Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann hier nahtlos anschließen. Das Kürzel NSU umfasst die bis dato größte rechtsterroristische Mord-, Raub- und Überfallserie in Deutschland und beschreibt zugleich ein absolutes Staatsversagen. Das war die gemeinsame Einschätzung nach dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in der 17. Legislaturperiode.
Auch in der laufenden 18. Legislatur geriet der NSU-Komplex nie aus dem Blick. Die Linke stellte allein über 40 parlamentarische Anfragen. Monatelang befassten wir uns im Innenausschuss ausgiebig mit diesem Thema, mit mäßigem Erfolg. Abwehr überwog an vielen Stellen. Ich möchte daran erinnern: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Hinterbliebenen, den Überlebenden, der Öffentlichkeit bedingungslose Aufklärung der NSU-Anschläge versprochen. Aber es gab viel zu viele Behinderungen aus Ämtern, aus Behörden, auch aus Ministerien. Ich denke, wir sollten alle gemeinsam dafür sorgen, dass sie auf gar keinen Fall meineidig wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])
Clemens Binninger hat den Prozess, der zum Zustandekommen des Untersuchungsauftrages führte, den wir heute beschließen – ich denke, dass wir das heute fraktionsübergreifend tun –, schon beschrieben. Aus den genannten Gründen brauchen wir diesen Untersuchungsausschuss mit all seinen besonderen Befugnissen.
Nehmen wir allein die zehn Morde, die dem NSU zur Last gelegt werden. Es gibt keinen einzigen, bei dem ich sagen könnte: Ja, so wie es jetzt beschrieben ist, war es auch. Das trifft auch auf das tödliche Finale für Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach zu.
Damit zusammen hängen die ebenso fragwürdigen Geschehnisse unmittelbar danach in Zwickau im Wohnhaus des NSU-Trios. Über all dem schwebt weiter die Frage: War das Nazitrio wirklich unerkannt durch die Lande gezogen, und, wenn nein, wer wusste wann was?
Wir sind uns weitgehend einig: Der NSU ist nicht auf ein Trio zu beschränken. Seine Mitglieder waren vernetzt, regional, national, international. Spuren weisen nach Skandinavien, in die USA, nach Südafrika. Was von alledem wusste eigentlich der Bundesnachrichtendienst? Überhaupt bleiben viele Fragen an die Geheimdienste, allen voran an die Ämter für Verfassungsschutz, zumal wir ja inzwischen auch wissen, nicht zuletzt durch den Prozess in München: Im Umfeld des Nazitrios, des Kerntrios des NSU, agierten mehr als 40 V-Leute dieser Ämter.
Übrigens, genau heute vor vier Jahren, am 11. November 2011, wurde im Bundesamt für Verfassungsschutz die „Operation Konfetti“, wie unser früherer Kollege Wolfgang Wieland sie nannte, gestartet: Meterweise wurden Akten geschreddert und somit Belege vernichtet, die bei der Aufklärung des NSU-Komplexes wichtig sein könnten. Auch dafür müssen die Verantwortlichen schwerwiegende Gründe gesehen haben, die nichts Gutes verheißen. Wir haben sie im ersten Untersuchungsausschuss nicht zu Ende erhellen können. Aber wir wissen aus den Antworten, auch auf unsere parlamentarischen Anfragen, dass einige dieser Akten inzwischen wieder rekonstruiert oder in ihren Bestandteilen anderswo aufgefunden worden sein sollen. Auch diesen wird sich der neue Untersuchungsausschuss zuwenden. Wir wollen im zweiten Untersuchungsausschuss daher nicht nur erhellen, was vor dem 4. November 2011 geschah, sondern auch, was seither geschehen ist.
Schließlich gibt es einen aktuellen Bezug: Anfang der 1990er-Jahre gab es regelrechte Pogrome gegen Migranten und Flüchtlinge, in Ost und West, in Nord und Süd. Die wenigsten Täter wurden dafür belangt. Die meisten fühlten sich sogar ermutigt, zum Beispiel dadurch, dass das von ihnen verhasste Asylrecht damals politisch gekappt wurde. In dieser Zeit wurde das NSU-Kerntrio rechtsextrem sozialisiert und gewalttätig radikalisiert. Ich finde, aktuelle Vergleiche lassen einen erschrecken. Längst könnten erneut Rechtsterroristen unterwegs sein. Umso mehr müssen wir den NSU-Komplex vollständig aufklären.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Eva Högl das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6137223 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 135 |
Tagesordnungspunkt | Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses |