Kerstin GrieseSPD - Unterstützung von Flüchtlingen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dağdelen, ich habe mich bei Ihrer Rede und auch bei der Rede von Frau Zimmermann gefragt: Wo leben Sie eigentlich?
(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Ja!)
Wer schürt denn hier Rassismus? Ihr Herr Lafontaine hat gerade wieder Obergrenzen für Flüchtlinge gefordert, weil sonst nichts mehr geht. Das ist die falsche Forderung. Uns geht es darum: Wir schaffen das. Wir machen das. Wir tun echt etwas für die Integration von Flüchtlingen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])
Jetzt benutzen Sie auch noch die Flüchtlinge, um, wie immer, Ihren Textbaustein zur Millionärsteuer und zum höheren Mindestlohn unterzubringen. Das geht so wirklich nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich will Ihnen einmal sagen, was wir tun, damit wir das schaffen, und Ihnen das an fünf Beispielen klarmachen:
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eine Schande für die SPD!)
Erstens will ich Ihnen erzählen von einem sehr interessanten Besuch beim Integration Point in Düsseldorf. Das ist ein neuer Ansatz. Dort arbeiten die Arbeitsagentur, das Jobcenter und die Kommunale Ausländerbehörde zusammen. Ein schönes, buntes Symbol macht klar: Hierhin können alle Flüchtlinge kommen. Hier wird vernetzt beraten. Hier muss man nicht von Amt zu Amt laufen. – Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen sogar in die Flüchtlingsunterkünfte,
(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: So ist es!)
bieten dort Beratungsstunden an und gucken, welche Qualifikationen die Leute haben. Ich will an dieser Stelle allen danken, die jetzt vor Ort solche Konzepte entwickeln. Das ist der richtige Weg.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Mit diesem Ansatz des Integration Points startet man in Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Dortmund und Herford. Dies wird dann flächendeckend im ganzen Land angeboten. Das ist genau richtig. Selbst für uns ist es ja schwierig, herauszufinden, welche Behörde für die Anerkennung der einzelnen Berufsabschlüsse zuständig ist. In diesen Integration Points wird das Angebot zusammengefasst. Ganz besonders wichtig ist der kurze Draht zwischen der Arbeitsagentur und dem Jobcenter auf der einen Seite und der Kommunalen Ausländerbehörde auf der anderen Seite; denn wir haben Unternehmen, die Flüchtlinge beschäftigen wollen, und Betriebe, die Flüchtlinge ausbilden wollen. Wir haben auch Menschen, die sich darum kümmern wollen, dass Flüchtlinge durch Praktika unsere Sprache lernen, damit sie sich besser integrieren können. Wir tun jetzt alles, was geht, um sie zu unterstützen.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum haben wir dann die Hürden, Kerstin?)
Deshalb sage ich: Es geht um Perspektiven. Es geht darum, dass entsprechende Strukturen geschaffen werden.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, das Programm „Early Intervention“, das jetzt ebenfalls zu einem flächendeckenden Angebot ausgebaut wird: Die Mitarbeiter der Jobcenter sprechen Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive an, suchen sie auf, schauen, welche Qualifikationen sie haben, und fragen: Wie können wir weiterhelfen? Bedarf es weiterer Qualifizierungen? Wie können sie in Arbeit kommen?
Mein dritter Punkt ist der Spracherwerb. Meine Kollegin Katja Mast hat es schon gesagt: Sprache, Bildung, Arbeit und soziale Integration, das sind die zentralen Punkte, um die es geht. Deshalb investieren wir jetzt mit Absicht so viel mehr in den Spracherwerb. Die Menschen sollen früh und schnell die deutsche Sprache lernen. Das ist der richtige Weg, das ist der praktische Weg zu Integration.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben die Integrationskurse und die berufsbezogenen Sprachkurse geöffnet. Es wird ein Gesamtprogramm Sprache geben. Es ist gut, dass demnächst nicht nur wie bisher die anerkannten Asylbewerber die Sprachkurse besuchen können, sondern dass wir den Kreis der Berechtigten erweitert haben. Auch geduldete Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive können an diesen Sprachkursen teilnehmen.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Aber warum nur die?)
Das ist der richtige Schritt, damit sie schneller in Arbeit kommen.
