12.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 136 / Tagesordnungspunkt 5

Karl SchiewerlingCDU/CSU - Unterstützung von Flüchtlingen

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, wir stehen in Deutschland vor einer der größten Herausforderungen. Die vielen Flüchtlinge in unserem Land lösen bei vielen Menschen Ängste und deutliche Abwehrreaktionen aus. In der Tat ist es etwas anderes, ob ich in der Finanzkrise 2007/2008 gegen virtuelle Blasen einen Etat setzen kann und internationales Finanzmanagement betreibe oder ob ich es, wie in der jetzigen Situation, mit Menschen zu tun habe, die mit Haut und Haaren, mit Seele und mit Erwartungen vor unseren Türen stehen.

Die Entwicklung trifft in Deutschland auf eine Situation, in der Deutschland der Wachstumsmotor in Europa ist, die niedrigste Arbeitslosenquote und eine hohe Beschäftigung hat, sie trifft in Deutschland auf eine Situation, in der die Hauptsorge der Menschen die demografische Entwicklung und eine immer älter werdende Gesellschaft ist, in deren Folge Fachkräftemangel eines der beherrschenden Wirtschaftsthemen ist. In dieser Zeit kommen unangemeldet und für den einen oder anderen plötzlich in diesem Jahr mehr als 800 000 Flüchtlinge aus anderen Ländern, aus anderen Kulturkreisen zu uns, um Schutz vor Verfolgung und ein besseren Leben zu suchen.

Sehen Sie, Frau Kollegin Zimmermann, das unterscheidet uns: Wenn in Deutschland ein so blankes Elend herrscht, wie Sie es beschreiben, dann frage ich mich, warum die Menschen eigentlich in dieses Elend kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich kann mich nur wundern über Ihre Amnesie, wenn es um die Frage geht, was bei uns Wirklichkeit ist. Sie kennen genau die Arbeitsmarktzahlen, und Sie kennen genau die Entwicklung. Die Menschen wollen in ein Land kommen, in dem Recht und Ordnung herrscht und in dem sie eine Lebensperspektive haben. Die Lebensperspektive sind Auszeichnungen für unser Land, weil wir offensichtlich international, auch in der Frage der Gerechtigkeit, wesentlich besser dastehen als viele andere Länder. Warum kommen sie zu uns?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine lieben Kollegen von der Linken, ich hätte wenigstens von Ihnen erwartet, sosehr Ihr Antrag einige durchaus richtige Impulse gibt, die wir in der Regierung aber schon längst aufgreifen,

(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Abgeschrieben haben! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: „Abgeschrieben haben“? Den Antrag gibt es seit gestern!)

dass Sie endlich einmal, auch in dieser schwierigen Situation, in der sich unser Land befindet, nicht mit Ihren alten Klamotten aus der Kiste kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir sprechen von einem Land, in dem 600 000 freie Stellen gemeldet sind, in dem Auszubildende in Handel, Handwerk und Gastronomie gesucht werden und in dem die Menschen langsam spüren, dass wir, wenn jüngere Menschen fehlen, vor großen Herausforderungen stehen, die wir nicht mit Computern werden beantworten können. Wir sprechen von einem Land, in dem 2,6 Millionen Menschen arbeitslos sind, darunter 1 Million Langzeitarbeitslose.

Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, Ordnung in diese Situation zu bringen. Gegen Panikattacken auch in unserem Land – das sage ich in verschiedene Richtungen – helfen nur ein klarer Kopf und eine ordnende Hand. Ich sage Ihnen, dass wir dabei sind, diese Ordnung hineinzubringen. Mein Vertrauen gilt hier voll und ganz der Bundeskanzlerin und dem Handeln der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn das Konzept ist eindeutig: Der Zustrom muss durch internationale Rahmenabkommen gestoppt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben können. Wir brauchen eine europäische Regelung, was die Aufnahme angeht, und wir brauchen eindeutig auch eine Begrenzung des Zuzugs, damit wir denen, die hier sind, entsprechend helfen können. Wir können nur denen helfen, die tatsächlich eine Bleibeperspektive haben. Denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, müssen wir sagen, dass wir Platz für die brauchen, deren Leib und Leben wirklich existenziell bedroht sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])

Für die allerdings müssen wir alles tun. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich sage Ihnen: Die Zusammenlegung der Leitung der Bundesagentur für Arbeit und des BAMF in die Hand von Herrn Weise war eine der wichtigsten und klügsten Entscheidungen,

