Christel Voßbeck-KayserCDU/CSU - Menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von den Linken, als ich Ihren Antrag gelesen habe, da wurde mir wieder eines bewusst: Ihre Denke und Ihr politischer Ansatz sind vollkommen anders als unsere Denke und unser Ansatz.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt! Wir sind bei den Menschen und setzen uns für die Armen ein! Da haben Sie völlig recht, Frau Kollegin! Sie nicht! – Weitere Zurufe von der LINKEN)
Für uns von der CDU/CSU-Fraktion steht der Sozialstaat in einer Solidargemeinschaft auf zwei Pfeilern: Es ist für uns selbstverständlich, Menschen, die der Hilfe bedürfen, zu unterstützen; aber es gehört ebenso zu unserem Verständnis, dass alle, die einen Beitrag zum Sozialstaat leisten können, ihren Beitrag auch leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Chancengerechtigkeit fördern wir nicht, indem wir die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Chancengerechtigkeit können wir unter anderem erreichen, indem wir Menschen eine Perspektive eröffnen,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir brauchen Chancengleichheit, nicht Chancengerechtigkeit!)
nämlich die Perspektive, am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Und wie erreichen wir dies?
(Zurufe von der LINKEN)
– Hören Sie doch mal zu, Frau Kipping. Ich habe Ihnen auch zugehört. – Wie erreichen wir dies? Wir haben 6,1 Millionen Hartz-IV-Bezieher. Für sie stehen im Bundeshaushalt zurzeit 20,1 Milliarden Euro zur Verfügung; das sind 900 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr. Davon entfallen auf Arbeitsfördermaßnahmen 3,9 Milliarden Euro; das ist, obwohl sich die Arbeitslosenzahl verringert hat, der gleiche Betrag wie 2014.
Ich sagte schon: Wir stehen für eine Solidarität mit Menschen, die unserer Unterstützung bedürfen oder die in Not geraten sind. Es wurde uns zuletzt im Juli 2014 bestätigt, dass die Sozialgesetzgebung und die sozialrechtlichen Regelbedarfsleistungen in unserem Land verfassungsgemäß ausgestaltet sind.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade eben noch!)
Das ist doch eine klare Rechtsprechung, ein klares Urteil.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie mal mit Betroffenen gesprochen?)
– Ja.
Wie ist ansonsten die Situation in unserem Land? Wir haben 43 Millionen Menschen in Beschäftigung, davon 31 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das hätten die Linken nicht hinbekommen!)
Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote und auch die niedrigste Jugendarbeitslosigkeitsquote. Diese Zahlen sprechen für wirtschaftliches Wachstum. Das sind Tatsachen, die ermutigen und die nicht betrüben.
(Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE])
Von daher kann ich Ihren Pessimismus wahrlich nicht verstehen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben keinen Pessimismus! Wir wollen, dass den Betroffenen geholfen wird! – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Nehmen Sie einmal unseren Antrag, und lesen Sie ihn! – Weiterer Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
Nehmen Sie doch einfach mal einen anderen Blickwinkel ein! Diese vielen Menschen in Beschäftigung sprechen doch für sich, und Menschen in Beschäftigung wird doch auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.
(Karin Binder [DIE LINKE]: Schön wär‘s!)
Und dank der guten Finanz- und Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren haben doch auch viele Menschen den Sprung in Beschäftigung geschafft, auch Langzeitarbeitslose.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darüber haben wir uns gefreut!)
Denen haben wir mit arbeitsmarktpolitischen Programmen eine Perspektive eröffnet. Sie können ihren Lebensunterhalt jetzt aus eigenen Kräften und mit eigenen Mitteln finanzieren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Aufstocker? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Wort zum Antrag!)
Kollegen von den Linken, in Ihrem Antrag verwässern Sie erneut Argumente, Begründungen und Sichtweisen von höchstrichterlichen Instanzen. Ich gehe einmal auf die Berechnung des Regelbedarfs, auf das Statistikmodell ein. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
Der Ermittlung der Regelbedarfe liegt kein objektives Verfahren zu Grunde.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, stimmt!)
Fakt ist aber, dass es sich aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts folgendermaßen verhält:
Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf lässt nicht erkennen, dass der existenzsichernde Bedarf … nicht gedeckt wäre.
Vielmehr wird festgestellt
(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
– zuhören! –, dass sich der ermittelte Regelbedarf „mithilfe verlässlicher Daten tragfähig begründen lässt“.
(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
Da ist doch ganz klar, dass die Zahlen nicht in einem luftleeren Raum entstanden sind. Es spricht vielmehr dafür: Das Statistikmodell ist ein transparentes und nachvollziehbares Modell, welches das Bundesverfassungsgericht sowohl im Februar 2010 als auch im Juli 2014 bestätigt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Sollten wir uns dieser Frage nach der Höhe der Regelsätze, über die wir ja jetzt sprechen, nicht mit einer anderen Betrachtungsweise nähern? Wir leben in Deutschland in einer Solidargemeinschaft. Die Fragen sollten deshalb lauten: Wie kann jeder Einzelne seinen Beitrag zu dieser Solidargemeinschaft leisten? Wie können wir die Menschen, die der Unterstützung bedürfen, hierbei auch unterstützen? Denn Solidarität, also das Einstehen für andere, ist ein wichtiger Wert in unserer Gesellschaft und in unserem Zusammenleben, aber auch für unsere sozialen Sicherungssysteme.
