06.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 134 / Tagesordnungspunkt 26 + ZP 2

Andrea NahlesSPD - Regelung der Sterbebegleitung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten anderthalb Jahren ist uns in diesem Parlament etwas gelungen. Wir haben es geschafft, nicht nur hier im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft eine Debatte über das zu führen, was bis dahin in der Tabuzone war, den Tod. Das „Bis zuletzt gut leben und am Ende gut sterben“ stand im Mittelpunkt dieser Debatte. Ich glaube, wir haben als Gesetzgeber einiges auf den Weg gebracht, was Menschen wirklich hilft, zum Beispiel erst gestern mit dem, was wir beschlossen haben zur Verbesserung der Hospizarbeit und der Palliativmedizin.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Das sollten wir heute nicht gefährden. Wir sollten hinter diese Debatte auch nicht zurückfallen.

Wenn hier immer wieder behauptet wird, dass es zu Haftstrafen oder Ermittlungsverfahren gegenüber Ärztinnen und Ärzten kommt, wenn man dem von mir unterstützten Gesetzentwurf von Brand, Griese, Vogler und Terpe folgt, dann ist das schlicht falsch.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich möchte an dieser Stelle dazu zwei Dinge sagen. Erstens. Die Straffreiheit der Suizidhilfe bleibt auch bei Brand/Griese unangetastet; das wurde schon erwähnt. Zweitens. Nun kommt die Verfeinerung der Argumentation. Man sei sich nicht so sicher, hat Karl Lauterbach gesagt. Ja, wer wäre das in dieser Frage? Er hat dafür 140 Strafrechtler angeführt, die eine initiative Stellungnahme vor einem Jahr abgegeben haben. Zu diesem Zeitpunkt lag noch keiner der Gesetzentwürfe vor, über die wir heute debattieren.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Wer Verunsicherung schüren will, der kann das ganz einfach tun, indem er eine allgemeine Stellungnahme des Justizministers Heiko Maas anführt, der, als ebenfalls noch kein Gesetzentwurf vorlag, gesagt hat, es könnte zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Ja! Und darum haben wir uns im letzten Jahr bemüht, diese Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich bitte an dieser Stelle, den Gesetzentwurf von Brand, Griese, Vogler und Terpe genau zu lesen. Hier geht es darum, geschäftsmäßigen Suizid zu verbieten. Bei „geschäftsmäßig“ kommt es auf die Intention an. Wer Leiden lindern will, im Grenzfall seinem Gewissen folgt und Sterbehilfe leistet, fällt nicht unter das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit; das hat Ruth Rissing‑van Saan in der Anhörung deutlich gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Aber es ist ein Grenzfall. Ich möchte nicht, dass es zur gewöhnlichen Handlung wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den Vorlagen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Hier ist sehr viel von Selbstbestimmung die Rede. Wer einen Menschen beim Sterben einmal begleitet hat, weiß, dass in dieser Phase keineswegs nur der Aspekt der Selbsttötung zur Selbstbestimmung gehört. Vielmehr geht es sehr wohl um Begleitung. Aber greifen wir einmal das Argument der Selbstbestimmung auf. Der Gesetzentwurf Brand/Griese nimmt der Selbstbestimmung nichts weg. Wenn sich ein Mensch dafür entscheidet, Suizidhilfe nicht organisierten Anbietern zu überlassen, sondern sie an dem Ort lässt, wo das einzig entschieden werden kann, nämlich in dem ganz persönlichen und individuellen Verhältnis von Patient zu Angehörigen sowie im Verhältnis von Patient zu Arzt, dann kann man nur sagen: Dahin gehört es, und da bleibt es auch. Es gehört aber nicht in die Hände Dritter, die damit Geschäfte machen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich möchte noch etwas zu dem Argument sagen, dass sich der Staat heraushalten soll. Der Gesetzgeber hat auch hier eine Schutzpflicht, die er meiner Meinung nach nicht ignorieren kann; denn es ist nachweislich so, dass die Sterbehilfevereine auch Menschen zu Sterbehilfe verhelfen, die schlichtweg einsam sind, die – das wurde in der Hart aber fair- Sendung noch einmal belegt – mit einem Trauerfall nicht zurechtkommen oder die schlicht und ergreifend am Ende nicht mehr wissen, wie es weitergeht, und Hilfe brauchen. Ja, sie brauchen Hilfe, aber keine Sterbehilfe. Dass dies missachtet wird, ist nachweislich der Fall.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Entschuldigung, aber vor dieser Entscheidung dürfen wir uns nicht drücken. Es ist deshalb keine Lösung, über keinen der Gesetzentwürfe abzustimmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten hinter diese anderthalb Jahre andauernde Debatte zurück.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Denn nach den intensiven Diskussionen, die wir geführt haben, bedeutete eine fehlende Mehrheit im Parlament auch eine Entscheidung und gäbe das Signal: Angebote zum assistierten Suizid, ob Gewinnabsicht oder nicht, sind gesellschaftlich akzeptiert, und der Suizid ist eine akzeptable Antwort auf Schwäche, Hilflosigkeit und Leid. Das kann man wollen – ich will es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Lisa Paus.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6107075
Wahlperiode 18
Sitzung 134
Tagesordnungspunkt Regelung der Sterbebegleitung
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