Rudolf HenkeCDU/CSU - Regelung der Sterbebegleitung
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Zypries hat daran appelliert, sorgfältig zu arbeiten. Deswegen, liebe Frau Dr. Barley, gestatten Sie mir einen Hinweis zu der Frage der Rechtmäßigkeit von Berufsordnungen von Ärztekammern. Das ist in den Bundesländern durch die jeweiligen Aufsichtsministerien zu prüfen, in Nordrhein-Westfalen also durch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist dann eventuell eine Korrektur der Berufsordnung, wenn sie vom geltenden Recht abweicht. Die Berufsordnung kann erst danach im Ministerialblatt veröffentlicht werden. Sie ist dann also von der jeweiligen Landesregierung rechtlich geprüft.
Aber das ist nicht der zentrale Punkt. Der zentrale Punkt ist die Frage: Müssen wir überhaupt etwas regeln? Ich habe jetzt viele gehört, die gesagt haben: Eigentlich regen sich bei uns inzwischen ein bisschen Zweifel. Der Deutsche Ethikrat und seine Vorsitzende sind schon erwähnt worden. Ich glaube, man muss zwischen der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats und dem Deutschen Ethikrat differenzieren. Ich will aus einer im Dezember 2014 vom Deutschen Ethikrat vorgelegten Ad-hoc-Empfehlung zitieren:
Eine Suizidbeihilfe, die keine ... Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der Dienstleitung eines Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Natürlich kann man sagen, dass die Zahlen nicht explodiert sind, seit Kusch und andere unterwegs sind. Aber das hat doch auch damit zu tun, dass die Debatte darüber, wie wir gesetzmäßig darauf reagieren müssen, seit 2008 in der Politik geführt wird. Das hat natürlich eine generalpräventive Wirkung gehabt; sonst wären vielleicht mehr Vereine entstanden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Im Jahre 2010 hatte der Bundesgerichtshof die Frage zu klären, ob sich ein Anwalt strafbar macht, der einer Mandantin, die weiß, dass ihre schwerkranke Mutter nicht zeitlebens künstlich ernährt werden will, rät, den Versorgungsschlauch durchzuschneiden. Der Bundesgerichtshof hat diesen Anwalt freigesprochen. Die Richterin, die dafür gesorgt hat, dass der Bundesgerichtshof so geurteilt hat, Frau Rissing-van Saan, hat auch in der Anhörung zu diesem Thema Stellung genommen. Das sage ich nur, um einmal einzuordnen, wie sie hinsichtlich des Strafrechts zu dieser Frage steht.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie war die Einzige!)
Sie hat auch zu der Frage der Geschäftsmäßigkeit Stellung genommen. Sie kommt in der Bewertung des Entwurfs von Brand/Griese zu dem Ergebnis:
Strafbar sollen solche Verhaltensweise ... jedoch nur sein, wenn sie „geschäftsmäßig“ begangen werden, was nach herkömmlichem strafrechtlichen Verständnis ein auf Wiederholung angelegtes gleichartiges Handeln und den Willen des Täters voraussetzt, dieses zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner beruflichen oder wirtschaftlichen Betätigungen zu machen, ohne dass es dabei auf eine Gewinnerzielungsabsicht ankäme.
Sie ist in der Anhörung und in vielen weiteren Stellungsnahmen mehrfach zu der Auffassung gekommen, dass die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs die Autonomie von Ärzten, die in der Palliativmedizin oder in der Hämatologie und Onkologie tätig sind, nicht bedroht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Anders wäre es auch nicht erklärbar, dass sich die Bundesärztekammer und die Palliativorganisationen bis auf den heutigen Tag dafür einsetzen, eine solche Gesetzgebung zu verabschieden.