Lassen Sie mich einen vierten Punkt nennen. Die Bundesagentur für Arbeit hat Geld zur Verfügung gestellt, um auch in diesem Jahr vermehrt Sprachkurse anbieten zu können; denn wir haben gemerkt, dass der Schritt vom ersten Integrationskurs zum berufsbezogenen Sprachkurs verbessert werden muss. Deshalb gilt mein herzlicher Dank der Bundesagentur für Arbeit dafür, dass sie dies so intensiv unterstützt.
(Beifall bei der SPD)
Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?
Aber gerne.
Frau Kollegin Griese, Sie haben gerade angesprochen, dass jetzt auch Flüchtlinge, die noch nicht anerkannt sind, aber eine gute Bleibeperspektive in Deutschland haben, Zugang zu Sprachkursen und zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben. Sie wissen, dass ich das begrüße. Aber finden Sie es eigentlich angemessen und richtig, dass Sie eine 50-Prozent-Quote eingeführt haben? Sie wissen vielleicht, dass afghanische Flüchtlinge eine Anerkennungsquote von 46,7 Prozent haben, also knapp unter den 50 Prozent liegen. Die Anerkennung afghanischer Flüchtlinge dauert derzeit länger als 14 Monate. Das wird sich so schnell leider auch nicht ändern. Halten Sie es für richtig, dass also knapp 50 Prozent dieser Menschen keinen Zugang zu Sprachkursen und zu Fördermaßnahmen haben, mit all den negativen Folgen, die wir hier schon so oft beschrieben haben?
Liebe Frau Kollegin Pothmer, Sie sprechen einen wichtigen Punkt an; denn in der Tat sind unsere gesetzlichen Entwicklungen so ausgerichtet, dass wir den Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive sehr viel schneller als bisher die Teilnahme an Sprachkursen und die Integration in arbeitsmarktfördernde Maßnahmen ermöglichen. Bei Flüchtlingen mit schlechter Bleibeperspektive wollen wir die Verfahren beschleunigen, sodass sie schneller Rechtssicherheit haben. Das finde ich auch richtig.
Im Moment wird so gerechnet, dass zu jenen mit guter Bleibeperspektive – Sie haben es gesagt – diejenigen gehören, deren Anerkennungsquote über 50 Prozent liegt. Das sind mit um die 90 Prozent Anerkennung Flüchtlinge aus Eritrea, aus Syrien und aus dem Irak. Dann gibt es eine Gruppe jener, die als solche mit schlechter Bleibeperspektive gelten. Hier liegt die Anerkennungsquote unter einem halben Prozent.
Sie sprechen eine Gruppe an, über die meines Erachtens noch zu sprechen sein wird. Die Anerkennungsquote afghanischer Flüchtlinge liegt nahe an den 50 Prozent. Ich fände es daher gut, wenn wir die Maßnahmen auch für diese Gruppe öffnen würden. Darüber wird in der Koalition zu sprechen sein. Denn in der Tat: Das sind Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger hier bleiben werden. Wir wollen, dass sie dann hier auch arbeiten können und eben nicht nur ohne Beschäftigung in ihren Unterkünften sitzen.
(Beifall bei der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Unterstützung haben Sie!)
– Das freut mich. Ich werbe auch um Unterstützung durch den Rest des Hauses. Ich sehe überall zuckende Hände, das ist gut.
Ich möchte weiter auf die Maßnahmen eingehen, die wir konkret ergreifen. Ein ganz wichtiger fünfter Punkt: Wir werden den Eingliederungstitel für die Jobcenter erhöhen, damit Flüchtlinge gut beraten werden. Wir werden auch – das ist mir ganz wichtig – die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit und für die Jobcenter aufstocken, sodass wir 2 800 zusätzliche Stellen in den Jobcentern und etwa 1 000 Stellen in den zugelassenen kommunalen Trägern aufbauen werden. Das ist deshalb so wichtig, weil wir bei der Beratung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen nicht kürzen werden. Wir werden diese genauso wie bisher durchführen und sogar ausbauen. Wir sorgen für zusätzliche Mitarbeiter, die Flüchtlinge beraten. Es ist mir wichtig, dass die beiden Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Keiner in Deutschland muss Angst haben, dass wir uns weniger um ihn kümmern, weil wir uns jetzt besonders intensiv um die Flüchtlinge kümmern.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gabriele Schmidt (Ühlingen) [CDU/CSU])
Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?
Ja, bitte.