Frau Voßbeck-Kayser, Frau Kipping hat eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?
Nein, ich möchte weiterreden. Ich habe ihr auch zugehört. – Solidarität ist auch keine Einbahnstraße; denn Fakt ist doch auch – das müssen wir sagen, wenn wir über soziale Sicherheit reden –: Es gibt keine soziale Sicherheit, die aus himmlischen Quellen finanziert wird.
(Beifall des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU])
Es gibt sie nur durch Arbeit, durch unsere Schaffenskraft, durch unserer Hände Arbeit.
(Zurufe von der LINKEN)
Deshalb ist es wichtig, dass wir das Verantwortungsgefühl in unserer Gesellschaft fördern und jedem Betroffenen einen Weg in die Eigenständigkeit bieten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag eingehen, auf die Gestaltung des Bildungs- und Teilhabepaketes für Kinder und Jugendliche. Fakt ist – das zeigt der Zwischenbericht, der im Juli 2015 vorgelegt wurde –, dass im Vergleich zum Vorjahr 11 Prozent mehr Kenntnis von diesem Teilhabepaket hatten
(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: „Kenntnis hatten“!)
und auch 11 Prozent mehr es angenommen haben.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn insgesamt?)
– Das sind 45 Prozent.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Noch nicht einmal die Hälfte!)
Sicherlich kann man immer noch besser werden. Die Zahlen sind faktisch ausbaufähig. Da gebe ich Ihnen recht. Aber hieran wird – das wissen Sie – gearbeitet.
Wenn der Bericht aufzeigt, dass in der Praxis bürokratische Hürden bestehen,
(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Was sagt denn der Arbeitgeberverband? Auf den hören Sie doch sonst immer!)
dann ist es für uns selbstverständlich, dass wir daran arbeiten und uns konstruktive Gedanken machen, wie man diese Hürden abbauen kann. Wir wollen sie abbauen, indem wir für die Institutionen vor Ort Rahmenbedingungen setzen, dass sie flexibler und unbürokratischer im Sinne der Anspruchsberechtigten handeln können.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Unbürokratisch“ beim Bildungs- und Teilhabepaket? Guter Witz!)
Insgesamt, Kollegen der Linken, empfinde ich es als unredlich, wenn Sie mit Ihrem Antrag wieder einmal den Eindruck vermitteln, als würde in Deutschland zu wenig für Menschen, die der Hilfe bedürfen, getan.
(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Ist ja absurd!)
Die guten arbeitsmarktpolitischen Programme und Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren hier auf den Weg gebracht haben,
(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
waren eine gute Hilfe. Unser Ansatz ist es, Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen und nicht für das Verweilen als Leistungsempfänger im SGB II; denn eines ist klar: Wir Menschen sind nicht geboren zum Nichtstun.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was unterstellen Sie den Leuten?)
Dass die Jobcenter und die Arbeitsagenturen heute ihren Blick auf die Potenziale der Menschen und nicht auf ihre Defizite richten, ist doch der richtige Ansatz bei der Arbeitsvermittlung;
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erwerbslose haben genug zu tun! Die haben auch genug Arbeit! Denen fehlt das Geld!)
und den gilt es weiter zu stärken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, ist zu sagen: Wenn auf eines Verlass ist, dann auf die wiederholten Formulierungen Ihrer Anträge und Anfragen.
(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Denn auf Sie ist ja kein Verlass! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Weil Sie ja die Realität nicht ändern!)
Das nehmen wir gerne zur Kenntnis. Aber da Sie aus den Zahlen, wie ich gezeigt und ausgeführt habe, die falschen Schlüsse ziehen und Ihrer Denke eine Sichtweise zugrunde liegt, die wir absolut nicht teilen können,
(Zurufe von der LINKEN)
wird es Sie nicht verwundern, dass wir Ihrem Antrag heute nicht folgen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen da weiter! Wir haben auch andere Themen später durchgesetzt: Abschaffung der Wehrpflicht, Abschaltung der AKWs!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass wir in unserer Geschäftsordnung Instrumente haben, die es jedem Kollegen Abgeordneten ermöglichen, in eine Debatte einzugreifen, etwa durch Zwischenfragen, aber auch durch Kurzinterventionen. – Das als erster Hinweis.
Als zweiter Hinweis: Zwischenrufe sind erlaubt, aber nicht Begleitreden oder Begleitsätze. Ich bitte darum, das ein bisschen zu berücksichtigen. Ich halte es für richtig und notwendig und unterstütze es, dass eine Debatte lebhaft verläuft; das ist wichtig für das Parlament, damit man unterschiedliche Positionen kennenlernt. Natürlich kann man Zwischenrufe machen, aber der kollegiale Umgang untereinander gebietet es, dass das Instrument als Zwischenruf zu verstehen ist und nicht als Zwischenrede.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Schmidt (Wetzlar) [SPD])
Ich darf jetzt den nächsten Redner bitten: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6143668 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 136 |
Tagesordnungspunkt | Menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum |