11.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 135 / Tagesordnungspunkt 3

Eva HöglSPD - Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Verbrechen, es gibt Anschläge, es gibt Terrorakte, die bleiben uns allen für immer in Erinnerung und die prägen unsere Gesellschaft. Das waren der Terror der RAF – Bilder davon sehen wir jetzt anlässlich des traurigen Todes von Helmut Schmidt wieder im Fernsehen –, der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, der 11. September 2001, und die Morde und Sprengstoffanschläge des NSU gehören ebenfalls in diese Aufzählung. Das sind Verbrechen, das sind Terrorakte, die wir nicht vergessen werden und die uns weiter beschäftigen werden.

Ich sage hier noch einmal deutlich: Diese Morde und diese Sprengstoffanschläge waren Anschläge auf uns alle, auf unsere Demokratie, auf unser friedliches Zusammenleben, auf unsere tolerante Gesellschaft. Wir alle miteinander, wir waren gemeint mit diesen Anschlägen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Zweite ist: Diese Sprengstoffanschläge, diese viele Jahre nicht aufgeklärte Mordserie des NSU waren eine Zäsur für die Sicherheitsbehörden, eine ganz grausame Zäsur; denn sie legten offen, dass wir es mit einem systematischen, flächendeckenden Versagen der Sicherheitsbehörden zu tun hatten, und zwar im Bund und in den Bundesländern, bei Polizei, bei Verfassungsschutz, bei der Justiz. Das war keine leichte Erkenntnis und ist es bis heute nicht. Aber das war die Erkenntnis des ersten Untersuchungsausschusses: dass es eben keine Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen, von Dusseligkeiten und Schusseligkeiten war, sondern dass es tatsächlich ein flächendeckendes Versagen war, dass die Mordserie elf Jahre lang nicht in Zusammenhang gebracht wurde mit dem untergetauchten rechtsextremen Terrortrio NSU.

Ich will noch einmal daran erinnern, was unsere zwei wesentlichen Erkenntnisse im NSU-Untersuchungsausschuss waren: Der Rechtsextremismus wurde jahrelang – man kann sogar sagen, jahrzehntelang – systematisch verharmlost, verniedlicht, vernachlässigt und nicht als Gefahr für unsere Gesellschaft gesehen. Bei den Ermittlungen der Morde und Sprengstoffanschläge wurden an keiner Stelle, an keinem einzigen Tatort die möglichen Motive Rassismus und Rechtsextremismus auch nur ansatzweise so gründlich in den Blick genommen, wie es notwendig gewesen wäre. – Das sind die beiden wesentlichen Erkenntnisse. Deswegen ist es für uns anlässlich des NSU so wichtig, auf der einen Seite weiter aufzuklären und auf der anderen Seite auch Reformen anzugehen.

Wir, die ehemaligen Obleute und andere interessierte Kolleginnen und Kollegen, haben uns jetzt – das ist schon gesagt worden – zwei Jahre ganz intensiv weiter mit dem Thema beschäftigt und uns die Entscheidung bezüglich der Frage, ob wir noch einmal einen NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen, wahrlich nicht leicht gemacht. Wir haben sehr sorgfältig überlegt und erst einmal die anderen Möglichkeiten genutzt, die wir hier im Parlament so haben – das ist schon gesagt worden –: als Berichterstatterin und Berichterstatter, mit Kleinen und Großen Anfragen sowie mit Einzelfragen und intensiven Debatten im Innenausschuss. Aber wir haben festgestellt, dass wir die Fragen, die wir alle noch haben, eben nicht beantwortet bekommen, dass wir in dem Rahmen, den wir hier zur Verfügung haben, nicht weiter aufklären können und deshalb einen NSU-Untersuchungsausschuss Teil 2 brauchen.

Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir rollen nicht auf, was wir bereits untersucht haben. Darüber haben wir uns bereits ausgetauscht; darauf haben wir uns verständigt. Wir knüpfen an den ersten Untersuchungsausschuss an und setzen ihn fort. Ich will drei Punkte nennen, die uns dabei besonders wichtig sind.

Es ist schon gesagt worden – gut ist, dass das von allen gesagt wird –, dass es jetzt um die Netzwerke, die Unterstützer und die Zusammenhänge geht. Dafür hatten wir damals nicht genügend Zeit. Jetzt haben wir auch viel mehr Erkenntnisse. Zudem werden wir auf die aktuelle Situation Bezug nehmen – darauf haben Sie hingewiesen; das ist auch mir besonders wichtig –, die uns alarmieren muss. Wir müssen wissen, wer über das Trio hinaus den NSU unterstützt hat und wie die Zusammenhänge sind.

Wir haben Fragen rund um die einzelnen Tatorte, nicht zuletzt auch, was den Tatort beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn angeht. Aber auch, was die anderen Tatorte anbelangt, haben wir weiterhin Fragen.

Außerdem wollen wir in diesem zweiten Untersuchungsausschuss noch genauer beleuchten, welche Rolle die V‑Leute gespielt haben, welche Verantwortung auch der Verfassungsschutz hatte, wer wo was gewusst hat. Wir sind der Auffassung, dass wir da noch längst nicht am Ende unserer Erkenntnisse bzw. der Aufklärung sind.

Ich will noch einen vierten Punkt benennen, der mir auch sehr wichtig ist. Die Selbstenttarnung des NSU ist jetzt vier Jahre her. Ich habe über notwendige Reformen gesprochen, die in Teilen – mehr oder weniger zur Zufriedenheit der einen oder der anderen – auch angegangen worden sind. Aber ich glaube nicht, dass bei der Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz schon so viel verändert wurde, dass wir zufrieden sein können. Vielleicht werden wir nie zufrieden sein; aber ich bin es im Moment überhaupt nicht, weil ich glaube, dass der Ruck, den der NSU in den Sicherheitsbehörden ausgelöst hat, noch nicht die ausreichenden Konsequenzen hatte dergestalt, dass schon an allen Ecken und Enden anders gearbeitet wird. Ich glaube deshalb, dass wir auch weiterhin an den Reformen arbeiten müssen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben wenig Zeit. Wir sputen uns. Wir schauen uns an, woran in den Bundesländern gearbeitet wird, und wir werden uns anschauen, was beim Oberlandesgericht München herauskommen wird. Wir werden die Zeit – die anderthalb Jahre – nutzen. Ich bedanke mich für die Unterstützung. Wir gehen engagiert an die Arbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Irene Mihalic.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6137249
Wahlperiode 18
Sitzung 135
Tagesordnungspunkt Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses
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