Metin HakverdiSPD - Einführung von Gruppenverfahren
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum effektiven Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern gehört erstens, dass der erforderliche materiell-rechtliche Rahmen geschaffen wird. Zweitens gehört aber eben auch dazu, dass eine effektive Rechtsdurchsetzung möglich ist. Recht, das nicht oder nur unzureichend durchsetzungsfähig ist, ist ein bloßer Papiertiger.
Der von den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf zur Einführung von Gruppenverfahren gibt uns Anlass, darüber nachzudenken, ob der Verbraucherschutz im Bereich der Rechtsdurchsetzung weiter ausgebaut werden muss.
Unsere Prozessordnung beruht auf dem Grundgedanken, dass der Einzelne sein Recht selber durchsetzt. Daran ist erst einmal nichts auszusetzen. Seit der Etablierung dieses Grundgedankens im 19. Jahrhundert hat sich allerdings vieles geändert. Der Anwendungsbereich des Zivilrechts ist deutlich größer geworden. Heute sind viel mehr Rechtsverhältnisse zivilrechtlich organisiert: Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Der öffentliche Transport erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Das Versicherungswesen beruht auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Die Altersversorgung durch Kapitalanlagen erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge.
Die Rechtsverhältnisse sind gleichzeitig komplexer geworden. Wenn man heute einen Vertrag zur Altersvorsorge abschließt, bekommt man neben dem Vertrag eine CD, auf der die geleistete Beratung dokumentiert ist. Es ist so viel, dass niemand mehr das Ganze auf Papier ausdrucken mag.
Der Kauf einer App über das Internet setzt die Erteilung einer Zustimmung zu einem seitenlangen Konvolut mit vielen Vertragsklauseln voraus. Selbst der Kauf einer Zahnbürste im Supermarkt oder eines Pullovers in einem Kaufhaus ist heutzutage wegen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die irgendwo in den jeweiligen Läden aushängen, eine höchstkomplizierte rechtliche Angelegenheit geworden.
Diese Komplexität der Rechtsverhältnisse führt dazu, dass der Einzelne schnell an den Punkt gelangt, auf die Durchsetzung seines Rechts zu verzichten. Das sogenannte rationale Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung, insbesondere bei kleineren Schäden, ist deshalb besonders groß. Nicht durchgesetztes Recht führt dazu, dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird. Eine rechtswidrige Praxis etabliert sich.
Mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung helfen wir also nicht nur dem einzelnen Verbraucher und der einzelnen Verbraucherin, sondern verschaffen wir dem Recht insgesamt Geltung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
– Kollegin, ich danke Ihnen.
Für die effektive Rechtsdurchsetzung haben wir in dieser Legislaturperiode bereits einiges auf den Weg gebracht. Dazu gehören zum Beispiel die Marktwächter. Wir haben die Marktwächter installiert, die den Bereich „Digitales und Finanzen“ beobachten. Die Verbraucherschutzverbände können jetzt auf der Grundlage der Marktbeobachtung die Verbraucherinnen und Verbraucher informieren. Sie können aber auch Verbandsklagen anstrengen.
Wir werden weiterhin eine Reform des Unterlassungsklagengesetzes auf den Weg bringen. Im Kern geht es bei dieser Reform darum, den Anwendungsbereich von Verbandsklagen auszuweiten. Die wesentlichen Punkte dieser Reform sind mit dem Koalitionspartner ausgehandelt. Mein Appell heute an die Kolleginnen und Kollegen der Union lautet: Geben Sie sich einen Ruck, damit wir den Gesetzentwurf bald zügig zu Ende bringen und auch in diesem Bereich den Verbraucherschutz weiter voranbringen können.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, wir stimmen mit Ihnen überein: Die Verbraucher müssen ihre Rechte wirksam vor Gericht durchsetzen können. Wir sind der Auffassung, dass ein solches Verfahren keine großen Hürden in wirtschaftlicher und bürokratischer Hinsicht haben darf.
Das von Ihnen vorgeschlagene Gruppenverfahren ist ein Denkanstoß in die richtige Richtung. Wir haben jedoch wegen der konkreten Ausgestaltung Bedenken. In der Zivilprozessordnung sind bereits heute Instrumente vorhanden, mit denen gleichgerichtete Ansprüche gebündelt werden können. Ich verweise auf die objektive und subjektive Klagehäufung. Auch andere Instrumente sind hier schon genannt worden. Auf dieser Grundlage sind bereits erfolgreich Sammelklagen angestrengt worden.
In der öffentlichen Anhörung sind auch weitere Bedenken vorgetragen worden. Dazu gehört die Kritik, die hier schon genannt wurde, dass das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz nicht hinreichend bedacht wurde. Ferner wurde kritisiert, dass der von Ihnen vorgeschlagene Anwendungsbereich im Hinblick auf die Problemlage zu eingeschränkt sei.
Insgesamt stelle ich fest, dass wir Ihre Problembeschreibung und den aufgezeigten Handlungsbedarf teilen. Wir wollen im Ergebnis jedoch eine andere Lösung, nämlich die Musterfeststellungsklage. Wir glauben, dass die Musterfeststellungklage gegenüber der Gruppenklage vorzugswürdig ist. Die Musterfeststellungsklage bietet nämlich ebenfalls die Möglichkeit, eine Vielzahl von gleichgelagerten Sachverhalten in einem Verfahren zu bündeln. Ein Kläger, zum Beispiel ein Verbraucherschutzverband, kann in einem Musterverfahren feststellen lassen, ob die Voraussetzungen für eine Vielzahl von Ansprüchen gegeben sind.
Im Justizministerium wird an einem Eckpunktepapier zu einem solchen Gesetzentwurf gearbeitet; wir haben es heute schon gehört. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen auf der Grundlage des Eckpunktepapiers die Debatte über den kollektiven Rechtsschutz fortzuführen. Heute werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6101764 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Einführung von Gruppenverfahren |