Danke schön, Herr Präsident. – Sie sprachen von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive; wobei man sich grundsätzlich fragen muss, nach welchem Raster Flüchtlinge eingeordnet werden. Ich muss sagen, das jetzige Verfahren finde ich sehr bedenklich. Das sind Menschen, die hier sind. Die Einteilung in Bleibeperspektiven ist in meinen Augen abzulehnen.
Zu meiner konkreten Frage. Wenn Dublin III für syrische Flüchtlinge wieder eingeführt wird, dann wird vor das Asylverfahren erst einmal eine entsprechende Prüfung vorgeschaltet. In dieser Zeit ist es nicht möglich, Spracherwerb zu machen oder zu arbeiten. Es dauert dann wieder Monate. Da frage ich mich: Ist das eine schnelle Integration auch für die Gruppe von Flüchtlingen, bei der es im Grunde eine Anerkennungsquote von 100 Prozent gibt? Was ist das schon wieder für eine bürokratische Verzögerung? Das führt im Grunde dazu, dass die Menschen wieder zum Nichtstun verdammt werden, nur weil es aus dem Geiste der Abschottung und Abschreckung heraus neue Überlegungen des Innenministers gibt, diese Menschen hier jetzt untätig zu halten. Wenn Sie sagen, dass es für die mit guter Bleibeperspektive jetzt eine schnelle Integration gibt, stimmt das überhaupt nicht; denn jetzt wird wieder die Dublin-Prüfung vorgeschaltet.
Frau Kollegin Hänsel, der Geist, in dem wir in der Arbeitsmarktpolitik und in der Sozialpolitik über dieses Thema diskutieren, ist der Geist, dass wir die Menschen gut integrieren wollen, dass wir sie schnell integrieren wollen, dass wir ihnen Sprachkurse, Arbeitsmarktintegration und soziale Teilhabe ermöglichen. Dafür tun wir alles. Ich habe Ihnen eine Menge Beispiele gezeigt, wo das auch schon gut läuft. Das werden wir weiter ausbauen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Für oder gegen Dublin?)
Deshalb möchte ich erwähnen – auch das ist ein wichtiger Punkt –, dass wir für die Menschen aus den Westbalkanländern eine Möglichkeit der legalen Arbeitsmigration geschaffen haben. Auch das erleichtert das Bearbeiten der vielen, vielen unerledigten Anträge, die es beim BAMF gibt; denn es ist besser, wenn die Leute auf dem Westbalkan wissen, dass sie, wenn sie einen Arbeitsplatz in Deutschland haben, einen Antrag auf legale Zuwanderung durch Arbeit stellen können. Das ist der richtige Weg gerade für die Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen wollen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt, übrigens auch ein erster Schritt in Richtung eines Einwanderungsgesetzes.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Wochen viele gesetzliche Regelungen geschaffen, die für Asylbewerber und Geduldete – ich betone das noch einmal – leichter und schneller den Zugang zu Spracherwerb, zur deutschen Sprache schaffen und die dafür sorgen, dass ihre Qualifikationen frühzeitig festgestellt werden. Viele bringen ja auf ihren Smartphones Fotos ihrer Zeugnisse aus dem Heimatland mit und legen sie hier vor, damit man sehen kann, welche Ausbildung sie haben. Wir haben beschlossen, dass sie auf ihrem Weg in Arbeit gefördert werden. Wir sehen da auch viel Kooperation vonseiten der Wirtschaft. Ich sage ganz klar: Egal ob jemand bei uns aufgewachsen ist oder zu uns gekommen ist, der Mindestlohn gilt für alle. Diese Regeln auf dem Arbeitsmarkt gelten für alle. Diese Ordnung auf dem Arbeitsmarkt werden wir selbstverständlich beibehalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb sage ich: Es geht um praktische Maßnahmen. Es geht darum, dass jetzt alle zusammenhalten, die Zivilgesellschaft, die schon zu Recht so gelobt worden ist, unsere kommunalen Behörden, unsere Arbeitsämter und Jobcenter. Sie alle müssen jetzt zusammen an dieser wichtigen Aufgabe arbeiten. Wir investieren viel in neue Stellen und stellen zusätzliche Mittel bereit. Wir wollen das schaffen, und deshalb machen wir das.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Luise Amtsberg.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6142624 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 136 |
Tagesordnungspunkt | Unterstützung von Flüchtlingen |