06.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 134 / Tagesordnungspunkt 26 + ZP 2

Karl LauterbachSPD - Regelung der Sterbebegleitung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich mit dem beginnen, was uns eint. Uns alle eint die Bemühung, die Palliativmedizin deutlich zu stärken. Dazu haben wir gestern etwas Wichtiges beschlossen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber die Palliativmedizin hilft nicht bei dem heutigen Problem; denn diejenigen, die den assistierten Suizid wünschen, wie er in Oregon oder in der Schweiz erlaubt ist, werden zu 90 Prozent palliativmedizinisch versorgt. Also kennen diese Menschen die Palliativmedizin, weil sie an ihnen praktiziert wird. Herr Gröhe, das Land mit der in Europa mit Abstand besten Palliativversorgung, die Niederlande, hat eine sehr hohe und aus meiner Sicht bedauernswert hohe Quote bei der aktiven Sterbehilfe, die wir natürlich nicht wollen.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Somit löst die Palliativmedizin nicht das Problem, über das wir heute reden.

Die zweite Sache, die uns eint, ist: Wir alle wollen keinen Dammbruch. Wir wollen keine aktive Sterbehilfe, und wir wollen auch keine Normalität in der Sterbehilfe. Aber auch das steht nicht zur Debatte.

Die Regelung von Hintze, Reimann und Lauterbach, über die wir heute diskutieren, gibt es in Oregon schon seit 17 Jahren. Nach wie vor 2 Promille der Todesfälle sind assistierter Suizid. Die Zahl ist nicht gestiegen. Auch in der Schweiz sind es 2 bis 3 Promille; das ist ebenfalls nicht gestiegen.

Was ist das beste Beispiel dafür, dass der erlaubte assistierte Suizid keinen Dammbruch bringt? Was ist das wichtigste Land? Deutschland. Wir haben diese Regelung seit 140 Jahren. Die aktive Beihilfe zum Suizid ist bei uns strafbar. Das soll nicht legalisiert werden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wie dies eben fälschlich dargestellt wurde, sondern das ist strafbar und soll es auch bleiben. Das hat keinen Dammbruch gebracht, und es ist kein Dammbruch zu erwarten. Niemand will einen Dammbruch; den wollen wir alle nicht.

Herr Gröhe, Sie haben vollkommen recht: Man darf nicht unterstellen, der Antrag Brand/Griese wolle, dass das Krankenbett kriminalisiert wird, dass die Arzt-Patient-Beziehung kriminalisiert wird. Wir unterstellen nicht, dass das die Absicht ist; das ist nicht der Fall. Uns ist nur wichtig, zu sagen, dass wir glauben, dass das folgen könnte, dass das die nicht beabsichtigte Folge sein könnte. Darum geht es doch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das einzige Problem, das ich mit den Vorträgen habe, ist – ich selbst bin kein Jurist –: Ich bin nicht der Meinung, dass es so sicher wäre, dass die Folge des Antrags Brand/Griese nicht ist, dass es zu einer Kriminalisierung der Ärzte kommt, die die Sterbehilfe praktizieren wollen. Ich halte das für nicht so sicher, wie es dargestellt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

140 führende Strafrechtler sind der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags ist, wie es die ehemalige Justizministerin gesagt hat, der Meinung, dass es dazu kommen könnte.

In der Anhörung, die wir gehabt haben, war ein Teil der angehörten Rechtsprofessoren, zum Beispiel Professor Hillgruber und Professor Merkel, der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Ja, sogar in der Stellungnahme des jetzigen Justizministers ist man der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte.

Alles, was ich sagen will, ist: Die Lage ist nicht so sicher, wie Sie es darstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])

Wir müssen dieses Risiko vermeiden. Wir wollen keine Unsicherheit. Dies sage ich als Arzt.

Der Arzt, der Sterbehilfe leistet, nimmt schon jetzt drei große Gefahren für das Wohl seines Patienten in Kauf – er macht das ja nicht für sich; er bekommt kein Geld dafür; es gibt keine Gebühr; er macht das nur für seinen Patienten –: Er ist schon jetzt in der Gefahr, dass er die Garantenpflicht verletzt, die wir bei der Patientenverfügung gut gelöst haben, beim assistierten Suizid nicht. Er müsste eigentlich sofort eingreifen, wenn es zu einem Problem kommt. – Das ist das erste Problem.

Das zweite Problem ist: In vielen Kammern, zum Beispiel in der Kammer Nordrhein, in der ich als Arzt gelistet bin, kann die Approbation – von der Kammer der Bezirksregierung empfohlen – entzogen werden. Die Tatsache, dass das noch nicht passiert ist, geht auch darauf zurück, dass wir diese Regeln in einigen Kammern erst seit einigen Monaten haben.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch ein Horrorszenario!)

Wir haben ja noch gar keinen Vorlauf. Wir können das doch nicht ausschließen. – Das ist das zweite Problem.

Das dritte Problem, das wir – rechtlich gesprochen – haben, ist, dass die Ärzte das Betäubungsmittelgesetz in gewisser Weise beugen müssen; denn Betäubungsmittel spielen bei der Palliativmedizin keine Rolle. Die Medikamente, die ich hier einsetze, sind keine Medikamente für die Palliativmedizin.

Somit bin ich bereits in dreierlei Hinsicht in einer rechtlichen Grauzone. Jetzt kommt das Strafrecht dazu. Machen wir uns doch nichts vor: Das macht kein Arzt mehr. Ich selbst würde es auch nicht machen. Das ist zu riskant.

Daher plädiere ich dafür: Lieber kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Wir haben eine gute Debatte gehabt. Wir alle haben aus dieser Debatte gelernt. Wir dürfen stolz sein: Wir haben aus dieser Debatte gelernt und sind weitergekommen. Wenn wir zum Schluss sagen: „Wir beschließen gar nichts“, dann haben wir das Thema enttabuisiert und sind gemeinsam auf einem Erkenntnisweg zu dem Ergebnis gekommen: Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Susanna Karawanskij.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6107055
Wahlperiode 18
Sitzung 134
Tagesordnungspunkt Regelung der Sterbebegleitung
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