(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])

und zwar nicht nur, was die Person angeht, sondern auch deshalb, weil es einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Amts für Migration und den sich danach, wenn alle Rechtsentscheidungen getroffen sind, ergebenden Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es gilt, all denjenigen ein herzliches Dankeschön zu sagen, die in diesem Bereich tätig sind und jetzt mit anpacken, dass wir die Verfahren beschleunigen und nach vorne bringen. Das geht eben nicht, wie die Bundeskanzlerin zu Recht sagte, indem irgendein Hebel umgelegt wird: Und sofort ändert sich alles schlagartig und gleichzeitig. Wir müssen jetzt sehen, dass wir die Aufgaben der Reihe nach lösen und mit Konsequenz bei den Beschlüssen bleiben, die wir miteinander getroffen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht, was die Perspektive betrifft, natürlich um die Integration in den Arbeitsmarkt. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Wir haben zurzeit über 31 Millionen Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Wir haben 7,4 Millionen Menschen mit geringfügiger Entlohnung. Wir haben 2,6 Millionen Menschen, die arbeitslos sind, ja. Aber wir haben auch über 600 000 freie und offene Stellen. An dieser Stelle soll und muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, weil es anders immer wieder in den Medien kolportiert wird: Niemand, der hier wohnt, muss um seine Rente, um seinen Gesundheitsschutz, um die Hilfe der deutschen Sozialsysteme fürchten. Sie werden weiterhin alle Unterstützung bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Alle Befürchtungen, die an die Wand gemalt werden, sind irreal.

Meine Damen und Herren, natürlich ist das eine große Herausforderung. Die große Herausforderung für den Arbeitsmarkt wird sich in den kommenden Monaten erstmals mit aller Wucht stellen. Damit wir diesen Herausforderungen gerecht werden, ist es wichtig, den Blick darauf zu richten, wie die Situation ist: Zu uns kommen Menschen, von denen 80 Prozent kein Deutsch können und nicht die nötige Qualifikation mitbringen. Das weiß auch die deutsche Wirtschaft. Ich nehme die deutsche Wirtschaft ernst, wenn sie sagt: Wir wollen alles tun, um diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. – Das ist natürlich bei jungen Menschen, die zuwandern, leichter als bei denjenigen, die vielleicht schon etwas älter sind. Die Jungen können wir durch Vermittlung der deutschen Sprache in Ausbildung bringen. Dem 25-Jährigen, 26-Jährigen, der zu uns kommt, der nie eine Berufsausbildung nach deutschem Verständnis gemacht hat, aber vielleicht schon seit mehr als zehn Jahren als Schweißer erfolgreich in seinem Heimatland tätig ist, müssen wir die Perspektive geben, in Beschäftigung zu kommen, aber gleichzeitig berufsbegleitend die deutschen Qualifikationen nachzuholen. Vorab muss er etwas Deutsch lernen, aber das wichtige Lernen erfolgt im Beruf. Der Meister im Betrieb ist oft der beste Deutschlehrer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit wird nach allen derzeitigen Prognosen um 0,1 Prozent steigen. Das sind Perspektiven, die keinen Anlass zu Panikattacken geben, sondern die uns vor Herausforderungen stellen, unsere Aufgaben im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu lösen. Wir werden sie lösen, indem wir zunächst einmal denjenigen, die Deutsch brauchen, auch die notwendigen Deutschkenntnisse vermitteln. Hier werden die entsprechenden Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das werden wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn der Haushalt verabschiedet wird, beraten. Nach derzeitigem Plan wird der Haushalt der Bundesarbeitsministerin 1,9 Milliarden Euro mehr erhalten, um denjenigen, die arbeitslos werden, entsprechende Unterstützung zu geben und denjenigen durch Sprachkurse und berufliche Integration zu helfen, Fuß auf dem deutschen Ausbildungsmarkt zu fassen.

Ich sage auch sehr deutlich: Das verlangt ein Umdenken in den Köpfen mancher Leute. Wir werden auch manche Teilqualifikation brauchen. Wir werden auch – das ist überhaupt keine Frage – manche jungen Menschen haben, die wir über eine Einstiegsqualifikation ins Praktikum stecken, damit sie sich an die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt gewöhnen und so ihre Per­spektiven langsam entwickeln können. Aber was wir nicht brauchen, ist eine Absenkung des Mindestlohns,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil dies nicht zu einer leichteren Integration führen würde, sondern zur Wettbewerbsverzerrung.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Perspektiven, die Chancen, die sich uns stellen, nutzen. Wir müssen mit ruhiger Hand handeln. Ich bin sicher, dass wir die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt meistern werden, wenn wir nicht den Himmel voller Geigen malen, sondern uns der Realität stellen, und zwar gemeinsam mit den Akteuren, den Sozialpartnern und allen, die Verantwortung tragen.

Herr Kollege.

Ich erlebe ganz viel guten Willen, hier etwas zu tun, und Gott gebe, dass dieser gute Wille möglichst lange anhält.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6142531
Wahlperiode 18
Sitzung 136
Tagesordnungspunkt Unterstützung von Flüchtlingen
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