12.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 136 / Tagesordnungspunkt 10

Nina WarkenCDU/CSU - Schutz besonders gefährdeter Flüchtlinge

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen und Kinder sind die verletzlichste Gruppe unter den Flüchtlingen und brauchen unseren besonderen Schutz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Genau!)

– Genau. Da sind wir uns alle einig. – Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind 34 Prozent der Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn in Europa angekommen sind, Frauen und Kinder.

Aus meinen zahlreichen Besuchen in Erstaufnahmeeinrichtungen und in Gemeinschaftsunterkünften weiß ich, dass man dort bereits alles versucht, um den Bedürfnissen von besonders gefährdeten Flüchtlingen gerecht zu werden. Hilfsorganisationen schulen ihre Mitarbeiter und geben ihnen Leitfäden an die Hand, wie man Kinder und Frauen vor allem in der Erstaufnahme am besten betreut. THW und Bundeswehr leisten rund um die Uhr Amtshilfe, um die Unterkünfte bestmöglich herzurichten. Wo es geht, werden Spiel- und Leseecken für Kinder eingerichtet. Es gibt Unterkünfte nur für alleinstehende Frauen. Auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist man bemüht, eigene Bereiche für sie zu schaffen. Darüber hinaus werden Gesprächskreise und andere Angebote organisiert, um die Frauen, die sich häufig aufgrund traumatischer Erfahrungen ganz in sich zurückgezogen haben, aus ihrer Isolation herauszuholen. Gleichzeitig geht es darum, Frauen darüber aufzuklären, welche Rechte sie haben und an wen sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen. Mein herzlicher Dank dafür – ich glaube, auch da sind wir uns einig – geht an die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland kann stolz sein auf das Mitgefühl und das Engagement, das hier trotz des massiven Zustroms nach wie vor gezeigt wird. Das dürfen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht kleinreden.

Wie Sie in Ihrem Antrag selbst einräumen, sind die Kommunen und Träger von Flüchtlingsunterkünften bereits dabei, Kriterienkataloge und Konzepte zum Schutz von Frauen und Kindern zu entwickeln. Das sollten wir unterstützen. Zum jetzigen Zeitpunkt mit verpflichtenden Vorgaben zu kommen, wie Sie das in Ihrem Antrag vorschlagen, halte ich für den falschen Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist EU-Recht!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich noch einmal auf den Punkt bringen: Es ist völlig unumstritten, dass Frauen und Kinder besonderen Schutz brauchen. Wir müssen aber angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen bei allen Forderungen immer auch die Machbarkeit im Blick haben, und diese blenden Sie in Ihrem Antrag leider aus. So fordern Sie die dezentrale Unterbringung in Wohnungen, nach Geschlechtern getrennte und abschließbare sanitäre Anlagen und Gemeinschaftsräume, und Sie fordern, Gemeinschaftsunterkünfte unter die Betriebserlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII zu stellen. Vieles davon ist sicher grundsätzlich wünschenswert und wird auch schon versucht umzusetzen. Aber die Kommunen haben doch vielerorts nicht einmal mehr genügend Gebäude, um den ankommenden Flüchtlingen ein winterfestes Dach über dem Kopf zu geben. Da kann man doch nicht mit neuen Verpflichtungen kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch, was da steht!)

Wenn Sie fordern, dass für jede Flüchtlingsunterkunft künftig ein Konzept vorgelegt werden muss mit Maßnahmen zur Qualitätssicherung und mit aufgabenspezifischen Ausbildungsnachweisen von allen Helfern, werden wir es nicht schaffen, in kürzester Zeit genügend Unterkünfte bereitzustellen und entsprechende Helfer zu akquirieren.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt eine Übergangsfrist! Lesen Sie doch, was drinsteht!)

Das kann man doch vor Ort keinem erklären.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Statt solche unpraktikablen Forderungen aufzustellen, sollten Sie endlich einsehen, dass wir den Zustrom nach Deutschland begrenzen müssen, weil wir sonst die Flüchtlinge nicht mehr menschenwürdig versorgen können.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, erst gar keine Kinder reinlassen!)

Am härtesten trifft es dann diejenigen, die wir am meisten schützen wollen, nämlich Frauen und Kinder. Sie kommen im Gros der überwiegend männlichen Flüchtlinge zu kurz. Angesichts der enormen Flüchtlingszahlen wird diese Tendenz noch weiter verstärkt werden. Ihrem Antrag entnehme ich viele Wünsche. Zu der Frage, wie wir das umsetzen wollen, habe ich aber nichts gelesen.

