Stephan StrackeCDU/CSU - Menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken fällt aus der Zeit. Wir erleben heutzutage den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag kommen Tausende Flüchtlinge zu uns nach Deutschland, und sie kommen nicht deshalb in unser Land, weil es ihnen schlecht geht, sondern weil sie gute Lebensperspektiven für sich erwarten.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Leute fliehen nicht aus Syrien, weil es hier Hartz IV gibt!)
Deswegen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie ernsthaft darüber diskutieren wollen, dass in unserem Land Menschen „nicht in Würde leben können“, wie Sie dies schreiben, „da ihre Existenz nicht ausreichend gesichert ist“.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gehen die Leute denn zur Tafel? Gehen Sie mal raus in die Realität!)
Es ist bemerkenswert: Die Linken mausern sich nahezu zu einer Drucksachenfabrik. Sie stellen Anträge und Anfragen bei der Bundesregierung – das ist ja auch in Ordnung – und erhalten umfassende Antworten darauf. Sie haben eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und am 2. November – sehr schnell – eine Antwort darauf bekommen, und schon am 5. November lag dann Ihr Antrag auf dem Tisch. Herr Kollege Birkwald, Sie sind tatsächlich schnell.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber wir sind auch gründlich!)
Aber Schnelligkeit ist ja kein Wert an sich, sondern auf die Inhalte kommt es natürlich auch immer an. Hier muss Masse nach Klasse stehen.
Ich denke, Sie sollten durchaus auch einmal Ihre Mitarbeiter wertschätzen, die ja wohl meistens die Anträge schreiben müssen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Aus Wertschätzung entwickelt sich dann auch Wertschöpfung. Insofern wäre es sicherlich ganz gut, wenn Sie hier auch Ihre Mitarbeiter stärker in den Blick nehmen würden.
Da lobe ich mir die Anträge der Grünen – zwar nicht immer, aber in den Schattierungen sind sie jedenfalls oftmals durchaus besser.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Zum Thema haben Sie nichts zu sagen, oder?)
Ihr Antrag enthält einen paternalistischen Gestus. Sie wollen ein Kümmern von oben herab: Seien Sie unbesorgt. Ich sorge für dich. Es gibt auch ein paar Euro mehr,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Leuten das Geld zu kürzen, ist ja überhaupt nicht von oben herab!)
und wir treten beispielsweise für eine unbedingte Grundsicherung im Alter und Änderungen beim Existenzminimum ein.
Diese Form des Kümmerns hat ja durchaus etwas Sympathisches, allerdings nur auf den ersten Blick;
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das wird dem Thema nicht gerecht!)
denn dahinter steht ein defizitärer Ansatz. Sie begreifen den Menschen eher als Fürsorgeempfänger. Dies teile ich eben nicht. Es gibt auch ein Kümmern, das auf die Kräfte des Einzelnen abzielt, das insbesondere darauf gerichtet ist, verborgene oder verschüttete Kräfte zu wecken und die Potenziale des Einzelnen in den Blick zu nehmen. Das ist oftmals viel nachhaltiger als alle finanziellen Zuwendungen und Gesten von oben herab. Ein Mensch, der für sich entdeckt, was in ihm steckt, der hat Freude am Leben, am Gestalten, an der Leistung; er ist leistungsfähig und leistungsbereit. Die Kräfte des Einzelnen zu wecken, ohne ihn gleichzeitig zu überfordern,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Existenzminimum zu tun? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was sagen Sie dem, der 120 Absagen auf Bewerbungen bekommen hat?)
das ist unser Blick auf den Menschen. Und das ist aus unserer Sicht auch die Aufgabe des Sozialstaats.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb ist auch Ihre Grundthese im Antrag falsch. Zitat:
Das strategische Ziel der Einführung von Hartz IV war die Ausweitung des Niedriglohnsektors.
(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Das war so!)
Unser Ziel ist die Entwicklung von Eigenständigkeit und Eigenverantwortung, die Schaffung von Arbeit und die Erhöhung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt gerade für die Menschen, die es schwer haben, die vielleicht auch geringere Qualifikationen vorzuweisen haben. Die Erfolge geben uns ja durchaus recht: Die Arbeitslosigkeit hat sich seit Rot-Grün von deutlich über 5 Millionen im Jahre 2005 auf aktuell 2,65 Millionen halbiert.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Armut ist nicht gesunken! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch, die Armut ist auch gesunken!)
Diese Erfolge sind gut, weil sie den Menschen guttun, sehr verehrte Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)
Die Schlacht um die richtige Methodik zur Ermittlung des Existenzminimums ist geschlagen. Wir haben uns für das Statistikmodell entschieden. Das Modell ist bewährt und auch verfassungskonform. Die Kritik der Linken ist alt und bekannt. Wir haben in den letzten Jahren häufig und sehr intensiv diese Debatte geführt. Deshalb ist es müßig, mit Ihnen hier und heute über die richtige Methodik zu diskutieren.
Außerdem ist Ihre Kritik auch scheinheilig. Im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 hat Ihre Partei ein Programm angekündigt, in dem keine Mindestsicherung unter 1 500 Euro liegen soll.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)
– Ja, das haben Sie.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Kurzfristig müssten die Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro erhöht werden.
Herr Kollege Birkwald, bitte schön.
Moment, das Wort erteile immer noch ich. – Zunächst frage ich, ob Sie bereit sind, eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald zuzulassen. Das scheint ja der Fall zu sein.
