13.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 137 / Tagesordnungspunkt 27

Karl LauterbachSPD - Stärkung der pflegerischen Versorgung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Hinter uns liegen zwei Wochen, die für die Menschen in Deutschland, die krank sind, pflegebedürftig sind oder es in Zukunft werden, außergewöhnlich gut waren. Wir haben ein sehr gutes Hospiz- und Palliativ­gesetz beschlossen – aus meiner Sicht ein Durchbruch. Wir haben eine Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes beschlossen. Damit stärken wir die Pflege, erhöhen die Qualität und schaffen eine größere Gerechtigkeit der Vergütung – die größte Krankenhausreform, die wir seit Jahren gemacht haben. Heute machen wir unstrittigerweise die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen. Das alles haben wir in zwei Wochen erreicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte mich ausdrücklich bei allen im Parlament für die Zusammenarbeit bedanken. Das waren Wochen, wie ich selbst – ich bin lange im Geschäft – sie in dieser Form noch nicht erlebt habe. Das betrifft Millionen von Menschen, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft.

Es ist richtig, dass diese Gesetze allesamt nicht perfekt sind. Es gibt kein Gesetz, das wir hier nicht verbessern könnten. Aber man darf das Erreichte nicht kleinreden, indem man die kleinen Dinge, die verbesserungswürdig sind, in den Vordergrund stellt.

Ich fange mal damit an: Wir geben unmittelbar insgesamt etwa 20 Prozent mehr für die Pflege aus. Etwa 3 bis 4 Prozent legen wir zusätzlich zurück, um die Pflege bezahlbar zu halten. Das sind großartige Leistungsausweitungen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass wir das Geld etwas anders verteilen werden. Es ist zum Beispiel richtig, was Kollegin ­Zimmermann beschrieben hat: Für die weniger Pflegebedürftigen gibt es in Teilen eine leichte Mehrbelastung. Aber für die große Zahl der stärker Pflegebedürftigen gibt es starke Entlastungen. Wir haben jetzt ein System, in dem die Angehörigen oft Angst haben, dass ihre zu pflegenden Angehörigen höhergestuft werden, obwohl sie das medizinisch eigentlich benötigten, weil sie dann mehr zuzahlen müssten. Das kann doch nicht gerecht sein. Das ist aus meiner Sicht medizinisch falsch, weil die Menschen gegebenenfalls nicht die Pflege bekommen, die sie brauchen. Es ist auch unethisch, weil wir Angehörige zwingen, etwas gegen das Interesse ihrer Verwandten zu unternehmen, indem sie dafür sorgen, dass in der Pflege nicht das getan wird, was eigentlich nötig ist, weil sie Angst haben, mehr zuzahlen zu müssen. Diese Ängste haben wir ausgeräumt. Das dürfen wir doch nicht kleinreden. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch die Entbürokratisierung ist bedeutsam. Die Entbürokratisierung funktioniert wie folgt: Wir messen jetzt, was der Einzelne in den einzelnen Bereichen noch kann, also nicht das, was ihm fehlt, sondern das, was er kann. Es wird zum Beispiel gefragt: Wie mobil ist er noch? Wie gut kann er denken? Wie dement ist er? Wie sehr ist er psychisch belastet? Es werden Punkte vergeben. Je mehr Punkte jemand hat, desto selbstständiger ist er noch. Die Punkte spiegeln das wider, was der Mensch noch kann. Danach richtet sich die Pflegebedürftigkeit. Die Pflegenden selbst entscheiden dann, wie man dieser Bedürftigkeit – ohne Minutenpflege – am besten begegnet. Das ist doch eine Umstellung des gesamten Systems: Weg von der Dokumentation der Defizite, hin zu der Beseitigung derselbigen, indem man sich darauf konzentriert, was der Einzelne noch kann.

Das ist eine große Reform. Daran haben wir – das ist richtig – viele Jahre gearbeitet. Das war keine Leichtigkeit – das musste vorbereitet werden –; aber das ist ein Quantensprung in der Pflegeversicherung, eine Umkehr der Anreize, in meinen Augen ein Durchbruch.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zu den Betreuungsleistungen. Die Betreuungsleistungen sind immer geringgeschätzt worden – zu Unrecht. Was nützt mir eine gute Pflege, wenn mich den ganzen Tag niemand anspricht? Ich vereinsame in der Pflege. Wenn ich keine Ansprache habe, verfallen die Kompetenzen, die ich noch habe. Das Leben ist nicht mehr schön. – Wir dürfen nicht vergessen, dass in Pflegeeinrichtungen sehr viele Menschen leben, die keine Angehörigen mehr haben oder Angehörige, die nicht mehr kommen können. Für diese Menschen brauchen wir Betreuung.

Wir führen jetzt einen Rechtsanspruch auf individuelle Betreuung ein. Einen Rechtsanspruch! Es ist falsch, wenn man sagt, dass die Kräfte dafür nicht da sind. Die Kräfte sind da. Dafür haben wir schon im Rahmen der ersten Stufe der Pflegereform gesorgt. Wir haben die Zahl der Betreuungskräfte – ich bringe das in Erinnerung – um 25 000 erhöht; das ist keine Kleinigkeit. Und jetzt schaffen wir den Rechtsanspruch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich ist alles verbesserungswürdig; aber das sind trotzdem große Schritte nach vorne. Daher muss man hier, glaube ich, in den Vordergrund stellen: Das ist eine gute Reform.

Auf die Umstellung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die bessere Zuteilung der Mittel und die damit verbundene bessere Pflege bin ich schon eingegangen. Die Entbürokratisierung haben wir auch schon angesprochen. Darauf, dass wir die Qualität stärker in den Vordergrund stellen, kann ich nur noch kurz eingehen. Dazu möchte ich nur eines sagen: Wir machen auch vor der Personalbemessung nicht halt. Wir regeln mit diesem Gesetz klipp und klar, dass die Personalbemessung in den Pflegeheimen in den nächsten fünf Jahren angepasst werden soll.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach fünf Jahren! Ich glaube es nicht!)

Jetzt wird gesagt: Wieso machen Sie das nicht jetzt? Das können wir jetzt nicht machen. Wir führen jetzt das neue System ein. Jetzt werden die neuen Pflegegrade ja erst eingeführt. Welche Personalausstattung für welchen Pflegegrad erforderlich ist, können wir nicht prüfen, bevor die Pflegegrade eingeführt wurden. Von daher ist das aus meiner Sicht eine gute Planung. Wir werden langfristig auch zu einer gerechteren Bezahlung in der Pflege kommen; das ist dringend notwendig.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

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Electoral Period 18
Session 137
Agenda Item Stärkung der pflegerischen Versorgung
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