Ich will nur daran erinnern, dass jemand wie Thomas Sitte, der in führender Rolle bei der Deutschen PalliativStiftung ist, einigen von uns noch in diesen Tagen einen Brief geschrieben hat, in dem es heißt: Ich habe keine Angst vor einem Verbot geschäftsmäßiger Selbsttötungshilfe. Im Gegenteil: Ich bin dafür, obwohl ich suizidwillige Schwerkranke so berate, wie sie es wollen, und ihnen so zur Seite stehe, wie sie es brauchen, so wie ich es derzeit mehr als einmal im Monat tue. – Er hat davor keine Angst. Dann sollten auch wir keine Angst davor haben, dass wir diese Entscheidung treffen, so wie sie dort vorgeschlagen wird.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Eine letzte Bemerkung. Hier ist viel von autonomen, selbstbestimmten Entscheidungen die Rede gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein verstärktes Unterwegssein von Suizidassistenten – das muss ja nicht jemand vom Format eines Herrn Kusch sein; das kann ja morgen oder übermorgen jemand ganz anderes sein – wirklich hilft, Autonomie zu verteidigen.
Ich verrate Ihnen etwas: Ich habe als, ich glaube, 22- oder 23-Jähriger am Fenster gestanden und mich in einer Beziehungskrise gefragt: Was mache ich jetzt? – Wenn da einer gewesen wäre, der noch ein bisschen geschubst hätte, der das noch ein bisschen befördert hätte, dann wäre ich vielleicht nicht mehr hier.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das kann man doch nicht vergleichen!)
Unser Ziel muss sein, die Zahl erfolgreicher Suizide weiter zu senken, aber nicht, das Vollbringen und Durchführen von Suiziden zu erleichtern. Deswegen brauchen wir keine Suizidassistenten, die den Hunderttausend, die versuchen, einen Suizid durchzuführen – 10 000 erfolgreich –, dafür noch eine zusätzliche Motivation und eine Erfolgsgarantie geben.
Bitte stimmen Sie mit mir für den Entwurf von Brand, Griese, Vogler und Terpe.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit die Aussprache und bedanke mich bei allen Rednerinnen und Rednern für die große Ernsthaftigkeit, mit der diese Debatte geführt worden ist. Wenn dabei Emotionen spürbar geworden sind, dann zeigt das doch eigentlich nur, dass uns alle die Frage der Sterbebegleitung wirklich zutiefst bewegt.
Bevor wir jetzt zu den Abstimmungen kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren. Ich bitte auch diejenigen, die dies jetzt vielleicht zum zweiten Mal hören, trotzdem aufmerksam zuzuhören, weil wir ein sehr ungewöhnliches Abstimmungsverfahren haben, bei dem wirklich Aufmerksamkeit geboten ist.
Zur Abstimmung stehen vier Gesetzentwürfe sowie ein Antrag zum Thema Sterbebegleitung. Es handelt sich um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiterer Abgeordneter zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiterer Abgeordneter zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung, um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiterer Abgeordneter über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und weiterer Abgeordneter über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung sowie den Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte Zypries, Matthias W. Birkwald und weiterer Abgeordneter mit dem Titel „Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe“.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6573 nur empfohlen, über die Gesetzentwürfe im Plenum einen Beschluss zu fassen, selbst aber keine inhaltliche Empfehlung abgegeben.
Zunächst findet die Abstimmung über die Gesetzentwürfe im Stimmzettelverfahren statt. Nur wenn kein Gesetzentwurf angenommen wurde, kann im Anschluss noch die Abstimmung über den Antrag stattfinden.
Bei dem Stimmzettelverfahren werden zunächst die vier Gesetzentwürfe gemeinsam zur Abstimmung gestellt. Auf diesem Stimmzettel können Sie sich für einen der Entwürfe entscheiden oder Ihr Kreuz bei „Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen“ oder bei „Enthaltung gegenüber allen Gesetzentwürfen“ machen. Es darf also nur eine Alternative angekreuzt werden. Die erforderliche Mehrheit für einen Entwurf ist erreicht, wenn dieser mehr Jastimmen als die konkurrierenden Vorlagen zusammen zuzüglich der Neinstimmen auf sich vereinen kann.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6107263 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 134 |
Tagesordnungspunkt | Regelung der Sterbebegleitung |