. Ihr Gesetzentwurf kann diesem durchaus wichtigen rechtspolitischen Anliegen daher leider nicht genügen.
(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)
Fest steht, dass die Welt und damit die Herausforderungen für die Politik und die Verbraucher komplexer geworden sind. Auch der Trend zur globalisierten Welt, in der sich der Zugang zu Waren nicht mehr nur auf das eigene Land beschränkt, erfordert ein Umdenken. Nicht ganz ohne Grund widmet sich die EU zunehmend dem Verbraucherschutz. Es ist für mich nicht überraschend, dass die Europäische Kommission in ihrer Empfehlung aus dem Jahr 2013 verlangt, den kollektiven Rechtsschutz weiter voranzutreiben. Es ist daher unsere Aufgabe, uns immer wieder die Frage zu stellen: Genügen unsere bewährten nationalen Instrumente diesen aktuellen Gegebenheiten, oder besteht Handlungsbedarf? Ich denke, wir sind uns hier im Plenum einig: Handlungsbedarf bejahen wird grundsätzlich.
Mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz und die Empfehlung der Kommission arbeitet das Bundesjustizministerium gerade an einem Konzept für ein Musterfeststellungsverfahren. Darüber hinaus wird geprüft, ob der Gewinnabschöpfungsanspruch im Bereich des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb verändert ausgestaltet werden sollte. Es wird auch darum gehen, ob die Ansprüche im Unterlassungsklagengesetz um Ansprüche ergänzt werden sollten, mit denen Verbraucherverbände und andere klagebefugte Einrichtungen bei den Unternehmen das durch rechtswidriges Verhalten Erlangte abschöpfen können. Auch dieser Frage wird sich das Ministerium stellen.
Ich meine, manchmal ist es besser, das bereits Bestehende zu pflegen und es gegebenenfalls weiterzuentwickeln, anstatt sich einem stimmungsgeleiteten politischen Aktionismus hinzugeben; denn mehr Gesetze bedeuten nicht automatisch mehr Recht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich dem Abgeordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6101734 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Einführung von Gruppenverfahren |