12.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 136 / Tagesordnungspunkt 10

Norbert MüllerDIE LINKE - Schutz besonders gefährdeter Flüchtlinge

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Eigentlich wollte ich sagen, dass es beschämend ist, dass es überhaupt dieses Antrages bedarf, um heute über dieses Thema zu reden, und fragen, warum die Bundesregierung nicht längst gehandelt hat. Inzwischen muss ich sagen: Beschämend ist Ihre Rede, Frau Warken.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zwei Dinge vorwegschicken, die grundsätzlich geklärt werden müssen, damit klar wird, worüber wir hier eigentlich reden, über Täterinnen und Täter oder über Opfer. Es ist eine Stärke des Antrags der Grünen – ich sage vorweg, warum ich ihn gut finde –, dass er sich mit der Frage befasst, wie wir Opfer von sexuellem Missbrauch, von Ausbeutung und Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften und in Erstaufnahmeeinrichtungen – ich finde, man müsste das weiter fassen – schützen können. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Frau Warken.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Doch! Zur Anzeige bringen! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist es doch schon längst passiert! Das ist doch kein Schutz!)

Sie haben vielmehr gesagt, das sei überflüssig, und davon gesprochen, wie man die Straftäter am besten bestraft. Hier geht es aber darum, Prävention zu betreiben. Es geht nicht nur darum, wie man die Täter am Ende dingfest macht – was das angeht, wird Ihnen keiner widersprechen –, sondern auch darum, wie man die Opfer bestmöglich schützt. Dazu gibt es Vorschläge, unter anderem von Herrn Rörig, dem auch von Ihnen eingesetzten unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Koalition scheint derart damit beschäftigt zu sein, eine Asylrechtsverschärfung nach der nächsten auf die Tagesordnung zu setzen und so eine Sau nach der nächsten durchs Dorf zu treiben und das gesellschaftliche Klima zu vergiften, dass sie die EU-Aufnahmerichtlinie, zu der Frau Dr. Brantner gesprochen hat, ganz vergessen hat; denn dazu haben Sie ebenfalls nichts gesagt.

Wenn der CSU-Parteitag in einigen Tagen beschließen sollte, dass wieder europäische Regeln gelten, dann meinen Sie doch ganz offensichtlich nicht wirklich, dass wieder europäische Regeln gelten sollen. Sie wollen vielmehr den Durchmarsch der CSU nach rechts zur Maxime machen. Es geht Ihnen überhaupt nicht um europäische Regeln. Wenn es Ihnen um europäische Regeln gehen würde, dann würden Sie die EU-Aufnahmerichtlinie vollumfänglich umsetzen.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Die Rückführungsrichtlinie! Genau!)

Das ist auch das Anliegen des vorliegenden Antrages. Dazu gehören Schutzräume für besonders gefährdete Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zustände vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin und die Tatsache, dass da ein vierjähriger bosnischer Junge einfach verschwinden konnte, mögen die Spitze des Eisberges sein. Das hat zu Recht alle empört. Viele Menschen haben Mitgefühl gezeigt. Aber was alltäglich ist, ist die Situation – darauf zielt der Antrag ab –, die wir in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen haben. Die häufig sehr großen und sehr vollen Gemeinschaftsunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen sind natürlich besonders anfällig für Missbrauchsstrukturen, für individuellen Missbrauch, aber auch für systematischen Missbrauch. Deswegen brauchen wir hier Präventionskonzepte.

Ja, der Antrag bietet eine gute Grundlage. Wir brauchen flächendeckende Gewaltschutzkonzepte in den Flüchtlingseinrichtungen. Wir brauchen nicht nur Konzepte, um zu gewährleisten, dass die Menschen in den Einrichtungen sicher sind, dass sie nicht überfallen werden und die Einrichtungen nicht angezündet werden. Wir brauchen nicht nur Brandschutzkonzepte, sondern eben auch Gewaltschutzkonzepte und -räume in diesen Einrichtungen. Das finde ich völlig selbstverständlich. Dass es das noch nicht gibt und Sie Ihre eigene Bundesministerin in diesem Zusammenhang bereits zweimal im Kabinett ausgebremst haben, ist eine völlige Katastrophe. Da fehlen mir fast die Worte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Schutz von Frauen und Kindern, von Homosexuellen und religiösen Minderheiten.

Ja, ich finde die Forderung des Antrags richtig. – Frau Warken, da haben Sie meine Antwort auf Ihre Frage, was wir praktisch fordern. Der Forderung der Grünen können wir uns anschließen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Bundesprogramm. Im Antrag werden die Punkte detailliert dargestellt. Dort können Sie das nachlesen; wir haben leider nicht so viel Zeit, dass ich Ihnen das alles vortragen könnte. Mit einem solchen Bundesprogramm kann der Bund ganz unmittelbar wirken und Standards setzen.

Ja, auch ich will nicht, dass wir langfristig Sondersysteme in Form von Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen. Ich möchte, dass diese Einrichtungen in unsere Sozialräume integriert werden, damit die Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, auf die vielfältigen Strukturen, die wir in Deutschland haben, zurückgreifen können. Das möchte ich als langfristiges Ziel formulieren. Kurz- und mittelfristig brauchen wir aber besondere Schutzstandards und Schutzkonzepte für die bestehenden und noch zu eröffnenden Einrichtungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag hat aber zwei Schwächen, zu denen ich etwas sagen möchte.

Erstens. In diesem Antrag werden zwei Flüchtlingsgruppen ausgeblendet, zum einen jene Flüchtlinge, die aus meiner Sicht, die aus Sicht der Linken ungerechtfertigterweise nicht hierbleiben dürfen, und zum anderen die Gruppe der Flüchtlinge, die noch unterwegs sind. Ich sage deutlich: Fluchtsituationen sind besonders belastend und insbesondere für Kinder und Frauen gefährlich. Warum kommen so viele junge Männer? Weil verantwortungsvolle Familienväter ihre Kinder nicht in Schlauchboote setzen und sie Gefahr laufen lassen, im Mittelmeer zu ertrinken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch die Situation. Und Sie wollen auch noch den Familiennachzug verhindern! Flucht heißt häufig Chaos, den Schleppern ausgeliefert sein, Missbrauchsstrukturen – diesen Strukturen wird Tür und Tor geöffnet. Schaffen wir doch endlich sichere, legale Fluchtrouten, explizit, um Kinder zu schützen, um Frauen zu schützen, um Homosexuelle zu schützen, weil Flucht für sie ganz besonders gefährlich ist.

Zur zweiten Schwäche des Antrags. Es gibt jene – ich komme zum Schluss –, die nicht bleiben dürfen, weil, mit Zutun der Grünen, zusätzlich eine ganze Reihe angeblich sicherer Herkunftsländer erfunden wurde, in die wir auch Frauen, Kinder, Homosexuelle und ethnisch Verfolgte wie die Roma zurückschicken. Diese besonders Schutzbedürftigen hätten wir in unseren Einrichtungen belassen sollen. Die dürfen wir nicht in Erstaufnahmeeinrichtungen kasernieren und dann zurückschicken. Deswegen hätte zum Antrag auch eine Ablehnung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten gehört.

An diesen Punkten ist der Antrag inkonsequent. Trotzdem steht in dem Antrag nichts, was falsch ist. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und hoffe auf Lerneffekte bei der Koalition.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gülistan ­Yüksel von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6143367
Wahlperiode 18
Sitzung 136
Tagesordnungspunkt Schutz besonders gefährdeter Flüchtlinge
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