05.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 133 / Tagesordnungspunkt 15

Dirk VöpelSPD - Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID)

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist sicher: Afrika rückt näher an Europa heran. Langsam, aber unaufhaltsam wandert die afrikanische Kontinentalplatte jedes Jahr Zentimeter für Zentimeter Richtung Norden. Aufgrund dieser geologischen Entwicklung wird das Mittelmeer irgendwann verschwunden und Afrika mit Europa und Asien zu einem neuen Superkontinent verschmolzen sein.

(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat sich die Seenotrettung dann erledigt! – Zuruf von der SPD: Darauf warten wir aber nicht!)

Natürlich wird Afrika die Zukunft Europas schon in weit kürzerer Frist beeinflussen. Auch dies hat mit einer drückenden wie bedrückenden Wanderungsbewegung zu tun. Millionen und Abermillionen Menschen in Afrika haben jede Hoffnung auf eine Besserung ihrer verzweifelten Lage verloren. Ihr gelobtes Land heißt Europa, dem sie mit aller Macht zustreben, koste es auch das eigene Leben oder gar das der Familie.

Viele haben sich auf den Weg gemacht. Mehr werden kommen. Der Druck im afrikanischen Kessel wird nicht nachlassen. Dafür sorgt schon die weltweit einzigartige demografische Entwicklung, die Afrika im 21. Jahrhundert nehmen wird. Von aktuell knapp 1,2 Milliarden Einwohnern soll sich die Bevölkerung laut jüngster UNO-Prognose bis 2050 auf 2,4 Milliarden verdoppeln, bis zum Ende des Jahrhunderts auf 4,5 Milliarden fast vervierfachen. Bereits jetzt sind in den Ländern südlich der Sahara 540 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner unter 18 Jahre alt; zur Mitte des Jahrhunderts wird es 1 Milliarde sein.

Was wir derzeit als Flüchtlings- und Migrationsbewegung aus Afrika wahrnehmen, ist ein Rinnsal verglichen mit dem Tsunami an Not und Elend, auf den wir in Europa gefasst sein müssen, wenn es nicht gelingt, in Afrika endlich eine fundamentale und tiefgreifende Wende zum Besseren einzuleiten. Dabei geht es gar nicht darum, größte Fortschritte in kürzester Zeit zu erreichen. Entscheidend ist aber: Der erwartete Trend, die gefühlte Richtung muss stimmen. Wenn Menschen darauf vertrauen können, dass sich ihre Lebensverhältnisse langsam, aber stetig verbessern, dass der absolute Nullpunkt des Elends endlich durchschritten ist, wenn es mit ihnen und ihren Ländern allmählich, aber erkennbar bergauf geht und sie sich selbst als handelnde Akteure einer Aufstiegsgeschichte begreifen können, dann wird die absolute Wohlstandsdifferenz zwischen Europa und Afrika als Wanderungsmotiv rasch an Bedeutung verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit es besser werden kann, darf es aber zunächst nicht schlechter werden. Damit komme ich zu Darfur und UNAMID. Der kriegerische Konflikt, der seit 2003 in der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher weit über 300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfachem Flüchtlingselend geführt hat, gehört zu den bekannteren Schauplätzen der afrikanischen Tragödien. Trotz regelmäßiger schwerer Dürreperioden hat sich die Bevölkerung in Darfur seit 1950 fast verachtfacht. Dass ein solch rapides Bevölkerungswachstum im Rahmen einer tradierten Subsistenzwirtschaft bei knapper werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen das friedliche Zusammenleben von Menschen nicht begünstigt, liegt auf der Hand. Hinzu kommen in Darfur etliche zusätzliche Konfliktherde und Konfliktlinien, Konfliktanlässe und Konfliktparteien, die sich nahezu unauflösbar miteinander verknotet haben.

Wir haben es unter anderem zu tun mit dem Kampf der sudanesischen Zentralregierung gegen die Autonomie- oder Separationsbestrebungen verschiedener Rebellengruppen, Konflikten entlang ethnischer Spaltung zwischen arabischen und afrikanischen Bevölkerungsgruppen, lokalen Auseinandersetzungen über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen sesshaften Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen, Konflikten über die Kontrolle von Bodenschätzen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten zwischen den Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen innerhalb der Rebellengruppen.

Wir haben es hier mit einem extrem zersplitterten Konflikt zu tun, mehr Schwelbrand als flammendes Inferno. Kaum noch jemand hat auch nur annähernd einen Überblick über die widerstreitenden Interessen und die beteiligten Akteure. Unter solchen Umständen an einer politischen Lösung zu arbeiten, der alle Parteien und Gruppierungen zustimmen könnten, dürfte im Moment zu den frustrierendsten Aufgaben der internationalen Diplomatie gehören. Vor diesem Hintergrund relativiert sich aus meiner Sicht das überwiegend schlechte Zeugnis, das der UNAMID-Mission oft ausgestellt wird.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat jedenfalls als Reaktion auf die geringen Fortschritte bei der Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und angesichts der nach wie vor katastrophalen humanitären Lage in Darfur im letzten Jahr eine Neuausrichtung der ­UNAMID-Friedenstruppe beschlossen. Absolute Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und humanitärem Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittellieferungen, von denen das Leben von Millionen Menschen abhängt. Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt, Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es wird mehr Präsenz in den Flüchtlingslagern gezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze wie diesen, ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch verschlechtern. Die harte Wahrheit ist: Zwischen einem erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos, dem jederzeit denkbaren Rückfall in die Schreckensjahre des systematischen Massenmordes, stehen nur diese knapp 21 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission. Sie haben unseren größten Respekt und unseren Dank verdient.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber vor allem haben sie und die Menschen in Darfur verdient, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um einer politischen Lösung des Darfur-Konflikts endlich näherzukommen.

Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6102562
Wahlperiode 18
Sitzung 133
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID)
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