Kai GehringDIE GRÜNEN - Regelung der Sterbebegleitung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die weitreichende Frage, ob es zu einer Kriminalisierung der seit 150 Jahren straflosen Suizidhilfe kommt.
Der Brand/Griese-Entwurf bringt Ärzte in die Gefahr der Strafverfolgung und belastet das gerade am Lebensende besonders wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Ich will keine Verbotsgesetze und keine Bevormundung im Bereich der Sterbehilfe; denn zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch ein selbstbestimmter Tod. Die allermeisten Menschen von jung bis alt in unserem Land sagen: Mein Ende gehört mir. Diesen Kern der Selbstbestimmung haben wir als Gesetzgeber zu respektieren. Über die Köpfe von Sterbewilligen hinweg zu entscheiden, finde ich inhuman.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Wir als Mitglieder des Bundestages haben nicht das Recht dazu, Sterbewillige zu zwingen, ihren schweren Leidensweg bis zum Ende zu gehen. Das scharfe Schwert des Strafrechts ist die Ultima Ratio unseres Rechtsstaates. Es zu nutzen, obwohl es kein gravierendes, kein empirisch belegtes Phänomen gibt, ist unverantwortlich. Die Suizidhilfe ist seit 150 Jahren erlaubt und kein Problem. Brand, Griese und Sensburg warnen vor Gefahren, die es schlichtweg so nicht gibt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Alle Warnrufe halte ich nicht für plausibel, sondern für Angstschürerei und Horrorszenarien. Die Keule des Strafrechts für einzelne existenzielle und intime Ausnahmesituationen am Lebensende zu schwingen, halte ich daher für unangemessen. Brand, Griese, Sensburg wollen den bösen Herrn Kusch treffen, treffen aber alle Ärzte und Sterbehelfer in unserem Land, und das ist problematisch.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist ja widerlegt!)
Eine Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe führt dazu, dass Ärzte, die viele totkranke Patienten behandeln und nur in seltenen Fällen Suizidhilfe leisten, künftig mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rechnen müssen; denn „geschäftsmäßig“ bedeutet: ohne finanzielle Interessen mit Wiederholungsabsicht zu handeln. Eine Wiederholungsabsicht kann bereits nach einmaliger Suizidhilfe unterstellt werden. Jeder Anfangsverdacht macht zum Beispiel einen Palliativmediziner zu einem Fall für die Strafverfolgungsbehörden, und das können wir nicht ernsthaft wollen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber das Horrorszenario!)
Der Wunsch eines qualvoll Sterbenden nach Suizidhilfe wird durch den Entwurf von Künast, Sitte und mir genauso abgesichert und geschützt wie durch den Entwurf von Hintze, Reimann und Lauterbach. Auch eine Beibehaltung der geltenden Rechtslage würde diesem Ziel gerecht.
(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Meistens!)
Unsere Gesetzentwürfe sichern Sterbewilligen und Ärzten ein Höchstmaß an Selbstbestimmung, Straffreiheit und Rechtssicherheit. Wir brauchen Freiheit für Gewissensentscheidungen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU])
Für mich sind übrigens die Wünsche des Sterbenden maßgeblich, nicht die der Kirchen. Gerade in unserem religionsneutralen, säkularen und pluralistischen Staat haben religiöse Erwägungen im Strafrecht nichts zu suchen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Sterbewillige in größter Not benötigen Fürsorge, Zuwendung, helfende Hände und ergebnisoffene Gespräche. Deswegen will ich, dass das Spektrum der letzten Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid weitgehend so erhalten bleibt, wie es ist. Die Behauptung, Suizidbeihilfe werde zum medizinischen Regelangebot, ist hanebüchen. Suizidhilfe bleibt eine ärztliche Gewissensentscheidung. Die Initiative geht vom notleidenden Menschen aus. Kein Drängen, kein Profit – Punkt.
Letzte Hilfe dagegen auf Familienmitglieder zu begrenzen, ist unerträglich restriktiv. Menschen, die keine Angehörigen haben oder kein Vertrauensverhältnis zu ihren Verwandten, müssen mit einem Arzt über letzte Hilfe sprechen können und ihn gegebenenfalls um Suizidassistenz bitten können. Menschen den Sterbewunsch zu verwehren, ihnen auch das Gespräch zu verwehren und ihre möglichen Assistenten zu kriminalisieren, halte ich für unethisch.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte Hilfe bitten kann, darf nicht alleingelassen werden.
Aus all diesen Gründen bitte ich Sie: Stimmen Sie für Gesetzentwürfe, die Straffreiheit und Selbstbestimmung sichern, und sagen Sie Nein zu Brand/ Griese. Hören Sie auf die überwältigende Mehrheit deutscher Strafrechtsprofessoren, auf die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, auf große Teile der Ärzteschaft und Palliativmediziner und vor allem auf unsere Bevölkerung. Die Menschen, ob Christ oder konfessionslos, wollen ihr Leben so gestalten, wie sie es für richtig halten. Stimmen Sie also für Gesetzentwürfe der Vernunft und für die gesellschaftliche Mehrheit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Bettina Hornhues ist die nächste Rednerin.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6106985 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 134 |
Tagesordnungspunkt | Regelung der Sterbebegleitung |