06.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 134 / Tagesordnungspunkt 26 + ZP 2

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Regelung der Sterbebegleitung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns hat sich mit dem Thema Sterbehilfe anders auseinandergesetzt. Wir haben auf allen Ebenen respektvoll miteinander diskutiert. Viele von uns haben persönliche Erfahrungen mit diesem Thema gemacht, auch ich. Viele haben Hospize besucht. Ich habe in einem Hospiz gearbeitet, um noch näher an diesem Thema dran zu sein. Ich habe auch viel gelesen.

Eine Geschichte ist mir besonders präsent. Ein junger Patient auf einer Palliativstation litt wegen eines unheilbaren Tumors unter starken Schmerzen. Die Beschwerden konnten gelindert werden. Nach einer Woche konnte er entlassen werden. Er hat sich beim palliativmedizinischen Team bedankt, ging nach Hause und nahm sich das Leben. Das Team war total entsetzt und hat sich gefragt: Warum hat er uns nicht gesagt, dass er Probleme hat? Die Schwester des Patienten, der er sich vorher anvertraut hatte, fragte ihn: Warum hast du nicht mit den Palliativmedizinern gesprochen? Die erschütternde Antwort war: Um Gottes willen! Die Ärzte und Pfleger waren so gut zu mir, ich wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen.

Jeder versteht, dass man gegen die dubiosen – und das sind sie – Sterbehilfevereine vorgehen will, aber es ist wichtig, wie man dieses Ziel erreicht. Nicht alles, was gut gemeint ist, ist der richtige Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die meisten Menschen entscheiden sich bewusst gegen Sterbehilfevereine, sie entscheiden sich für eine Begleitung durch die Ärzte, durch die Pfleger und durch die Angehörigen.

Die Debatte heute könnte von historischer Bedeutung sein, und zwar deswegen, weil Beihilfe zu einer straflosen Haupttat zukünftig unter Strafe gestellt werden soll. Das ist ein Systembruch nach 150 Jahren erfolgreicher Strafrechtsgeschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Voraussetzung für geschäftsmäßigen Suizid – bei „geschäftsmäßig“ denkt man an Geschäft; jemand will viel Geld verdienen – ist die Wiederholungsabsicht. Im Gesetzentwurf von Brand/Griese heißt es, eine Wiederholungsabsicht könnte bereits bei einer einmaligen Hilfe zum selbstbestimmten Sterben gegeben sein. Das heißt, dass Ärzte und Pfleger, die regelmäßig Sterbende begleiten, der konkreten Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ausgesetzt sind. Das ist Fakt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen mit Befragungen und Ermittlungen rechnen. Ich frage Sie: Welcher Arzt geht ein solches Risiko ein? Er wird sich von seinem Patienten entfernen. An wen sollen sich die Patienten dann wenden, wenn sie Suizidgedanken haben, wenn sie Hilfe brauchen? Wir sagen doch immer: Es ist schon lebensbejahend, wenn du weißt, dass du dich an jemanden wenden kannst, dem du deine Sorgen und Empfindungen anvertrauen kannst. Das ist doch Suizidprävention! Ist das nicht der Fall, dann sieht sich der Patient einer anonymen Entscheidungswelt gegenüber, und er hat niemanden mehr, dem er sich anvertrauen kann.

Die Diskussion ist auch historisch, weil eigene Anschauungen in Bezug auf Ethik und Moral gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung mittels Strafrecht durchgesetzt werden sollen. Wir müssen uns die Frage stellen: Haben wir als Bundestagsabgeordnete wirklich das Recht, Menschen ohne Not in ihrer Entscheidung in einem so persönlichen Lebensbereich einzuschränken?

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich kann nur sagen: Keiner meiner Wähler hat mir das Recht übertragen, zu entscheiden, wie er zu sterben hat.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Das Strafrecht ist das schärfste Schwert, das ein Staat hat. Das Strafrecht soll nur angewendet werden, wenn es um die Gefährdung von Rechtsgütern geht. Aber wie ist denn die Situation an unseren Krankenbetten in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen? Die konstant niedrigen Fallzahlen in den Ländern, in denen ärztlich assistierter Suizid Gott sei Dank erlaubt ist, belegen eindeutig, dass es die behauptete Gefährdung von Rechtsgütern nicht gibt.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Die meisten Menschen empfinden, dass es sich hier um einen illegitimen Übergriff des Staates handelt. Ich muss sagen: Mir persönlich widerstrebt es, die existenzielle und höchst intime Ausnahmesituationen am Lebensende auf die Ebene der öffentlichen Regulierung zu hieven.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzgeber sollte sich hier zurückhalten und die Menschen ihr eigenes Leben so gestalten lassen, wie sie es für richtig halten.

Ich glaube, diese Debatte kann eine historische Debatte sein, wenn wir aus den Erfahrungen, die wir in den Diskussionen der letzten Monate gesammelt haben, ableiten, dass wir unsere eigenen, persönlichen Ansichten zurücknehmen, dass wir die Grenzen unseres Mandates nicht überschreiten, dass wir auch den Staat in seine Grenzen verweisen und die Selbstbestimmung über die Fremdbestimmung stellen.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Danke für die Debatte. Ich sage aber auch: Nein danke für das Ergebnis.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kai Gehring erhält nun das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6106984
Wahlperiode 18
Sitzung 134
Tagesordnungspunkt Regelung der Sterbebegleitung
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