Genauso gekonnt wie die Machbarkeit Ihrer Forderungen blenden Sie aus, was für Frauen und Kinder bereits getan wird und mit welchen Maßnahmen wir den Betroffenen am meisten helfen. In Deutschland genießen unbegleitete Minderjährige nämlich besonderen Schutz. Diese Kinder und Jugendlichen werden bei uns vom Jugendamt in Obhut genommen und in altersgerechten Einrichtungen mit allem Notwendigen versorgt. Diesen besonderen Schutzanspruch haben wir mit dem Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher bekräftigt. Wir haben ein bundesweites Verteilungsverfahren eingeführt, das sich an den Bedürfnissen der Jüngsten orientiert.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)

Die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht, wurden oft in Krieg und Elend hineingeboren und kennen nur Leid und Verzweiflung. Wir wollen ihnen hier in Deutschland ein Stück Geborgenheit zurückgeben. Das wird mit vielen kleinen, aber wichtigen Maßnahmen getan. So hat zum Beispiel die Bundesregierung bundesweit sechs regionale Servicebüros geschaffen, die den Städten und Landkreisen dabei helfen, junge Flüchtlinge in Kita und Schule zu integrieren und beim Übergang in das Berufsleben zu begleiten. Vielerorts richtet sich das ehrenamtliche Engagement gerade an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen aus. Es werden Feste, Ausflüge und gemeinsame Aktionen mit gleichaltrigen Einheimischen organisiert.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man mehr unterstützen!)

Wir können, denke ich, wirklich stolz sein auf das, was in diesem Bereich geleistet wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber auch darüber reden, wie wir am meisten zum Schutz von Frauen und Kindern in den Einrichtungen beitragen können. Dazu gehört meiner Meinung nach in erster Linie eine konsequente Verfolgung von Straftaten und Übergriffen.

(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Dazu habe ich noch nichts gehört!)

Dabei steht völlig außer Frage – was Sie, liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag schreiben –, dass Anschläge und Hetze gegen Asylbewerber nicht hingenommen werden dürfen. Bund und Länder arbeiten diesbezüglich eng zusammen. Die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden gehen konsequent gegen diese Taten vor. Bei Straftaten in Flüchtlingsunterkünften muss allerdings noch mehr getan werden. Gerade was sexuelle Übergriffe angeht, ist dort von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Wir müssen den Opfern zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Straftaten in Flüchtlingsunterkünften dürfen deshalb nicht mit Begleitumständen der Flucht, der Religionszugehörigkeit oder der Unterbringung in Sammelunterkünften entschuldigt werden. Sie müssen zur Anzeige gebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht das denn?)

Die Bundesregierung hat sich zusammen mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs an die Länder gewandt, um gemeinsam für den Schutz der Flüchtlingskinder vor Gewalt, insbesondere vor sexueller Gewalt, in Flüchtlingsunterkünften zu sorgen. Ich glaube, wir brauchen hier eine ganz klare Linie, die da lautet: Wer Straftaten begeht, hat keinen Anspruch mehr auf Asyl in Deutschland. Es entspricht in keiner Weise dem Gedanken des Asylrechts, wenn jemand, der selbst Schutz sucht, einem anderen Menschen Leid zufügt. Das gilt erst recht, wenn es um Frauen und Kinder geht.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt denn ihr Schutz?)

Ebenfalls unerträglich ist der Umstand, dass Frauen und Kinder auf der Flucht nach Europa von Schleusern sexuell missbraucht werden, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtet. Das sollte uns in unserem Kampf gegen diese menschenverachtenden und skrupellosen Verbrecher bestärken.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erlauben Sie den legalen Familiennachzug!)

Wir müssen angesichts solcher Berichte noch entschiedener alles daransetzen, Schleuserbanden das Handwerk zu legen und sie hinter Schloss und Riegel zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich in dieser Debatte, in der wir überlegen, wie wir den besonders Schutzbedürftigen am meisten helfen können, Folgendes betonen: Seit Beginn der Flüchtlingskrise ist es das Kernanliegen unserer Asylpolitik, über Aufnahmeprogramme in erster Linie den besonders Schutzbedürftigen zu helfen und sie nach Deutschland zu holen. Ich finde, wir sollten uns künftig viel stärker auf diesen Ansatz konzentrieren. Statt unbegrenzt alleinstehende junge Männer bei uns aufzunehmen, die auch anderswo gute Chancen auf ein besseres Leben haben,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch selber die Zahlen vorhin genannt! – Zurufe von der LINKEN)

sollten wir uns um diejenigen kümmern, die unsere Hilfe am meisten brauchen.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Frauen und Kinder bei uns den Schutz bekommen, den sie brauchen.

(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Sie lassen die Kinder im Mittelmeer ersaufen!)

Ich finde, wir sind, was die Konzepte zum Schutz in den Unterkünften und auch die zahlreichen Maßnahmen für Flüchtlinge angeht, bereits auf einem guten Weg.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es gibt viel sicherere Einreisemöglichkeiten!)

Lassen Sie uns deshalb im Interesse der Menschen, die unsere Hilfe am meisten brauchen, bei allen Maßnahmen immer fest im Blick behalten, was umsetzbar ist, was unser Land leisten kann und was nicht. Übersteigerte Forderungen wie die in Ihrem Antrag gehören nicht dazu.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was Schweden leisten kann, kann Deutschland schon lange leisten!)

Wir erbringen den zu schützenden Frauen und Kindern die größte Hilfe, wenn wir das Machbare im Blick behalten und das dann auch umsetzen. Auf Ihre Vorschläge, die auch machbar sind, bin ich sehr gespannt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Norbert ­Müller von der Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6143366
Wahlperiode 18
Sitzung 136
Tagesordnungspunkt Schutz besonders gefährdeter Flüchtlinge
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