Frau Präsidentin, in aller Demut, ja.
Gut, dann haben Sie das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zulassen.
(Heiterkeit)
Herr Kollege Stracke, wir müssen einmal deutlich sagen: Das, was Sie hier gerade gemacht haben, ist unbillig, wie das so schön im Rechtsdeutsch heißt.
Nein.
Man könnte auch sagen: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. In unserem Wahlprogramm stand natürlich nichts von 1 500 Euro, sondern dort stand, dass wir anstreben, dass keine Mindestsicherung unter 1 050 Euro liegt. Gestehen Sie mir zu, dass das eine Differenz von 450 Euro ist, dass man mit 1 050 Euro gerade so über die Runden kommt und von 1 500 Euro nicht die Rede war?
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Birkwald, zunächst zolle ich Ihnen Respekt, dass Sie das Wahlprogramm zum einen auswendig können und zum anderen auch noch richtig wiedergeben.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was steht eigentlich in Ihrem Wahlprogramm?)
Es ist tatsächlich richtig, was Sie sagen. Zitat:
Wir wollen ein Konzept einbringen, in dem keine Mindestsicherung mehr unter 1 050 Euro liegt.
Allerdings sagen Sie zum gleichen Zeitpunkt, dass der Hartz-IV-Satz auf 500 Euro erhöht werden soll. Wie Sie allerdings auf 500 Euro kommen, darüber schweigen Sie sich natürlich aus. Uns werfen Sie immer Methodikfehler vor, aber tatsächlich halten Sie sich an keine eigene Methodik, sondern setzen diese politisch. Darum geht es mir.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Dazu haben wir einen Erklärfilm gemacht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das schicken wir Ihnen zu!)
– Wahrscheinlich können wir es dann wieder als Drucksache haben.
Letztlich diskreditieren Sie Ihren eigenen Antrag, indem Sie uns Methodikfehler vorwerfen, während Sie selber welche machen.
Warum wir jetzt wieder eine Kommission brauchen – die Kollegin hatte darauf hingewiesen –, weiß ich nicht. Sämtliche Verbände wurden hier richtigerweise eingefügt. Auch ein Blick ins Wahlprogramm zeigt, dass – Zitat – „Teile der LINKEN ... das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens“ vertreten:
Dieses Konzept wird in der Partei kontrovers diskutiert. Diese Diskussion wollen wir weiterführen. Wir befürworten auch die Einsetzung einer Enquetekommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag.
Es ist schon erstaunlich, dass man in einem Wahlprogramm schreibt, dass man sich noch auf gar nichts geeinigt hat und dass man die Diskussion noch weiterführen muss. Substanzloser geht es kaum.
(Karin Binder [DIE LINKE]: Wir diskutieren mit unseren Wählern! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diskussionen gibt es ja in der Union gar keine!)
Ich empfehle, sich zunächst einmal parteiintern zu verständigen. Aber vielleicht haben Sie ja als Fraktion Ihre Partei schon überholt. Dadurch, dass in Ihrem Antrag von einem Mindesteinkommen gar nicht mehr die Rede ist, habe ich eher den Eindruck, dass Sie dieses Ziel aufgegeben haben, während sich Ihre Partei noch entscheiden muss, ob sie dafür oder dagegen ist.
Auch die Ausgestaltung des Bildungs- und Teilhabepakets ist verfassungskonform und hat sich im Übrigen bewährt. Ihre Kritik geht auch hier ins Leere. Die Ausgestaltung von ergänzenden Bedarfen für Bildung und Teilhabe wird die Bundesregierung im Rahmen der anstehenden Neuermittlung der Regelbedarfe auf der Grundlage von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 prüfen. Warten wir einfach die Ergebnisse ab.
Für diskussionswürdig halte ich aus gegebenem Anlass eher eine finanzielle Obergrenze des Betrags für mehrtägige Klassenfahrten. Wenn eine Fahrt nach New York im Umfang von 38 000 Euro für 15 Schüler gezahlt werden muss, dann zahlt hierfür der Steuerzahler die Zeche. Das ist in keinem Fall gerechtfertigt. Ich halte es auch für unfair denen gegenüber, deren Einkommen beispielsweise knapp oberhalb der Hartz-IV-Sätze liegt und die eine solche Fahrt aus eigener Tasche zahlen müssten. Die einen haben eine große Sause, und die anderen machen lange Gesichter. Das halte ich in der Tat für unfair.
(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist ja wohl auch nicht die Regel, Herr Kollege!)
Wir führen heute einmal mehr eine Debatte, die uns keinen Millimeter weiterbringt; das gilt insbesondere für Debatten, die von den Linken angestoßen werden. Die Drucksachenfabrik der Linken arbeitet weiter. Gönnen Sie sich und Ihren Mitarbeitern eine Denkpause, am besten zum Denken. Aber wahrscheinlich ist es einfach so, dass Ober Unter schlägt. In diesem Fall hat wahrscheinlich Frau Kipping gesagt: Ich möchte gerne wieder mein Lieblingsthema diskutieren. – Deswegen glaube ich, dass wir in diesem Bereich auch in Zukunft noch erhebliche Diskussionen zu führen haben werden.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber wir reden über Millionen Menschen in diesem Land, die davon betroffen sind!)
Ein herzliches Dankeschön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6143710 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 136 |
Tagesordnungspunkt | Menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum |