05.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 133 / Tagesordnungspunkt 12

Gabriela HeinrichSPD - Nachbarschaftspolitik gegenüber Nordafrika

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Nordafrika sind nicht nur für die 200 Millionen Menschen, die in dieser Region leben, äußerst wünschenswert. Auch für uns in Europa haben demokratische, friedliche und wirtschaftlich gesunde Länder nur Vorteile. Kultureller Austausch, wissenschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Chancen sind drei Beispiele, die mir einfallen – jenseits von Flüchtlingen, die zu uns kommen könnten.

Aber wie können Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung, Menschenrechte und alles, was noch dazugehört, in Nordafrika gestärkt werden? Ihr Antrag enthält viel Richtiges. Auch ich sehe die Gefahr, dass das neue Antiterrorgesetz in Tunesien zivilgesellschaftliches Engagement hemmen könnte. Auch ich teile die Einschätzung, dass sich Algerien mehr öffnen könnte. Auch ich bin dafür, dass die erfolgreichen Transformationspartnerschaften des Auswärtigen Amtes fortgeführt werden. Aber kann man wirklich sagen – Sie haben das in Ihrer Rede ja wiederholt –, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik – kurz: ENP – auf dem Weg ist, eine trügerische Friedhofsruhe diktatorischer Systeme gutzuheißen?

Ich sehe eine Vielzahl an EU-Programmen und -Projekten, die auf den Rechtsstaat, auf Demokratisierung und auf die Stärkung der Zivilgesellschaft abzielen. Wenn ich mir die EU-Programme anschaue, die zur ENP gehören, dann sehe ich, dass vieles den Forderungen Ihres Antrages entspricht. Zu den Schwerpunkten bis 2017 gehören zum Beispiel auch eine demokratische Regierungsführung in Marokko und eine Justizreform und Stärkung der Partizipation in Algerien.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Neuausrichtung soll ja jetzt geändert werden!)

Das Gemeinsame Konsultationspapier vom März 2015 „Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“ benennt, dass sich die EU künftig unter anderem auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte fokussieren soll. Das ist doch der richtige Ansatz!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das „More for more“ geht weg!)

Nun ist Papier aber geduldig. Entscheidend ist nur, was wirklich durchgesetzt werden kann. Auch die frischgebackenen Nobelpreisträgerinnen und -träger der Tunesischen Liga für Menschenrechte haben kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass es weniger auf Vertragstexte als vielmehr auf die Implementierung ankommt. Daran sollten wir uns messen lassen.

Ich sehe vor allem drei Säulen, um Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen:

Erste Säule ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Warum ist denn Tunesien der Leuchtturm der Region? Tunesien ist deshalb erfolgreich, weil kein starker Mann und keine Armee das Heft in die Hand genommen haben. Es war die Zivilgesellschaft, die die Errungenschaften des Arabischen Frühlings gesichert und weiter ausgebaut hat. Deshalb ging der Friedensnobelpreis an das tunesische „Nationale Dialogquartett“, zu dem die erwähnte Menschenrechtsliga gehört.

Ganz besonders wichtig ist die Rolle der Frauen beim Aufbau der Zivilgesellschaft, und das nicht nur in Tunesien, wo sie eine besondere Rolle gespielt haben und noch immer spielen. Sie müssen weiter gestärkt werden. Aus der Vielzahl der entsprechenden Initiativen möchte ich eine herausgreifen, weil ich einige der Frauen jüngst getroffen habe. Die GIZ fördert das Projekt „Demokratie braucht Frauen“. Ziel ist, die politische Partizipation von Frauen zu stärken – über Vernetzung, politische Partizipation und Dialog.

Nur am Rande: Die UN-Resolution 1325 wurde in der letzten Woche 15 Jahre alt. Die Ziele dieser Resolution sind noch immer wichtig. Nur dann, wenn Frauen in die Friedensprozesse und in die Versöhnung eingebunden werden und wenn ihre Rechte gesichert sind, hat dauerhafter Frieden wirklich eine Chance.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die zweite Säule ist die Rechtsstaatlichkeit. Das Auswärtige Amt und das BMZ sind hier, wie ich meine, gut aufgestellt. Es reicht von Menschenrechtsbildung in Mauretanien über Regionalisierung und Dezentralisierung in Marokko und Unterstützung der tunesischen „Instanz für Wahrheit und Würde“ bis hin zur Verwaltungsberatung in Ägypten. All das kann aber nur funktionieren, wenn es ein funktionierendes Gemeinwesen gibt. In Libyen, diesem zerfallenden Staat, hat sich die Hoffnung bisher nicht erfüllt, dass sich die gegnerischen Parteien zu einer Einheitsregierung zusammenraufen. Sie werden, sicher mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, einen neuen Anlauf nehmen müssen, um das Leiden und die Perspektivlosigkeit der Libyer zu beenden.

Nachbarschaftspolitik braucht Sicherheit und Vertrauen – Vertrauen auch beim interkulturellen Austausch. Wenn der DAAD, das Goethe-Institut oder auch politische Stiftungen in einigen Ländern nicht arbeiten können, ist das ein Hemmnis beim Aufbau einer guten Nachbarschaftspolitik. Die Nachbarschaftspolitik funktioniert auch von der anderen Seite her.

Die dritte der eingangs erwähnten Säulen ist die Kooperation der Länder Nordafrikas untereinander. Wir sprechen immer von Nordafrika und meinen höchst heterogene Länder. Sehen sich denn wenigstens die engeren Maghreb-Staaten als eine Region? Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit können nur dann die ganze Region erfassen, wenn sie sich auch selbst als solche begreift. Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Das setzt eine engere Zusammenarbeit der Politik mit der Zivilgesellschaft, aber auch mit der Wirtschaft voraus. Zumindest mit einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und dem Aufbau der nötigen Infrastruktur könnte man beginnen, wenn es gelänge, alte politische Grabenkämpfe zu überwinden. Auch beim Aufbau dieser Säule können Deutschland und die EU unterstützen, wenn dies gewünscht ist. Wenn Sie mit einzelnen Vertretern über die Vision einer Region sprechen, werden Sie immer Bestätigung und Bereitschaft dazu finden – übrigens besonders bei den Frauen, die sich an der Zukunftsgestaltung ihrer Länder beteiligen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns im Prinzip völlig einig: Wir müssen Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und die Zivilgesellschaft in Nordafrika weiter und noch stärker unterstützen – auch vonseiten der EU. Dazu können wir beitragen.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6102288
Wahlperiode 18
Sitzung 133
Tagesordnungspunkt Nachbarschaftspolitik gegenüber Nordafrika
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta